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Klassenfahrt

Die besondere Verantwortung von Lehrkräften auf Schulfahrten

Schulakte

Fahrlässige Tötung einer Schülerin auf Klassenfahrt

Klassenfahrten sind für Schüler oft ein Highlight des Schuljahres – eine willkommene Abwechslung vom Schulalltag, die das Gemeinschaftsgefühl stärkt und neue Erfahrungen ermöglicht. Für Lehrkräfte bedeuten sie jedoch auch eine besondere Verantwortung. Sie übernehmen die Aufsichtspflicht für ihre Schüler und sind in besonderem Maße für deren Wohlergehen verantwortlich. Doch was passiert, wenn trotz aller Sorgfalt etwas Tragisches geschieht?

Ein Urteil des Landgerichts Mönchengladbach wirft ein Schlaglicht auf die weitreichenden Pflichten von Lehrern und verdeutlicht die Notwendigkeit präziser Vorsichtsmaßnahmen. Das Urteil, über das das Rechtsportal anwaltauskunft.de informiert, bietet wichtige Informationen für alle Lehrkräfte, die an der Organisation und Durchführung von Schulfahrten beteiligt sind.

Fahrlässige Tötung einer Schülerin auf Klassenfahrt

Das Landgericht Mönchengladbach hat am 15. Februar 2024 (AZ: 23 KLs 6/23) zwei Lehrerinnen wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen zu Geldstrafen verurteilt. In einem Fall waren es 23.400 Euro, im anderen 7.200 Euro. Beides entspricht jeweils 180 Tagessätzen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Entscheidung endgültig bestätigt (Beschluss v. 18.12.2024, Az. 3 StR 292/24). Im Kern steht die Feststellung, dass die Angeklagten ihre Sorgfaltspflicht verletzt haben. Sie haben es versäumt, vor der Fahrt schriftlich die Gesundheitsdaten der Schüler abzufragen. Das Gericht unterstreicht damit die Garantenstellung von Lehrern gegenüber ihren Schülern bei Ausflügen und Klassenfahrten, insbesondere wenn es um gesundheitliche Beeinträchtigungen geht.

Der tragische Sachverhalt: Emilys letzter Schulausflug

Der Fall, der dem Urteil zugrunde liegt, ist zutiefst tragisch: Emily, eine minderjährige Schülerin, litt seit ihrem siebten Lebensjahr an Diabetes mellitus Typ I und war auf eine lebenslange Insulintherapie angewiesen. Ihre Erkrankung war bei der Schulaufnahme bekannt und in ihrer Schulakte vermerkt. Auch ihre Klassenlehrerin war umfassend über Emilys Gesundheitszustand informiert.

Im Jahr 2019 nahmen die beiden angeklagten Lehrerinnen gleichberechtigt an der Organisation und Durchführung einer jahrgangsübergreifenden Schulfahrt nach London teil. Emily war den Angeklagten nicht persönlich bekannt, da sie nie von ihnen unterrichtet worden war. Bei einer vorbereitenden Informationsveranstaltung zur Fahrt, an der Emily und der Lebensgefährte ihrer Mutter teilnahmen, erfolgte seitens der Angeklagten keine schriftliche Abfrage der Gesundheitsdaten. Dies, obwohl eine solche Abfrage bei Klassenfahrten an der Schule üblich und verpflichtend war. Die Angeklagten nahmen weder Einsicht in Emilys Schulakte, noch informierten sie sich bei Kollegen über potenzielle gesundheitliche Besonderheiten der Teilnehmer. Hätten sie dies getan, wäre ihnen Emilys Diabetes-Erkrankung bekannt gewesen.

Während der Klassenfahrt verschlechtert sich der Gesundheitszustand der Schülerin nach einem Essen. Trotz mehrfacher Hinweise einer Mitschülerin über den schlechten Gesundheitszustand, haben die Lehrer sich nicht über mögliche Vorerkrankungen informiert noch haben sie einen Arzt konsultiert. Sie ließen die Schülerin sich alleine auf ihrem Hotelzimmer ausruhen. Erst als sie sich nach zwei Tagen nicht erholte, brachten die Lehrer die Schülerin ins Krankenhaus. Die Hilfe kam zu spät und die Schülerin verstarb.

