
Zeugen in einem Strafprozess müssen die Wahrheit sagen. Andernfalls droht ihnen selbst eine Strafe. In manchen Fällen kommen sie allerdings um eine Aussage herum – manche wegen ihres Berufs, andere wegen ihrer Familienverhältnisse.
Was ist ein Zeugnisverweigerungsrecht?
Vereinfacht gesagt ist es das Recht, in einer Gerichtsverhandlung keine Zeugenaussage zu machen, obwohl man eigentlich eine machen müsste. „Wer eine Straftat beobachtet hat oder etwas darüber weiß, muss normalerweise vor Gericht aussagen“, erklärt Rechtsanwalt Dr. Dirk Lammer. Der Strafverteidiger ist Vorsitzender des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV).
Diese Pflicht regelt § 48 des Strafgesetzbuchs (StGB). Sie besteht demnach, solange das Gesetz keine Ausnahme erlaubt. Das Recht zur Zeugnisverweigerung ist eine solche Ausnahme. Es ist in der Strafprozessordnung (StPO) beschrieben. Wer es hat, muss während des ganzen Prozesses nicht aussagen und braucht dies nicht zu begründen. Fragt der Richter bei der Vernehmung, ob man eine Aussage machen will, muss man lediglich mit Nein antworten.
Ein Beschuldigter kann immer, ohne Ausnahme, die Aussage verweigern. Er oder sie muss sich nicht selbst belasten.
Übrigens: Ein Zeugnisverweigerungsrecht hat nichts mit einem Schulzeugnis zu tun. Egal, wie die Noten sind – am Ende eines Halb- oder Schuljahres dürfen Schüler dieses Zeugnis nicht verweigern.
Wer darf die Aussage verweigern?
Es gibt zwei Arten des Zeugnisverweigerungsrechts: aus persönlichen Gründen und aus beruflichen Gründen. Man spricht dann auch von einem beruflichen oder persönlichen Näheverhältnis.
52 StGB beschäftigt sich mit den persönlichen Gründen. Demnach müssen jene Personen nicht aussagen, die mit dem Angeklagten verlobt oder verheiratet sind oder waren, mit ihm in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, mit ihm oder ihr verschwägert oder verwandt sind. Verwandte müssen allerdings in gerader Linie verwandt sein, damit sie um eine Aussage herumkommen. Das bedeutet: Es muss niemand gegen seine Eltern, Großeltern, Kinder, Enkelkinder, Geschwister, seinen Onkel oder seine Tante aussagen.
„Vom Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen können Anwältinnen und Anwälte, Ärzte, Steuerberater und Geistliche Gebrauch machen“, sagt der Berliner Strafverteidiger. Manche spreche zum Beispiel vom Beichtgeheimnis, dem Anwaltsgeheimnis oder der ärztlichen Schweigepflicht. Sie müssen nicht aussagen, wenn es um Mandanten, Patienten oder „Schäfchen“ von ihnen geht. Auch Mitarbeiter einer Schwangerschaftsberatungsstelle und Journalisten haben ein Zeugnisverweigerungsrecht.
Wann müssen diese Personen trotzdem aussagen?
Ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen bleibt lebenslang bestehen: Wer eines hat, hat es immer. Man muss beispielsweise auch nicht gegen seine Ex-Frau oder seinen Ex-Mann aussagen. Rechtsanwälte, Geistliche oder Ärzte können allerdings von ihrer Schweigepflicht entbunden werden. Dann müssen sie vor Gericht eine Zeugenaussage machen.
Was ist ein Auskunftsverweigerungsrecht?
Beim Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO muss man bei der Vernehmung vor Gericht nur auf bestimmte Fragen nicht antworten. Und zwar dann, wenn man sich selbst oder einen Angehörigen, bei dem man auch komplett die Aussage verweigern dürfte, mit der Antwort belasten würde. Sind praktisch keine Fragen denkbar, bei deren Beantwortung nicht die Gefahr der Selbstbelastung oder der Belastung eines Angehörigen besteht, zum Beispiel wenn gegen den Zeugen in einem anderen Verfahren selbst wegen der Tat ermittelt wird, kann aus einem Auskunftsverweigerungsrecht ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht werden.
Können auch Kinder ein Recht zur Zeugnisverweigerung haben?
