Die Medizin macht vieles möglich, und kann doch nicht alles klären. Zumindest in ethischer, theologischer, philosophischer und auch rechtlicher Hinsicht sind aktuell noch viele Fragen offen, die aus den medizinischen Möglichkeiten unserer Tage folgen und die sich in der Debatte um die Neuregelung der Sterbehilfe zeigen. Eine der diskutierten Fragen ist etwa, wann eine weitere Behandlung kranker Menschen wünschenswert ist, wann ein Behandlungsübermaß vorliegt und wann es gerechtfertigt ist, auf lebenserhaltende Maßnahmen zu verzichten oder bereits ergriffene lebenserhaltende Maßnahmen wieder zu beenden.
Diskussion über aktive und passive Sterbehilfe
Geprägt ist die Debatte durch Begriffspaare wie „aktive Sterbehilfe“ gegenüber „passive“ oder „indirekte Sterbehilfe“, Verlängerung des Sterbens gegenüber Verkürzung des Lebens, Hilfe beim Sterben (Sterbehilfe im engeren Sinn) oder Hilfe zum Sterben (Sterbehilfe im weiteren Sinn). Die Begriffe hat der Bundesgerichtshof (BGH) in verschiedenen Urteilen und Beschlüssen voneinander abgegrenzt, so etwa 2003 (AZ: XII ZB 2/03) und 2005 (AZ: ZR 177/03).
Der dogmatische Ausgangspunkt für alle rechtlichen Überlegungen in der Diskussion liegt bei den Prinzipien des Grundgesetzes, vor allem bei Artikel 1 Abs. 1 GG, Artikel 2 Abs. 1 GG und Artikel 2 Abs. 2 GG. Aus den Rechten auf Menschenwürde, körperlicher Unversehrtheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, welches zum unantastbaren Kernbereich der genannten Verfassungsprinzipien gehört.
Dabei ist ein Patient in seinem Selbstbestimmungsrecht auch gegenüber Ärzten in keiner Weise eingeschränkt. Es ist allein Sache des Patienten, zu entscheiden, ob er sich einer therapeutischen oder diagnostischen Maßnahme unterzieht oder nicht. Daraus folgt, dass jeder ohne Einwilligung des Patienten vorgenommene Heileingriff als Körperverletzung strafbar ist.
Sterbehilfe und Rechtslage
Aktive Sterbehilfe
Sie ist in Deutschland strafbar. Wer jemanden auf dessen Wunsch tötet, wird wegen Tötung auf Verlangen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft.
Passive Sterbehilfe
Gemeint ist der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. Laut Bundesgerichtshof dürfen Ärzte die Maßnahmen auch dann abbrechen, wenn der Patient noch nicht kurz vor dem Tod steht. Sie müssen sie abbrechen, wenn der Patient das will.
Indirekte Sterbehilfe
Die Verabreichung starker Schmerzmittel, die durch ihre Wirkung auf geschwächte Organe das Leben verkürzen können, ist nicht strafbar - wenn dies dem Willen eines extrem leidenden, sterbenden Menschen entspricht.
Beihilfe zum Suizid
Suizid und Beihilfe zum Suizid sind nicht strafbar. Das heißt, ein Mittel zur Selbsttötung bereitzustellen, das der Betroffene selbst einnimmt, ist erlaubt. Seit 06. November 2015 dürfen Suizidhelfer nicht geschäftsmäßig handeln (§ 217 Strafgesetzbuch). Ärzten verbietet ihr Berufsrecht die Suizidassistenz.
Hier gelangen Sie zum aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig vom 02.03.2017 zum Thema schmerzlose Selbsttötung in Ausnahmesituationen (AZ: BVerwG 3 C 19.15).
Medizinische Maßnahmen ohne Patientenwillen sind unzulässig
Sehr schwierig gestaltet sich die Situation jedoch, wenn dem Patienten entweder die erforderliche Einsichtsfähigkeit fehlt oder er aufgrund seiner physischen oder psychischen Konstitution nicht oder nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu bekunden, der Patient also nicht (mehr) einwilligungsfähig ist. Probleme entstehen hier dann meist bei der Behandlung Sterbender oder bei der Vornahme oder Unterlassung lebenserhaltender, lebensverlängernder oder lebensrettender Maßnahmen im Vorfeld der eigentlichen Sterbephase.
