Es ist nicht für alle Menschen selbstverständlich, anderen zu helfen, wenn diese bei einem Verkehrsunfall verunglücken oder Opfer eines Verbrechens werden. Manche Menschen schauen tatenlos zu, wenn anderen Schlimmes widerfährt - oder behindern sogar die Erste Hilfe durch professionelle Helfer.
Dieses Verhalten mag an Ignoranz liegen, vielleicht liegt es aber auch daran, dass manche Menschen nicht richtig einschätzen können, wann sie anderen helfen müssen.
„Um zu erkennen, wann man helfen muss, sollte man sich immer fragen: ‚Was würde ich mir wünschen, wenn ich in dieser Lage wäre‘?“, sagt die Berliner Rechtsanwältin Gesine Reisert von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV).
Anderen helfen und Erste Hilfe leisten: Wann ist man verpflichtet, anderen zu helfen?
Über die autonome Einschätzung einer Situation hinaus gibt es juristische Vorgaben für die Hilfe in Notsituationen. „Bei der Hilfeleistung handelt es sich um eine weitreichende gesetzliche Pflicht“, sagt Rechtsanwältin Gesine Reisert.
Erste Hilfe: Wann muss man anderen helfen?
Die gesetzliche Pflicht zur Hilfeleistung hängt nicht davon ab, wie gut oder erfolgreich man einem Opfer helfen kann. Die Pflicht greift vielmehr in bestimmten Notsituationen. Diese beschreibt das Strafgesetzbuch (StGB) in § 323c. Danach ist man zur Hilfeleistung zum Beispiel bei gemeiner Gefahr oder Not verpflichtet. Eine gemeine Gefahr oder Not besteht dann, wenn die Allgemeinheit gefährdet ist, etwa durch plötzlich eintretende Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder ein Erdbeben.
Zum Helfen verpflichtet ist man auch bei Unglücksfällen. Unter Unglücksfälle können Verkehrsunfälle fallen, aber auch Straftaten wie Raub oder Körperverletzung. Allerdings stuft der Gesetzgeber nicht jede Körperverletzung als Unglücksfall ein. Eine Körperverletzung ist nur dann ein Unglücksfall, wenn dem Opfer erhebliche Gefahr droht, wie das Kammergericht Berlin geurteilt hat (AZ: 1 Ss 330/00).
Unterlassene Hilfeleistung: Welche Strafen können drohen?
Wer die gesetzliche Pflicht zur Hilfeleistung missachtet, macht sich unter Umständen der unterlassenen Hilfeleistung schuldig, was straf- und zivilrechtliche Konsequenzen haben kann. In besonders gravierenden Fällen von unterlassener Hilfeleistung stehen den Opfern Schmerzensgeld und Schadensersatz von denjenigen zu, die ihnen nicht geholfen und sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht haben. Dabei können sich Opfer auf § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) stützen, der die Schadensersatzpflicht regelt.
Im Prozess um einen Renter, der in einer Essener Bank zusammenbrach und bewusstlos liegen gelassen wurden, wurden im September 2017 drei Angeklagte wegen unterlassener Hilfeleistung strafrechtlich zu Geldstrafen von bis zu 3600 Euro verurteilt. Eine Überwachungskamera im Vorraum der Bank hatte den aufsehenerregenden Fall dokumentiert. Auf dem Weg zum Bankautomaten stiegen Kunden demnach über den Zusammengebrochenen oder machten einen großen Bogen um ihn. Der Rentner war nach dem Vorfall im Oktober 2016 nicht wieder zu Bewusstsein gekommen und eine Woche später gestorben. Ein Gutachten ergab, dass er auch gestorben wäre, wenn ein Arzt früher gekommen wäre.
Die Verteidigung der 39-Jährigen sowie der 55 und 61 Jahre alten Männer hatte Freisprüche gefordert. Die Frau und der 61-Jährige hatten ausgesagt, sie hätten den 83-Jährigen für einen schlafenden Obdachlosen gehalten. Das Urteil fällte das Amtsgericht Essen-Borbeck.
Unterlassene Hilfeleistung: Wann muss man nicht helfen?
Die gesetzliche Pflicht zur Hilfeleistung erlischt nur dann, wenn die Hilfe offensichtlich nutzlos ist, weil zum Beispiel das Opfer die Hilfe ablehnt, andere bereits helfen oder es gestorben ist.
Außerdem hängt die Pflicht zur Hilfeleistung für andere auch davon ab, was einem Helfer zuzumuten ist und über welche Möglichkeiten und Fähigkeiten zum Helfen er oder sie verfügt. Deshalb steht zum Beispiel ein Arzt viel stärker in der gesetzlichen Pflicht, Hilfe zu leisten, als ein medizinischer Laie. Auch ein Schwimmer ist in größerem Umfang verpflichtet, etwa einem in Not geratenen Badenden zu retten als ein Nicht-Schwimmer.
Außerdem gilt: Man darf sein eigenes Leben nicht riskieren, um anderen zu helfen. Bei einer Gefahr für das eigene Leben hat die gesetzliche Pflicht zur Hilfeleistung ihre stärkste Grenze. „In Fällen, in denen man sich bei der Hilfeleistung selbst gefährdet, darf sie rechtlich nicht mehr verlangt werden“, sagt Rechtsanwältin Reisert. „Es kommt immer darauf an, was für jemanden zumutbar ist, der helfen will“, sagt Reisert.
Erste Hilfe und Hilfeleistung: Wer zahlt, wenn ein Helfer sich verletzt oder seine Sachen beschädigt werden?
Wer anderen hilft und zum Beispiel Erste Hilfe leistet, ist von der gesetzlichen Unfallversicherung geschützt: Die gesetzliche Unfallversicherung springt ein, wenn sich ein Helfender bei der Hilfeleistung verletzt oder seine Sache beschädigt oder beschmutzt werden.
Unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen Helfende auch dann, wenn sie sich bei einem Verkehrsunfall zum Beispiel wegen eines Ausweichmanövers verletzen. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) berichtet über einen Fall, bei dem ein Motorradfahrer stürzte, weil er einem Fahrradfahrer auswich, der ihm die Vorfahrt genommen hatte. Obwohl der Motorradfahrer privat unterwegs war, stand er bei dem Sturz unter dem gleichen Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung wie bei einem Arbeitsunfall.
Der Motorradfahrer wollte den Radfahrer von Verletzungen verschonen, so die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht. Das Ausweichmanöver sei eine „Rettungstat“, der Motorrad stehe somit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, urteilte das Sozialgericht Dortmund am 2. November 2016 (AZ: S 17 U 955/14).
- Datum
- Aktualisiert am
- 19.09.2017
- Autor
- ime