Die Urteilsgründe: Verletzte Aufsichtspflicht und Garantenstellung

Das Gericht entschied, dass die Lehrerinnen durch ihr Verhalten den Tatbestand der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen erfüllt hätten. Der Hauptvorwurf war, dass sie es versäumt hatten, die Gesundheitsdaten von Emily vor der Fahrt abzufragen. Das Gericht stellte fest, dass die Lehrerinnen aufgrund ihrer Garantenstellung gegenüber den Schülern für deren gesundheitliche Sicherheit verantwortlich waren. Da sie die Gesundheitsakte von Emily nicht einsehen und keine schriftliche Abfrage der gesundheitlichen Vorerkrankungen vornehmen ließen, waren sie nicht in der Lage, die Schwere von Emilys Gesundheitszustand richtig einzuschätzen. Das Unterlassen dieser wichtigen Informationen hatte fatale Folgen und führte zu Emilys Tod.

Die rechtliche Bedeutung der Garantenstellung von Lehrkräften

Das Urteil unterstreicht die Verantwortung von Lehrkräften, nicht nur im Unterricht, sondern auch bei Schulfahrten und anderen schulischen Aktivitäten, die Gesundheit und Sicherheit der ihnen anvertrauten Schüler zu gewährleisten. Lehrer sind gemäß § 13 StGB als sogenannte „Beschützergaranten“ verpflichtet, ihre Schüler vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren und die Gefahren auf ein minimales Risiko zu reduzieren. Dies schließt auch die sorgfältige Abfrage von Gesundheitsdaten vor Klassenfahrten ein.

Das Gericht betonte, dass die Lehrerinnen auch dann hätten eingreifen müssen, wenn sie Emily nicht direkt unterrichtet hatten. Ihre Aufsichtspflicht galt gleichermaßen für alle Schüler, die an der Fahrt teilnahmen. Ein Versäumnis bei der Abfrage gesundheitlicher Informationen stelle eine objektive Pflichtverletzung dar, die im vorliegenden Fall tragische Konsequenzen hatte. Das Gericht stellte zudem fest, dass eine schriftliche Abfrage der Gesundheitsdaten eine gängige Praxis vor Schulfahrten sei und für die Lehrerinnen auch ohne Weiteres zumutbar gewesen wäre.

Was bedeutet das Urteil für die Praxis?

 

Das Urteil des LG Mönchengladbach hat weitreichende Konsequenzen für die Praxis von Schulfahrten und die damit verbundene Aufsichtspflicht von Lehrkräften.

  • Verbindliche schriftliche Abfrage: Es ist unerlässlich, vor jeder Schulfahrt eine verbindliche schriftliche Abfrage der Gesundheitsdaten aller teilnehmenden Schüler durchzuführen. Dies muss Informationen über chronische Erkrankungen, Allergien, benötigte Medikamente und Kontaktdaten für den Notfall umfassen. Eine bloß mündliche Nachfrage reicht nicht aus.
  • Einsichtnahme in Schulakten: Lehrkräfte sollten sich vor der Fahrt aktiv über die Gesundheitsdaten der Schüler informieren, die in der Schulakte vermerkt sind. Eine bloße Annahme, dass Eltern oder Schüler von sich aus relevante Informationen weitergeben, ist fahrlässig.
  • Sensibilisierung für Notfälle: Lehrkräfte müssen sich des potenziellen Risikos bewusst sein, das mit den gesundheitlichen Besonderheiten von Schülern verbunden ist. Sie sollten im Vorfeld Strategien entwickeln, wie im Notfall schnell und adäquat reagiert werden kann.
  • Dokumentation: Die erfolgte Abfrage der Gesundheitsdaten und die ergriffenen Maßnahmen zur Informationsbeschaffung sollten sorgfältig dokumentiert werden. Dies dient nicht nur der Sicherheit der Schüler, sondern auch der Absicherung der Lehrkräfte im Falle eines unglücklichen Vorfalls.
  • Schulische Richtlinien: Schulen sollten klare und verbindliche Richtlinien für die Organisation und Durchführung von Schulfahrten festlegen, die die im Urteil betonten Punkte berücksichtigen und die Lehrkräfte entsprechend schulen.
Datum
Aktualisiert am
02.07.2025
Autor
red/dav
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