Was ist das gesetzliche Vertretungsrecht?
„Niemand kennt mich so gut wie meine bessere Hälfte“ ist eine Anekdote aus der Ehe oder Lebenspartnerschaft, die Vielen schon einmal begegnet sein dürfte. Der gemeinsame Lebensweg ist meist Grund genug, im Ernstfall für die andere Person da zu sein. Aus rechtlicher Sicht bestand jedoch bis Ende 2022 kein automatisches Vertretungsrecht für Ehegatten in Gesundheitsfragen. Kurzum: Im Notfall durften die Ehepartnerin/der Ehepartner keine Entscheidungen füreinander treffen.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Nach einem Autounfall ist die Betroffene so schwer verletzt, dass sie ins Koma gefallen ist. Ihr Ehepartner regelt alle weiteren Schritte bezüglich Untersuchungen und Maßnahmen infolge der weiteren Behandlung. Die Vertretung war nur deshalb möglich, weil die Betroffene eine Vorsorgevollmacht für Ihren Ehepartner verfügt hat. Nach der alten Rechtslage hätte ein Betreuungsgericht ansonsten eine Betreuung bestellen müssen.
Die neue Gesetzesreform berechtigt Ehegatten seit dem 01. Januar 2023 unter anderem, für die betroffene Person
- In ärztliche Untersuchungen und Eingriffe einzuwilligen oder sie zu untersagen,
- Behandlungsverträge abzuschließen,
- Freiheiten kurzweilig einzuschränken (z.B. stationärer Aufenthalt, Medikamentengabe)
- Ansprüche geltend zu machen (z.B. gegenüber Unfallversicherungen),
sofern sich die betroffene Person aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit nicht selbst um diese Dinge kümmern kann (§ 1358, BGB).
Da insbesondere in Notsituationen schnell gehandelt werden müsse, habe das neue gesetzliche Vertretungsrecht den Zweck, „im Rahmen einer plötzlich eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigung […] die Handlungsfähigkeit des zu einer eigenen Entscheidung nicht mehr fähigen Betroffenen sicherzustellen.“, so Prof. Dr. Andreas Jurgeleit, Richter am Bundesgerichtshof. Mit der Neuerung solle vermieden werden, dass aufgrund fehlender Vorsorgevollmacht eine Betreuung angeordnet werden müsse. All das kostet Zeit.
Wann gilt das Vertretungsrecht?
Das Ehegattennotvertretungsrecht unterliegt einigen Einschränkungen:
- Das Paar muss verheiratet sein. Gut zu wissen: Auch für eingetragene Lebenspartnerschaften gilt das Vertretungsrecht (21, LPartG). Seit dem 01. Oktober 2017 sind eingetragene Lebenspartnerschaften zwischen gleichgeschlechtlichen Personen durch die „Ehe für Alle“ ersetzt worden. Paare, die bisher in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, können eine Eheschließung vornehmen.
- Das Ehepaar muss in einer häuslichen Gemeinschaft stehen. Leben beide Eheleute getrennt voneinander, besteht kein Vertretungsrecht.
- Das Notvertretungsrecht gilt, wenn keine Vorsorgevollmacht erteilt wurde, die z.B. eine Person außerhalb der Ehe als Betreuung vorsieht.
- Es gilt, wenn nicht bereits ein rechtlicher Betreuer von einem Betreuungsgericht bestellt wurde.
- Die Notvertretung ist auf sechs Monate befristet – außer, die in Not geratene Person ist bereits vorher fähig, ihre Gesundheit betreffenden Angelegenheiten wieder selbstständig zu regeln.
Die Vertretung in Gesundheitsfragen bedeutet in jedem Fall eine große Verantwortung. Prof. Dr. Jurgeleit: „Der vertretende Ehegatte ist […] befugt, Entscheidungen über ärztliche Eingriffe zu treffen, deren Durchführung oder Nichtdurchführung mit der Gefahr einhergehen, dass der vertretene Ehegatte stirbt.“
Zwar müsse ein Betreuungsgericht solche ärztlichen Maßnahmen genehmigen, bei deren Durchführung oder Nichtdurchführung eine Gefahr für das Leben der betroffenen Person droht – die Maßnahme darf jedoch ohne Genehmigung durchgeführt werden, wenn die zeitliche Verzögerung die betroffene Person gefährden würde (§ 1829, BGB).