Rechtsanwalt Lammer sagt: „Auch Kinder haben, wenn sie Angehörige sind, ein Zeugnisverweigerungsrecht.“ Bei ihnen müssten die Eltern beziehungsweise die Erziehungsberechtigten entscheiden, ob die Kinder aussagen oder nicht. Es kann allerdings vorkommen, dass die Eltern befangen sind, etwa wenn es um Missbrauch in der Familie geht. „Dann bekommen die Kinder einen Verfahrensbeistand, der nur für diesen Fall mit den und für die Kinder entscheidet“, sagt der Strafverteidiger. Selbst Kinder unter drei Jahren können als Zeugen gehört werden. Allerdings sind deren Aussagen wegen der noch unzureichend ausgebildeten Fähigkeit, Sachverhalte zutreffend zu erfassen und wiederzugeben, äußerst zurückhaltend zu bewerten. Hier gehe man davon aus, so Lammer, dass sie zum Verfahren noch nichts beitragen können.
Wann habe ich ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht?
Wer ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht hat, kann es nicht nur während des Prozesses nutzen. Bei der Polizei muss man zum Beispiel auch keine Aussage machen, wenn man sich selbst belasten würde. Man muss hier nur Angaben zu seiner Person machen, also den Namen und die Adresse nennen.
Aussage verweigern: So haben die Gerichte entschieden
Wer bei einem Gerichtsverfahren die Aussage verweigern kann, ist immer wieder Gegenstand eigener Verfahren. Wir zeigen wichtige Urteile im Überblick.
Ist das Testament gültig? Arzt muss zu Gesundheitszustand aussagen
Das Oberlandesgericht Köln hatte im Mai 2018 einen Erbschaftsstreit auf dem Tisch. Die Frage war, ob die Verstorbene noch testierfähig war, als sie das Testament aufsetzte. Wäre sie das nicht gewesen, wäre das Testament nicht gültig. Die Richter fragten den Arzt der Frau. Dieser berief sich auf seine Schweigepflicht und verweigerte die Aussage. Die Richter hoben die Schweigepflicht jedoch auf: Die Verstorbene habe den Arzt zwar nicht von der Schweigepflicht entbunden. Es sei jedoch in ihrem Interesse, ihre Testierfähigkeit und damit die Wirksamkeit des Testamentes zu klären (Beschluss vom 15.05.2018, AZ: 2 Wx 202/18).
Ehefrau sagt nicht gegen Ehegatten aus: Aussage aus anderem Prozess kann verwendet werden
Über das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen entschied das Oberlandesgericht Hamburg. Der Beschuldigte in dem Fall soll versucht haben, seine Frau umzubringen. Die Frau deutete an, dass sie bei der Vernehmung im Prozess die Aussage verweigern wolle. Da sie die einzige Zeugin war, wollte das Landgericht kein Verfahren eröffnen. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Beschwerde ein. Denn die Frau hatte vor dem Familiengericht bereits ausgesagt, dass ihr Ehegatte sie angegriffen habe. Sie hatte die Aussage gemacht, um Schutz nach dem Gewaltschutzgesetz zu erhalten. Demnach kann etwa eine Frau in einem Frauenhaus untergebracht oder ein Platzverweis gegen den Mann ausgesprochen werden.
Das Oberlandesgericht gab der Staatsanwaltschaft recht: Die Aussage der Frau könne im Verfahren verwendet werden (Beschluss vom 08.03.2018, AZ: 1 Ws 114/17).
Tochter verweigert Aussage: DNA-Material kann trotzdem beschlagnahmt werden
Dass eine Person ein Recht zur Zeugnisverweigerung hat und davon auch Gebrauch macht, bedeutet nicht, dass die Polizei in ihrer Wohnung kein DNA-Material sicherstellen darf. Das hat der Bundesgerichtshof am 1. August 2018 in einem Beschluss entschieden (AZ: 1 BGs 324/18, 2 BJs 631/18-7). Denn ein Zeugnisverweigerungsrecht bedeutet nur, dass man nicht aktiv an der Überführung eines Angehörigen teilnehmen muss. In dem Fall ging es um die Tochter beziehungsweise Stieftochter von zwei Beschuldigten. Ihnen wurde vorgeworfen, eine staatsgefährdende Straftat vorbereitet zu haben.
Zeugnis- und Aussageverweigerungsrecht: Anwältinnen und Anwälte beraten
Sie sind als Zeugin oder Zeuge vorgeladen und nicht sicher, ob sie ihr Zeugnisverweigerungsrecht nutzen sollen? Oder wird Ihnen eine Straftat vorgeworfen und Sie brauchen anwaltliche Vertretung? Wenden Sie sich an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte für Strafrecht. Sie können Sie dazu beraten, welche in Ihren persönlichen Fall die beste Lösung ist.
- Datum
- Aktualisiert am
- 27.03.2020
- Autor
- vhe