
Der erste Versuch, die so genannte Sterbehilfe gesetzlich zu regeln, scheiterte in der vorigen Legislaturperiode. Der zweite Versuch wurde zunächst behutsam angegangen, „das anspruchsvollste Gesetzgebungsprojekt“, wie Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert es zu Beginn der ersten großen Debatte im November 2014 formulierte.
Wie immer, wenn es um wichtige ethische Fragen geht, gibt es keinen Fraktionszwang. So haben sich quer durch die Parteien vier Gruppen gebildet, die unterschiedliche Entwürfe vorgelegt haben.
Die strengste Vorlage will jede Suizidbeihilfe verbieten, auch die von Ärzten. Die zweite, wohl größte Gruppe, will gewerbsmäßige Sterbehilfe verbieten, auch die organisierte etwa von Vereinen. Die dritte Gruppe will Ärzten die Suizidbeihilfe – unter strengen Auflagen – erlauben. Schließlich die vierte und liberalste Regelung will auch Sterbehilfe-Organisationen nicht verbieten, solange keine Gewinnabsicht dahinter steckt. Im Herbst soll der Bundestag entscheiden.
Beihilfe zur Selbsttötung nicht verboten – noch nicht?
Schon die erste Debatte war emotional aufgeladen und auch in der zweiten Debatte kochten die Emotionen hoch. Viele Abgeordnete berichteten über ihre persönlichen Schicksale, über die eigene Erkrankung, über den Tod von Familienangehörigen. Dabei gerieten die Begriffe immer mal wieder durcheinander, zum Beispiel, wenn verlangt wird, dass die „aktive Sterbehilfe“ unbedingt verboten werden müsse. Aktive Sterbehilfe aber ist Tötung auf Verlangen, und die ist seit jeher strafbar, daran soll nichts geändert werden.
Es geht vielmehr um den so genannten assistierten Suizid, also um die Beihilfe zur Selbsttötung. Die ist bislang nicht strafbar. Denn wenn die Haupttat nicht strafbar ist, dann kann auch die Hilfe dazu nicht belangt werden. Dass dies auch für Sterbehilfevereine gilt, die – vielleicht – ein Geschäft mit dem Tod machen, ist für viele unerträglich. Deswegen die verschiedenen Gesetzesinitiativen.
Die Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid gilt selbstverständlich auch für Ärzte, aber sie können trotzdem in Schwierigkeiten geraten. Denn das Berufsrecht verbietet es ihnen, einem Sterbewilligen zu helfen. Ihnen drohen Geldbußen in beträchtlicher Höhe oder letztlich können sie sogar die Approbation verlieren.
„Frage zur Suizid-Beihilfe muss dem individuellen ärztlichen Gewissen überlassen bleiben.“
Seit Juni 2011 gibt es eine entsprechende Empfehlung der Bundesärztekammer – der Arzt sei verpflichtet, Hilfe zum Leben zu leisten, nicht Hilfe zum Sterben. Zehn Bundesländer haben diese Empfehlung in ihr Berufsrecht übernommen. Ein unhaltbarer Zustand, denn die Frage der Suizid-Beihilfe muss dem individuellen ärztlichen Gewissen überlassen bleiben. Wenn aber die Angst das Handeln des Arztes bestimmt, kann das nicht im Sinne der Patienten sein.
Am meisten Unterstützung findet bisher der Entwurf, der die geschäftsmäßige Sterbehilfe verbieten soll. Davon sollen auch Ärzte betroffen sein, die mehreren Patienten beim Suizid helfen. Für „völlig verfehlt“ halten dies die Initiatoren eines Aufrufs von 140 Strafrechtslehrern, darunter auch die ehemalige Generalbundesanwältin Monika Harms, der Vorsitzende Richter am BGH Prof. Dr. Thomas Fischer und der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, Mitglied im Ethik-Rat.
„Völlig verfehlt“, weil man einem Arzt nicht auferlegen könne, dass er beim Suizidwunsch eines neuen Patienten nicht mehr seinem Gewissen folgen darf, wenn er das schon einmal bei einem anderen Patienten gemacht hat. Nach Auffassung der Strafrechtslehrer kann und darf die Suizidbeihilfe niemals strafbar sein, auch nicht, wenn sie von Vereinen angeboten wird. Denen könnte man jedoch strenge Regeln auferlegen.
Nur wenige Abgeordnete denken so wie die Strafrechtsprofessoren. Dabei sollte klar sein, dass jeder Mensch über sein Ende selbst bestimmen kann. Nicht das Strafgesetzbuch, sondern das Grundgesetz ist maßgeblich: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“
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- Annette Wilmes