Die Rolle der Ärztin/des Arztes
Die behandelnden Ärzte sind in der Regel die ersten Ansprechpartner, wenn Ehegatten ihr gesetzliches Vertretungsrecht ausüben. Diese müssen schriftlich bestätigen, dass die zu vertretende Person nicht selbst in der Lage ist, ihre Angelegenheiten der Gesundheitssorge zu regeln. Infolge dessen sind Ärzte von ihrer Schweigepflicht befreit, um die Vertretung über Diagnosen und Behandlungsmöglichkeiten aufzuklären (§ 1358, BGB). Das Gesetz verpflichtet den vertretenden Ehegatten, schriftlich zu versichern, dass das Vertretungsrecht ausgeübt werden darf – beziehungsweise, dass keine Gründe bekannt sind, die dagegen sprechen (getrennt leben, etc.). Das Dokument für die Vorlage bei den behandelnden Ärzten finden Sie hier. Zusätzlich erhalten die behandelnden Mediziner Einsicht in das Zentrale Vorsorgeregister, wenn eine Behandlung diese Auskunft zwingend erforderlich macht (§ 78b BnotO). Im Vorsorgeregister können Privatpersonen auf Antrag Vollmachten in Gesundheitsangelegenheiten erteilen. So werden Betreuungsgerichte über Vorsorgeregelungen informiert.
Schutz der Selbstbestimmtheit
Die neue Gesetzesreform ist für Viele ein vernünftiger Schritt, um Rechtssicherheit für die Vertretung der Partnerin/des Partners in Gesundheitsfragen zu haben. Da bei einer Ehe angenommen werden kann, dass eine gegenseitige Vertrauensbasis geschaffen wurde, ist eine Vertretung in Notfällen naheliegend. Was aber, wenn die erkrankte oder bewusstlose Person nicht möchte, dass ihr Ehegatte sie vertritt? Welcher rechtliche und faktische Schutz besteht, wenn die eigene Einwilligung in Gesundheitsfragen nichtmehr möglich ist?
So unterschiedlich Ehen geführt werden, sind oftmals auch die Gründe, warum man nicht durch den Ehegatten vertreten werden möchte. In vielen Fällen besprechen sich Eheleute ohnehin über etwaige vorsorgliche Maßnahmen. Das gesetzliche Vertretungsrecht besteht nicht, wenn die zu vertretende Person dies ablehnt. Der Widerspruch kann zudem im Zentralen Vorsorgeregister eingetragen werden (§ 2, VRegV). Das geschieht in der Form, dass die zu vertretende Person dort einen Antrag stellt. Neben dem Widerspruch gegen das Ehegattennotvertretungsrecht können dort Vorsorgevollmachten, Betreuungs- und Patientenverfügungen hinterlegt werden.
Das Problem nach derzeitiger Rechtslage: Der behandelnde Arzt ist nicht verpflichtet, nachzuforschen, ob das Vertretungsrecht vom Ehegatten tatsächlich in Anspruch genommen werden darf. Gerade in einer Notsituation muss er sich darauf verlassen können, dass die vertretende Person korrekte Angaben macht. „Wenn diese Erklärung aber unzutreffend ist, besteht kein gesetzliches Vertretungsrecht und der „Ehegatte“ handelt als Vertreter ohne Vertretungsmacht“, so Prof. Dr. Jurgeleit. In unmittelbarer Not habe der Arzt jedoch keine Zeit, das Vorsorgeregister einzusehen. Handfester sei der Nachweis durch eine beauftragte Betreuungsperson, die sich entweder mit einer Bestellungsurkunde oder beglaubigter Vollmachtsurkunde legitimiert.
Die Kritik an der neuen Gesetzesreform lautet daher, dass das Recht auf Selbstbestimmung (Art. 2, GG) in der Notsituation für die betroffene Person eingeschränkt ist. Nämlich dann, wenn man nicht möchte, dass der Ehegatte oder die Ehegattin die Vertretung übernimmt - dies aber trotzdem passiert.
Gesundheitsfragen sind ein sensibles Thema, Entscheidungen sollten daher gut abgewogen werden. Sie möchten Ihre Vorsorgeangelegenheiten klären oder benötigen rechtlichen Beistand beim Verfassen einer Betreuungsverfügung? Zu diesen und weiteren Themen helfen Ihnen Anwältinnen und Anwälte mit Schwerpunkt Betreuungsrecht in Ihrer Nähe unter anwaltauskunft.de.
- Datum
- Aktualisiert am
- 31.01.2023
- Autor
- red/dav