Fährt ein Mitarbeiter während einer Rufbereitschaft von zu Hause aus mit seinem eigenen Auto zu seinem Einsatz, kann er bei einem Unfall den Schaden gegenüber seinem Arbeitgeber geltend machen. Es liegt im Interesse des Arbeitgebers, dass der Mitarbeiter in Rufbereitschaft schnellstmöglich zu seinem Einsatzort gelangt und nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist. Ist der Arbeitnehmer nicht für den Unfall verantwortlich und nutzt er das Fahrzeug mit Einwilligung des Arbeitgebers, muss Letzterer auch bei einem Unfall haften, entschied das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz.
Rufbereitschaft an Weihnachten
Ein Fernmeldetechniker der Fernmeldemeisterei eines Autobahnamtes hatte Rufbereitschaft. Diese nahm er von zu Hause aus wahr. Als er Heiligabend zu einem Einsatz gerufen wurde, um die Störung der Notrufanlage in einem Tunnel zu beseitigen, fuhr er mit seinem privaten Pkw zur Dienststelle. Gemeinsam mit einem Kollegen konnte er die Störung beseitigen. Gegen Mittag fuhr er zu seiner Wohnung zurück. Als er sich auf einer Beschleunigungsspur zu einer Bundesstraße befand, rutschte er plötzlich mit dem Heck weg und stieß gegen eine Betongleitschutzwand. Es herrschten zwei Grad Celsius bei nasser Fahrbahn. An der Unfallstelle war keine Höchstgeschwindigkeit bei Nässe vorgesehen. Der Mann fuhr mit 60 bis 70 km/h.
Von seiner Vollkaskoversicherung erhielt er den Schaden bis auf die Selbstbeteiligung von 500 Euro ersetzt. Diese 500 Euro verlangte er vom Land, seinem Arbeitgeber. Das Land zahlte nicht: Der Mann sei für die Fahrt von seiner Wohnung zur Dienststelle selbst verantwortlich, zudem habe er sich auf dem Rückweg befunden und sei grob fahrlässig auf nasser Fahrbahn gefahren.
Gericht: Arbeitgeber haftet bei Unfall während Rufbereitschaft
Das Gericht verurteilte das Land zur Zahlung der 500 Euro nebst Zinsen. Es sah das Land in der Haftung, da es bei einer Rufbereitschaft darauf ankomme, schnellstmöglich zu einem Einsatz zu kommen. Dies treffe ebenso auf Ärzte zu, die, wenn sie abgerufen würden, von ihrer Wohnung schnell zur Klinik gelangen müssten. Es handele sich nicht um eine Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstelle im herkömmlichen Sinne. Bei einer Rufbereitschaft müssten sich die Arbeitnehmer ständig bereit halten. Daher sei der Arbeitnehmer auch nicht frei, wie er sich zur Arbeitsstelle begebe, sondern er habe dies „schnellstmöglich“ zu tun. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel hätte einen mindestens doppelten, wenn nicht gar dreifachen Zeitaufwand bedeutet. „Das beklagte Land hatte ein unbedingtes Interesse daran, dass der Kläger nach Abruf zur Arbeit schnellstmöglich zur Dienststelle gelangt“, führte das Gericht aus. Die Störung der Notrufanlage im Tunnel habe zügig beseitigt werden müssen. Es habe eine drohende Gefahr für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer bei Ausfall der Notrufanlage in dem fraglichen Tunnel bestanden. Dies sei vergleichbar mit der Rufbereitschaft eines Arztes. Der Einsatz des Mitarbeiters habe somit keinen beliebigen Aufschub geduldet.
Auch ein Fahrfehler sei dem Arbeitnehmer nicht vorzuwerfen, allenfalls vielleicht fahrlässiges Verhalten. Auf einem Beschleunigungsstreifen sei die Geschwindigkeit von 60 bis 70 km/h bei zwei Grad Celsius nicht zu schnell. Er sei plötzlich mit dem Heck weggerutscht. An der Auffahrstelle zur Bundesstraße habe eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h gegolten. Es sei nicht ersichtlich, dass der Fahrer hätte erkennen können oder gar müssen, dass am Ende der Auffahrspur Vereisungsgefahr bestand. Das Gericht überzeugte auch nicht die Argumentation des Landes, dass sich der Kläger auf dem Rückweg befunden habe. Da der Arbeitgeber ein Interesse daran habe, dass der Arbeitnehmer in Rufbereitschaft schnell zu seinem Einsatz gelange und er damit sein eigenes Auto nutzen dürfe, müsse die direkte Rückfahrt auch abgesichert sein.
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 23. April 2013 (AZ: 6 SA 559/12)
- Datum
- Aktualisiert am
- 30.07.2014