Eine gebrechliche alte Dame und der junge Nachbar, der sich rührend um sie kümmert – und nach ihrem Tod eine beträchtliche Summe Geld erbt. Wo freiwillige, ehrlich Zuwendung aufhört und Erbschleicherei anfängt, ist in der Regel schwer zu ermitteln. Und auch wer gegen einen vermeintlichen Erbschleicher vorgeht, hat nicht immer Gutes, sondern manchmal nur seinen eigenen finanziellen Vorteil im Sinn. Ein Problem dabei: Erbschleicherei kann oft nicht bewiesen werden.
Erbschleicher: Kein Straftatbestand, aber strafrechtlich relevant
Ein Straftatbestand ist Erbschleicherei in Deutschland nicht. „Als Erbschleicher gilt eine Person, die auf unmoralische oder widerrechtliche Weise in den Besitz einer Erbschaft zu kommen versucht“, erklärt Dr. Wolfram Theiss, Rechtsanwalt für Erbrecht und Vorsitzender des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Erbrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Wer sich ein Erbe erschleiche, mache sich womöglich des Betrugs, der Nötigung oder der Untreue schuldig.
Weitgehende Testierfreiheit in Deutschland
Dies zeigt, dass das Thema Erbschleicherei rechtlich schwer zu fassen ist. Für den Erblasser gibt es kaum rechtliche Einschränkungen. Denn grundsätzlich besteht in Deutschland Testierfreiheit. Das bedeutet, man kann sein Geld vererben, wem man möchte.
Eine Einschränkung gibt es allerdings: § 14 Heimgesetz (HeimG) besagt, dass Mitarbeiter und Leiter von Pflegeeinrichtungen nicht im Testament bedacht und auch anderweitig nicht beschenkt werden dürfen, wenn sie von der Zuwendung wissen. Dieses Gesetz soll verhindern, dass Bewohner Privilegien erhalten oder unter Druck gesetzt werden können. Gerichtlich bestellte Betreuer, familiäre und private Pflegehelfer sind von dem Gesetz nicht betroffen. Ob das Verbot auch für ambulante Pflegedienste gilt, kommt auf der Bundesland an.
Krankheit, Schwäche, starke Medikamente: Testierfähigkeit unklar
„Die Voraussetzung für die Testierfreiheit ist allerdings, dass der Verfasser des Testaments Herr seiner Sinne ist, also selbstbestimmt und selbstverantwortlich handelt“, fügt Rechtsanwalt Theiss hinzu. Sei er dazu nicht mehr in der Lage, weil er zum Beispiel unter Demenz leidet, depressiv ist oder starke Medikamente nimmt, sei er nicht testierfähig. Testamente, die unter diesen Umständen verfasst werden, sind ungültig.
Gutachten kann Testierfähigkeit feststellen
Ob jemand testierfähig ist oder nicht, ist oft nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Viele ältere Menschen zeigen äußerlich keine „Abbauerscheinungen“, sind aber bei weitem nicht mehr fit genug, um rechtliche Angelegenheiten zu regeln.
Gerade bei den Menschen, die heute zwischen 70 und 80 Jahren alt sind, kommt eine historisch bedingte Schwierigkeit hinzu: Aufgrund von Krieg und Flucht haben sie möglicherweise nur wenig Bildung genossen. Wer zwar noch fit im Kopf ist, aber nur schlecht lesen und schreiben kann, ist ebenfalls gefährdet, Opfer von Erbschleichern zu werden.
Mit einem medizinischen Gutachten lässt sich sicher feststellen, ob ein Mensch noch testierfähig ist oder nicht. Im Nachhinein, insbesondere nach dem Tod des Erblassers, lässt sich das allerdings nur mit großen Schwierigkeiten nachvollziehen.
Anschleichen, abhängig machen, abzocken: Strategie der Erbschleicher
Das machen sich Erbschleicher zunutze. Sie gehen in der Regel nach einer bestimmten Strategie vor. Zunächst gewinnen sie das Vertrauen des Opfers. Ältere, alleinstehende und kranke Menschen sind oft leichte Beute. Der zweite Schritt ist, das Opfer von seinem Umfeld zu isolieren, also zum Beispiel Telefonanrufe abzublocken oder schlecht über Familienangehörige zu sprechen. Danach lässt der Erbschleicher bei dem Opfer ein schlechtes Gewissen und Abhängigkeit entstehen. Aus Dankbarkeit oder unter Druck überschreiben viele Erblasser dem Erbschleicher dann zu Lebzeiten Vermögenswerte oder setzen ihn als Erben ein. Zwei Beispiele zeigen, wie Erbschleicher vorgehen können:
Erster Fall: Eine Frau hat zwei Töchter, Lisa und Henriette. Henriette lebt bei der Mutter, Lisa im Ausland. Henriette kümmert sich um die Mutter, Lisa nicht. Henriette erwirkt von der Mutter eine Vorsorgevollmacht und hebt kontinuierlich größere Beträge von dem Konto der Mutter ab. Beim Tod der Mutter ist das wesentliche Vermögen aufgebraucht – und Lisas Erbteil deutlich geschmälert.
Zweiter Fall: Eine 50-jährige Pflegerin heiratet ihren Schützling, einen leicht dementen älteren Herrn, kurz vor seinem achtzigsten Geburtstag. Die Familie des Herrn weiß davon nichts. Die Pflegerin bringt den Erblasser dazu, ihr sein Hausgrundstück zu übertragen. Wenig später setzt er sie auch als Alleinerbin ein und stirbt kurz darauf.
