Nach dem Gesetz kann eine letztwillige Verfügung unter anderem dann angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, auch wenn dieser erst nach der Errichtung des Testamentes pflichtteilsberechtigt geworden ist. Eine solche Anfechtung ist nur dann ausgeschlossen, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die gleiche Verfügung getroffen haben würde. Das Gesetz geht davon aus, dass der Erblasser bei Kenntnis des neu hinzugetretenen Pflichtteilsberechtigten diesen nicht übergangen hätte. Die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über eine Entscheidung des OLG Hamm.
Der Fall
Der Erblasser und seine erste Ehefrau verfassten ein gültiges gemeinsames Testament, in dem sie sich gegenseitig zu alleinigen Erben einsetzten und sodann ihren Sohn zum Erben des zuletzt versterbenden Ehegatten. Es wurde sogar vereinbart, dass diese letztwillige Verfügung auch für den Fall der Ehescheidung gelten soll. Die Ehe wurde später tatsächlich geschieden, der Erblasser heiratete seine Ehefrau Nr. 2 und verstarb. Die dann ehemalige Ehefrau wollte Erbin werden und beantragte einen dahingehenden Erbschein. Dagegen wehrte sich die zweite Ehefrau, indem sie das erste Testament mit der Begründung anfocht, dass sie im fraglichen Testament nicht bedacht worden ist.
Man kann seine zweite Ehefrau vergessen, aber sie kann sich wehren
Die zweite Ehefrau hatte vor dem OLG Hamm Erfolg. Die Umstände im zu entscheidenden Fall ergeben, dass als der Erblasser mit seiner ersten Ehefrau das Testament errichtete, beide an eine mögliche Scheidung dachten, aber nicht an eine Wiederverheiratung. Denn die Begründung einer weiteren ehelichen Lebensgemeinschaft ist eine völlig neue Lebenssituation. Mag der Erblasser für den Fall der Scheidung seiner ersten Ehe seine letztwillige Verfügung hat fortbestehen lassen wollen, so spricht nach der Lebenserfahrung nichts dafür, dass er auch im Falle einer Wiederverheiratung seine neue Ehefrau erbrechtlich übergehen wollte. Durch die Heirat der zweiten Ehefrau wurde diese Pflichtteilsberechtigte und konnte daher das damalige Testament anfechten und somit insgesamt unwirksam machen. Letztendlich wurde sie als Miterbin neben dem Sohn festgestellt.
Oberlandesgericht Hamm am 28. Oktober 2014 (Az: 15 W 14/14)
Quelle: www.dav-erbrecht.de
- Datum
- Aktualisiert am
- 14.04.2015