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Echt Recht?

Darf der Chef Urlaubs- und Weihnachtsgeld streichen?

Für Arbeitnehmer ist es mitunter knifflig zu überprüfen, ob sie einen Anspruch auf Weihnachts- und Urlaubsgeld haben. © Quelle: DAV

Jedes Jahr gab es Urlaubs- und Weihnachtsgeld – bis zu diesem. So ergeht es unserer Leserin Lena S. aus Bremen. Ob sie nicht ein Recht darauf habe, fragt sie uns – und Swen Walentowski liefert die Antwort und erklärt, was das mit einer „betrieb­lichen Übung“ zu tun hat.

Liebe Lena S.,

vielen Dank für Ihre Frage, deren Antwort sicherlich viele Leserinnen und Leser interessiert.

Die Antwort lautet Jein. Hier spielt der Begriff der betrieb­lichen Übung eine zentrale Rolle. Dies hat nichts mit einer Feuerübung in einem Unternehmen zu tun, sondern bezeichnet den Umstand, wenn durch die Wieder­holung bestimmter Leistungen durch den Arbeitgeber der Arbeit­nehmer Rechts­an­sprüche auf diese Leistungen begründen kann. Aber der Reihe nach.

Arbeits- oder Tarifvertrag kann Weihnachts­geld­zahlung erzwingen

Zunächst lohnt ein Blick in Ihren Arbeits- und, soweit er anwendbar ist, in den Tarifvertrag. Hier können sich Hinweise auf verbindliche Extrazah­lungen wie das Weihnachtsgeld verstecken. Manchmal kann Weihnachtsgeld als Teil der Gesamt­zulage im Arbeits­vertrag festge­schrieben sein.

Ob das Weihnachtsgeld Teil einer Gesamt­zulage ist, können Sie beim Betriebsrat erfragen. Und zuletzt kann dieses Geld manchmal auch im Rahmen des Gleich­be­hand­lungs­grund­satzes erstritten werden. Beispielsweise, wenn Kollegen Weihnachtsgeld vertraglich zugesichert bekommen, Sie aber nicht.

Wenn all das keinen Rechts­an­spruch bringt, wird die betriebliche Übung mitunter relevant.

Betriebliche Übung kann das Streichen von Weihnachtsgeld verhindern

Das Arbeits­gericht Bonn hat sich vor einigen Jahren des Themas Weihnachtsgeld angenommen und entschieden, dass Arbeit­nehmer dann einen Anspruch auf die zusätzliche Gratifi­kation haben, wenn in drei aufein­an­der­fol­genden Jahren vorbehaltlos das Weihnachtsgeld gezahlt wurde (AZ: 5 Sa 604/10). 

Vorbehaltlos bedeutet hier, dass der Arbeitgeber das Weihnachtsgeld nicht als einmalige Leistung bezeichnet oder ähnliche Formulie­rungen nutzt. Diese Ansicht – drei Jahre in Folge – hat sich inzwischen durchgesetzt.

Kein automa­tischer Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld

Entscheidend ist hier, dass durch die Zahlungen in den Vorjahren dem Arbeit­nehmer der Eindruck vermittelt worden ist, dass er auch in Zukunft mit dem zusätz­lichen Geld rechnen kann.

In folgenden Fällen greift die betriebliche Übung für Arbeit­nehmer nicht:

  • Wenn die Höhe der Zahlungen in den vorangegangenen Jahren variiert haben, so dass der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen kann, es gebe generell immer zusätzliches Geld. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) (Urteil vom 28. Februar 1996; AZ: 10 AZR 516/95). Variieren Zahlungen aber nur geringfügig (beispielsweise 1400, 1500 und 1600 Euro in drei Jahren), kann eventuell doch schon die betriebliche Übung greifen. Das muss von Fall zu Fall geklärt werden.
  • Wenn der Arbeitgeber in den vorangegangenen Jahren Formulierungen verwendet hat, die auf Einzelzahlungen hinweisen, wie beispielsweise „nur in diesem Jahr“ oder „einmalig“. Auch hier kann der Arbeitnehmer nicht darauf schließen, dass er stets Urlaubs- oder Weihnachtsgeld bezieht, sondern weiß, dass sich die Zahlung (zunächst) nur auf dieses eine Jahr beschränkt – auch wenn es einige Jahre lang so gehandhabt wurde. Auch das entschied das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 16. April 1997; AZ: 10 AZR 705/96).

Formulie­rungen oft entscheidend für die betriebliche Übung

Doch auch hier kann es andere Entschei­dungen geben. Die betriebliche Übung hat sich über das Gewohn­heitsrecht heraus­ge­bildet. Das bedeutet: Hierzu gibt es kein Gesetz, auf das sich Arbeit­nehmer oder Arbeitgeber berufen können.

Häufig sitzt der Teufel in dem hier erwähnten Formulie­rungs­detail. So kann es passieren, dass Arbeitgeber das Weihnachtsgeld drei Jahre in Folge mit einer formulierten Einschränkung auszahlen, um das Entstehen einer betrieb­lichen Übung zu vermeiden – und dennoch ein Anspruch entsteht.

Um es einfach zu halten: Wenn Arbeitgeber beispielsweise mehrere einschränkende Klauseln in die Formulierung einbauen, kann trotzdem ein Anspruch auf Extrageld auch im vierten Jahr bestehen. Aus Minus und Minus wird plus, gewissermaßen.

Daher empfiehlt es sich für Arbeitgeber bei der Wahl der Formulie­rungen anwalt­lichen Rat einzuholen, etwa hier. Und auch Arbeit­nehmer sollen im Zweifelsfall die Formulie­rungen von Arbeits­rechts­experten prüfen lassen.

Wie Arbeitgeber eine betriebliche Übung abschaffen können

Hat sich die betriebliche Übung aber etabliert, wird es für Arbeitgeber knifflig, diese wieder abzuschaffen.

Früher war es möglich, dass Arbeitgeber die Zahlungen in drei weiteren Jahren unter Freiwil­lig­keits­vor­behalt gewährten. Will heißen: Wenn die Mitarbeiter dem nicht widersprechen, war die betriebliche Übung anschließend Vergan­genheit.

Nach neueren Urteilen des BAG geht diese Praxis inzwischen nicht mehr. Nun muss der betreffende Mitarbeiter einem solchen Ansinnen des Vorgesetzten explizit zustimmen. (Urteile: AZ: 10 AZR 281/08 und 3 AZR 123/08).

Bei Streit um das Weihnachtsgeld: anwalt­licher Rat

Zuletzt bleibt die Frage, wie Arbeit­nehmer und Arbeitgeber damit umgehen sollten, wenn es Unklar­heiten über den Anspruch auf Weihnachts- oder Urlaubsgeld gibt. Hier empfiehlt sich für beide Seiten, sich einen Anwalt an die Seite zu stellen. Wie beschrieben, ist die Rechtslage nicht so einfach zu durchschauen und häufig handelt es sich bei Streitereien in solchen Bereichen um Einzel­fall­ent­schei­dungen.

Liebe Lena S., ich hoffe, Ihnen weiter­ge­holfen zu haben und wünsche Ihnen und allen weiteren Lesern eine fröhliche Adventszeit.

Es grüßt Sie aus Berlin,

Ihr Swen Walentowski

Datum
Aktualisiert am
02.12.2016
Autor
Swen Walentowski
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Themen
Arbeit Arbeit­nehmer Urlaub Weihnachten

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