Erbschleicherei versus freiwillige Zuwendung: Unterscheidung oft schwierig
In beiden Fällen könnte es sich um Erbschleicherei handeln. Gleichzeitig muss nicht hinter jedem auf den ersten Blick ungewöhnlichen Fall kriminelle Energie stecken. Manche älteren Menschen möchten sich womöglich einfach erkenntlich zeigen, zum Beispiel für gute Pflege – und haben natürlich das Recht dazu.
Schutz vor Erbschleichern: Noch zu Lebzeiten Maßnahmen treffen
Es gibt einige Schutzmechanismen, mit denen Erblasser und ihre Angehörigen sich schon zu Lebzeiten vor Erbschleichern schützen oder ihnen zumindest die Arbeit sehr erschweren können:
1) Bestellung eines Betreuers
Der ältere Mensch kann sich einen Betreuer zu Hilfe nehmen, der finanzielle Angelegenheiten für ihn regelt. Familienmitglieder oder andere Dritte können dies aber höchstens anregen: Die Antrag auf Betreuung selbst kann nur vom Betroffenen gestellt werden.
2) Schutzmechanismen bei der Vorsorgevollmacht
Mit einer Vorsorgevollmacht erteilt man dem Bevollmächtigten weitreichende Befugnisse, auch über das Vermögen. „Eine Vorsorgevollmacht ist ein scharfes Schwert, das alles vernichten kann“, versinnbildlicht der Rechtsanwalt aus München. Die Missbrauchsgefahr sei hier sehr hoch. Wer eine solche Vollmacht aufsetze, solle die Herausgabe der Urkunde an Bedingungen knüpfen. Zum Beispiel kann der Notar verpflichtet werden, die Urkunde erst dann herauszugeben, wenn der Betroffen nicht mehr geschäftsfähig ist.
Zudem ist es möglich, die Befugnisse des Bevollmächtigten in einem Vorsorgevertrag genau zu definieren und zum Beispiel einzugrenzen, auf welche Vermögenswerte er Zugriff hat. Darüber hinaus kann ein Kontrollbevollmächtigter bestellt werden, der den Bevollmächtigten kontrolliert.
3) Selbstbindung durch Erbvertrag
Im Unterschied zu einem Testament binden sich die Vertragspartner mit einem Erbvertrag gegenseitig. Ein einzelner Erblasser kann ihn nicht mehr ändern, auch wenn der andere verstirbt. Wer einen Erbvertrag aufsetzt, beraubt sich damit zwar seiner eigenen Testierfreiheit, ist später aber von potenziellen Erbschleichern weniger manipulierbar.
4) Gutachten zur eigenen Testierfähigkeit erstellen lassen
Um möglichen künftigen Streitigkeiten über die Gültigkeit des Testaments von vorneherein einen Riegel vorzuschieben, können Erblasser ihrem Testament ein Gutachten darüber beilegen, dass sie noch testierfähig sind. Das ist vor allem bei Erblassern über 80 Jahren sinnvoll.
5) Ältere Menschen nicht alleine lassen
Einer der wichtigsten Schutzmaßnahmen gegen Erbschleicher ist soziale Kontrolle. „Wer einen älteren, vermögenden Menschen kennt, sollte ihn nicht alleine lassen und sich zum Beispiel regelmäßig melden“, rät Rechtsanwalt Theiss. Werde der Kontakt von einer Pflegekraft oder einem Familienmitglied abgeblockt, sei das ein Warnsignal – und ein Grund, nachzuhaken.
Auch wenn ein Erblasser einer Person plötzlich großzügige Geschenke mache und das für ihn bislang unüblich gewesen sei, könnte eine übermäßige Einflussnahme durch einen Erbschleicher vorliegen. Ältere Menschen sollten versuchen, soweit es für sie möglich ist, soziale Kontakte aufrecht zu erhalten.
Nach dem Tod des Erblassers: Schadensbegrenzung teilweise möglich
Stellt sich nach dem Tod des Erblassers heraus, dass sich ein Erbschleicher mutmaßlich unrechtmäßig das Vermögen unter den Nagel gerissen hat, haben die Angehörigen nur noch wenige Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.
1) Testament anfechten
Ein Testament anfechten dürfen nur Personen, die von einem anderen letzten Willen profitieren würden. Die Anfechtung kann erfolgreich sein, wenn der Erblasser bedroht wurde, sich geirrt hat oder er einen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat. Wenn bewiesen wird, dass der Erblasser testierunfähig war oder eine Pflegeperson bedacht hat, die unter HeimG § 14 fällt, kann das Testament für unwirksam erklärt werden. In beiden Fällen sind Beweise das A und O. Vorsicht: Wird das letzte Testament erfolgreich angefochten, wird womöglich ein früheres Testament gültig, dass die Erben vielleicht gar nicht kennen. Hier ist also Vorsicht geboten.
2) Forderung von Rückzahlungen und Auskünften
Haben Hinterbliebene den Verdacht, dass der Bevollmächtigte der Vorsorgevollmacht widerrechtlich Geld bei Seite geschafft hat, können sie gegebenenfalls Auskünfte oder Rückzahlungen fordern.
Verdacht auf Erbschleicher: Anwaltlich beraten lassen
Sie haben den Verdacht, dass einer Ihrer Angehörigen in die Fänge eines Erbschleichers geraten ist? Oder möchten Sie sich selbst vor Erbschleichern schützen und ihren Nachlass frühzeitig ordnen? Lassen Sie sich von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin für Erbrecht beraten. Einen Experten in Ihrer Nähe finden Sie über unsere Anwaltssuche.
- Datum
- Aktualisiert am
- 20.10.2016
- Autor
- vhe