ie Reform der Sozial- und Arbeitslosenhilfe im Jahr 2005 sollte vieles einfacher machen, zumindest sollte sie weniger Bürokratie und mehr Effizienz mit sich bringen. Doch diese Ziele haben sich nach Meinung von Sozialrechtsexperten nicht erfüllt. Viele Fachleute sind der Ansicht, dass die rechtlichen Vorgaben für die Grundsicherung für Arbeitsuchende aus dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) zu komplex sind, um in der Praxis gut zu funktionieren.
Eine der Folgen dieser unübersichtlichen Regeln ist, dass sich Jobcenter häufig bei der Berechnung der auch als Hartz IV bekannten Grundsicherung für Arbeitssuchende verrechnen und falsche Bescheide ausstellen. Dabei sind meistens Bescheide deshalb falsch, weil die Jobcenter das Einkommen oder Vermögen eines Hartz-IV-Empfängers falsch anrechnen, oder die Kosten für die Wohnung sowie für die Heizung nicht richtig ermitteln.
Fehlerhafte Bescheide führen seit Jahren zu Klagen vor den Sozialgerichten im Land. „Etwa ein Drittel aller vor den Sozialgerichten eingereichten Klagen befassen sich mit Hartz IV, beim Bundessozialgericht sind es etwa ein Viertel“, sagt der Duisburger Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Conradis von der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV).
Dabei stehen die Chancen von Hartz IV-Empfängern gut, vor Gericht Recht zu bekommen. „Ich schätze, dass rund die Hälfte aller Klagen, die Hartz IV-Empfänger ohne Rechtsbeistand einreichen, Erfolg haben“, so Conradis. Die Erfolgsaussichten seien noch höher, wenn Hartz IV-Empfänger mit Hilfe eines Rechtsanwalts klagten.
Fehlerhafter Hartz-IV-Bescheid: Wie kann man dagegen vorgehen?
Jobcenter sind die Behörden, bei denen Hilfebedürftige ihren Antrag auf Grundsicherung für Arbeitssuchende oder Hartz IV stellen müssen. Die Jobcenter bearbeiten den Antrag und entscheiden über ihn. „Diese Entscheidungen müssen die Jobcenter schriftlich in einem Bescheid darlegen und sie mit einer sogenannten Rechtsbehelfsbelehrung versehen“, erklärt Rechtsanwalt Dr. Conradis. Diese Belehrung nennt zum Beispiel die Fristen, innerhalb derer man dem Bescheid widersprechen kann.
Es gibt verschiedene Arten von Bescheiden: Bewilligungsbescheid, Ablehnungsbescheid, Aufhebungsbescheid, Sanktionsbescheid, Rückzahlungsbescheid. Dass solche Bescheide Verwaltungsakte sind, hat auch zur Folge, dass man als Hartz-IV-Empfänger gegen sie vorgehen und ihnen widersprechen kann.
Das ist anders etwa bei einer Eingliederungsvereinbarung, denn formal gesehen handelt es sich bei ihr eben um eine Vereinbarung zwischen Jobcenter und Hartz-IV-Empfänger und nicht um einen Verwaltungsakt – es sei denn, die Eingliederungsvereinbarung ist als Verwaltungsakt ergangen. Dies ist dann möglich, wenn der Hartz-IV-Empfänger die Eingliederungsvereinbarung nicht unterschrieben hat.
Hartz-IV-Bescheid: Sorgfältig überprüfen
Jeden Bescheid des Jobcenters sollte man sorgfältig überprüfen. Wenn der Bescheid in Ordnung ist, muss man nichts weiter tun. Wer dagegen vermutet, dass sein Bescheid fehlerhaft oder er mit diesem nicht einverstanden ist, kann einen Widerspruch dagegen einlegen.
Dafür muss sich ein Hartz IV-Empfänger an ein bestimmtes verwaltungsrechtliches Prozedere halten: Zunächst muss er den Widerspruch innerhalb eines Monats bei dem zuständigen Jobcenter einlegen, entweder schriftlich oder persönlich beim Jobcenter. Fehlt dem Bescheid die Rechtsbehelfsbelehrung, verlängert sich die Frist für einen Widerspruch auf ein Jahr.
Wer die Frist zum Widerspruch überschreitet, kann nur noch mit einem Überprüfungsantrag rückwirkend gegen den Bescheid vorgehen.