Aus den Grundrechten der Artikel 1, 2 Abs. 1 und 2 Abs. 2 GG und dem daraus resultierenden Selbstbestimmungsrecht des Patienten folgt auch, dass jede lebenserhaltende oder lebensverlängernde ärztliche Maßnahme unzulässig und strafbar ist, wenn sie nicht oder nicht mehr von dem Willen des Patienten gedeckt ist. Es ist deshalb kein Veto des Patienten gegen eine ärztliche Maßnahme erforderlich, sondern es bedarf umgekehrt einer legitimierenden Einwilligung des Patienten zur Rechtfertigung des ärztlichen Eingriffs, wie der BGH 2003 geurteilt hat (AZ: XII ZB 2/03).
Würde als letztes Recht, das einem Patienten de facto bleibt
Gerade in der letzten Phase seines Lebens gewinnt die Würde des Menschen ganz besondere Bedeutung. Sie ist das letzte Recht, das einem Patienten de facto noch bleibt. Daher betonen Medizinrechtsexperten, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten auch dann fortbesteht, wenn er seine Einwilligungsfähigkeit verloren hat. Ihnen zu Folge verbietet es die Verfassung, dass ein einwilligungsunfähiger Patient, selbst wenn er komatös, intubiert und beatmet ist, zum bloßen fremdbestimmten Behandlungsobjekt wird.
Der Patient muss deshalb die Möglichkeit haben, im (noch) einwilligungsfähigen Zustand Anordnungen und Regelungen für den Fall seiner späteren Einwilligungsunfähigkeit zu treffen. Dem Patienten stehen dafür im Wesentlichen zwei Rechtsinstitute zur Verfügung: die Patientenverfügung und die Vorsorgevollmacht.
Dürfen Ärzte Sterbehilfe leisten?
Nach Paragraph 630d Abs. 1 S 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist für den Fall, dass der Patient einwilligungsunfähig ist, die Einwilligung des aufgeklärten Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung nach Paragraph 1901a Abs. 1 S. 2 BGB die Maßnahme gestattet oder untersagt. Damit stellt Paragraph 630 d Abs. 1 S. 2 klar, dass die Patientenverfügung für den Behandelnden verbindlich ist.
Vor diesem Hintergrund ist eine Regelung im ärztlichen Berufsrecht kritisch zu hinterfragen. In Paragraph 16 der Musterberufsordnung für die Deutschen Ärzte (MBO) unter der Überschrift „Beistand für Sterbende“ heißt es: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“
Diese Regelung, die im Übrigen in dieser Form nicht Eingang in alle Berufsordnungen der Länder gefunden hat - derzeit ist dies nur in zehn von 17 Länder-Berufsordnungen der Fall - beinhaltet im ersten Satz eine Selbstverständlichkeit und stellt im zweiten Satz die aktuelle Rechtslage dar. Problematisch ist der dritte Satz, wenn man ihn so verstehen wollte, dass er auch die rechtlich zulässigen Methoden der Sterbehilfe einschränken könne. Manche Äußerung aus der Ärzteschaft in der jüngsten Vergangenheit könnten in diese Richtung missverstanden werden.
Wenn dem so wäre, entstünde ein scheinbar unlösbarer Widerspruch zwischen dem, was sowohl straf- wie auch zivilrechtlich, nicht zuletzt unter verfassungsrechtlichen Erwägungen, auf einem breiten Konsens zwischen Rechtsprechung, Gesetzgebung und Schrifttum einerseits beruht und dem ärztlichem Berufsrecht andererseits. Ob dieser mögliche Widerspruch aber Anlass und Rechtfertigung für eine gesetzliche Neuregelung sein kann, um gegenüber dem Berufsrecht, wenn man es denn so (miss)verstehen wollte, Klarheit zu schaffen, erscheint fraglich.
Diese Ausführungen stellen ausschließlich meine persönliche Meinung dar und sind weder dem DAV noch der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im DAV zuzurechnen.
- Datum
- Aktualisiert am
- 03.03.2017
- Autor
- Dr. Rudolf Ratzel