Liebe Lena S.,
vielen Dank für Ihre Frage, deren Antwort sicherlich viele Leserinnen und Leser interessiert.
Die Antwort lautet Jein. Hier spielt der Begriff der betrieblichen Übung eine zentrale Rolle. Dies hat nichts mit einer Feuerübung in einem Unternehmen zu tun, sondern bezeichnet den Umstand, wenn durch die Wiederholung bestimmter Leistungen durch den Arbeitgeber der Arbeitnehmer Rechtsansprüche auf diese Leistungen begründen kann. Aber der Reihe nach.
Arbeits- oder Tarifvertrag kann Weihnachtsgeldzahlung erzwingen
Zunächst lohnt ein Blick in Ihren Arbeits- und, soweit er anwendbar ist, in den Tarifvertrag. Hier können sich Hinweise auf verbindliche Extrazahlungen wie das Weihnachtsgeld verstecken. Manchmal kann Weihnachtsgeld als Teil der Gesamtzulage im Arbeitsvertrag festgeschrieben sein.
Ob das Weihnachtsgeld Teil einer Gesamtzulage ist, können Sie beim Betriebsrat erfragen. Und zuletzt kann dieses Geld manchmal auch im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes erstritten werden. Beispielsweise, wenn Kollegen Weihnachtsgeld vertraglich zugesichert bekommen, Sie aber nicht.
Wenn all das keinen Rechtsanspruch bringt, wird die betriebliche Übung mitunter relevant.
Betriebliche Übung kann das Streichen von Weihnachtsgeld verhindern
Das Arbeitsgericht Bonn hat sich vor einigen Jahren des Themas Weihnachtsgeld angenommen und entschieden, dass Arbeitnehmer dann einen Anspruch auf die zusätzliche Gratifikation haben, wenn in drei aufeinanderfolgenden Jahren vorbehaltlos das Weihnachtsgeld gezahlt wurde (AZ: 5 Sa 604/10).
Vorbehaltlos bedeutet hier, dass der Arbeitgeber das Weihnachtsgeld nicht als einmalige Leistung bezeichnet oder ähnliche Formulierungen nutzt. Diese Ansicht – drei Jahre in Folge – hat sich inzwischen durchgesetzt.
Kein automatischer Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld
Entscheidend ist hier, dass durch die Zahlungen in den Vorjahren dem Arbeitnehmer der Eindruck vermittelt worden ist, dass er auch in Zukunft mit dem zusätzlichen Geld rechnen kann.
In folgenden Fällen greift die betriebliche Übung für Arbeitnehmer nicht:
- Wenn die Höhe der Zahlungen in den vorangegangenen Jahren variiert haben, so dass der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen kann, es gebe generell immer zusätzliches Geld. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) (Urteil vom 28. Februar 1996; AZ: 10 AZR 516/95). Variieren Zahlungen aber nur geringfügig (beispielsweise 1400, 1500 und 1600 Euro in drei Jahren), kann eventuell doch schon die betriebliche Übung greifen. Das muss von Fall zu Fall geklärt werden.
- Wenn der Arbeitgeber in den vorangegangenen Jahren Formulierungen verwendet hat, die auf Einzelzahlungen hinweisen, wie beispielsweise „nur in diesem Jahr“ oder „einmalig“. Auch hier kann der Arbeitnehmer nicht darauf schließen, dass er stets Urlaubs- oder Weihnachtsgeld bezieht, sondern weiß, dass sich die Zahlung (zunächst) nur auf dieses eine Jahr beschränkt – auch wenn es einige Jahre lang so gehandhabt wurde. Auch das entschied das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 16. April 1997; AZ: 10 AZR 705/96).
Formulierungen oft entscheidend für die betriebliche Übung
Doch auch hier kann es andere Entscheidungen geben. Die betriebliche Übung hat sich über das Gewohnheitsrecht herausgebildet. Das bedeutet: Hierzu gibt es kein Gesetz, auf das sich Arbeitnehmer oder Arbeitgeber berufen können.
Häufig sitzt der Teufel in dem hier erwähnten Formulierungsdetail. So kann es passieren, dass Arbeitgeber das Weihnachtsgeld drei Jahre in Folge mit einer formulierten Einschränkung auszahlen, um das Entstehen einer betrieblichen Übung zu vermeiden – und dennoch ein Anspruch entsteht.
Um es einfach zu halten: Wenn Arbeitgeber beispielsweise mehrere einschränkende Klauseln in die Formulierung einbauen, kann trotzdem ein Anspruch auf Extrageld auch im vierten Jahr bestehen. Aus Minus und Minus wird plus, gewissermaßen.
Daher empfiehlt es sich für Arbeitgeber bei der Wahl der Formulierungen anwaltlichen Rat einzuholen, etwa hier. Und auch Arbeitnehmer sollen im Zweifelsfall die Formulierungen von Arbeitsrechtsexperten prüfen lassen.
Wie Arbeitgeber eine betriebliche Übung abschaffen können
Hat sich die betriebliche Übung aber etabliert, wird es für Arbeitgeber knifflig, diese wieder abzuschaffen.
Früher war es möglich, dass Arbeitgeber die Zahlungen in drei weiteren Jahren unter Freiwilligkeitsvorbehalt gewährten. Will heißen: Wenn die Mitarbeiter dem nicht widersprechen, war die betriebliche Übung anschließend Vergangenheit.
Nach neueren Urteilen des BAG geht diese Praxis inzwischen nicht mehr. Nun muss der betreffende Mitarbeiter einem solchen Ansinnen des Vorgesetzten explizit zustimmen. (Urteile: AZ: 10 AZR 281/08 und 3 AZR 123/08).
Bei Streit um das Weihnachtsgeld: anwaltlicher Rat
Zuletzt bleibt die Frage, wie Arbeitnehmer und Arbeitgeber damit umgehen sollten, wenn es Unklarheiten über den Anspruch auf Weihnachts- oder Urlaubsgeld gibt. Hier empfiehlt sich für beide Seiten, sich einen Anwalt an die Seite zu stellen. Wie beschrieben, ist die Rechtslage nicht so einfach zu durchschauen und häufig handelt es sich bei Streitereien in solchen Bereichen um Einzelfallentscheidungen.
Liebe Lena S., ich hoffe, Ihnen weitergeholfen zu haben und wünsche Ihnen und allen weiteren Lesern eine fröhliche Adventszeit.
Es grüßt Sie aus Berlin,
Ihr Swen Walentowski
- Datum
- Aktualisiert am
- 02.12.2016
- Autor
- Swen Walentowski