Den Widerspruch muss man nicht begründen, es reicht zunächst, den Widerspruch einzulegen. „Allerdings kann man dazu beitragen, den strittigen Sachverhalt schneller zu klären und damit das Verfahren zu beenden, wenn man den Widerspruch gut begründet und ihm wichtige Unterlagen beifügt“, sagt der Sozialrechtsexperte Dr. Conradis. Den Widerspruch einreichen muss man per Brief oder Fax, eine E-Mail genügt nicht.
Wer in seinem Widerspruchsverfahren einen Anwalt beauftragen möchte, kann beim zuständigen Amtsgericht Beratungshilfe beantragen.
Hat ein Widerspruch gegen einen Hartz-IV-Bescheid aufschiebende Wirkung?
Wenn man gegen einen Bescheid des Jobcenters Widerspruch einlegt, hat dies keine aufschiebende Wirkung wenn es zum Beispiel um Leistungskürzungen oder Sanktionen geht. Demgegenüber hat ein Widerspruch gegen eine Erstattung oder eine Aufrechnung aufschiebende Wirkung.
Hartz IV: Was ist einstweiliger Rechtsschutz?
„Wenn eine Leistungskürzung oder eine Sanktion zu einer erheblichen Leistungskürzung führt, kann man parallel zu seinem Widerspruch einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht beantragen“, rät Dr. Conradis. Diesen Rechtschutz gewähren die Sozialgerichte in der Regel dann, wenn das Jobcenter einen großen Teil der Leistung kürzt oder diese sogar komplett streicht. Über den einstweiligen Rechtsschutz kann man weiterhin Leistungen vom Jobcenter bekommen, während über den Widerspruch entschieden wird, was Monate wenn nicht Jahre dauern kann.
Allerdings: „Einstweiligen Rechtsschutz gewähren die Sozialgerichte meist nicht bei geringen Leistungskürzungen“, sagt Rechtsanwalt Dr. Conradis. Es müssen Kürzungen sein, die so stark sind, dass ein Hartz-IV-Empfänger seinen Lebensunterhalt kaum mehr bestreiten kann.
Jobcenter prüft den Widerspruch des Hartz-IV-Empfängers
Wenn der Widerspruch beim Jobcenter eingegangen ist, prüft ihn die Behörde und erneut den Bescheid. Seine Entscheidung teilt das Jobcenter dem Hartz-IV-Empfänger in einem Widerspruchsbescheid mit.
Ein Widerspruchsbescheid kann verschiedene Szenarien nach sich ziehen:
1. Im Widerspruchsbescheid erkennt das Jobcenter an, dass der erste Bescheid fehlerhaft war und korrigiert ihn. Wenn der Hartz-IV-Empfänger dies akzeptiert, ist das Widerspruchsverfahren damit beendet.
2. Jobcenter sind überlastete Behörden, sie reagieren manchmal nicht oder nur verspätet auf den Widerspruch eines Hartz IV-Empfängers. Wenn das Jobcenter drei Monate nicht auf den Widerspruch reagiert, kann der Hartz IV-Empfänger eine Untätigkeitsklage beim zuständigen Sozialgericht einreichen.
3. Das Jobcenter lehnt im Widerspruchsbescheid den Widerspruch des Hartz IV-Empfängers ab. Dagegen kann dieser vor einem Sozialgericht klagen.
Hartz IV: Klagen gegen Bescheid vor dem Sozialgericht
„Die Klage vor dem Sozialgericht muss man innerhalb einen Monats, nachdem man den Widerspruchsbescheid erhalten hat, schriftlich beim Sozialgericht oder persönlich in der Rechtsantragstelle des Gerichts einreichen“, erklärt der Sozialrechtler Dr. Conradis. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheids enthält Informationen zu den Fristen für Klagen und dem Verfahren.
Bei Klagen vor den Sozialgerichten müssen Hartz IV-Empfänger keine Gerichtskosten zahlen und, wenn sie einen Anwalt beauftragen, keine Kosten für diesen übernehmen - wenn ihnen Prozesskostenhilfe bewilligt wird.
Prozesskostenhilfe wird nur dann bewilligt, wenn die Klage Erfolg haben könnte. „In der Regel dauert es einige Monate, bis ein Sozialgericht über eine Klage entschieden hat“, erklärt der Sozialrechtsexperte Dr. Wolfgang Conradis. „Es kann aber auch Jahre dauern, je nachdem, über wie viele Instanzen die Klage geht.“
- Datum
- Aktualisiert am
- 25.04.2017
- Autor
- ime