Das Arbeitsgericht in Berlin entschied, dass derjenige, der auf dem Weg zum Arzt seinen Arbeitgeber bittet, ihm diesen Tag als Urlaub anzurechnen, nicht abgemahnt werden kann. Auch nicht mit der Begründung, der Betroffene habe damit nicht die betriebsübliche Prozedur für einen Urlaubsantrag eingehalten. Eine Abmahnung mit dieser Begründung ist daher zu löschen. Das gilt auch für eine weitere Abmahnung, der Mitarbeiter habe keine ordentliche Übergabe des Arbeitsplatzes eingehalten und an seinem Arbeitsplatz habe das „blanke Chaos“ geherrscht.
Krankschreibung nach Degradierung
Der Mann arbeitet seit 1988 als Kreditanalyst bei einer Bank. Er pendelt von Hamburg zu seinem Arbeitsplatz nach Berlin. Zu seinem Aufgabengebiet gehörten Entscheidungen über Kredite von bis zu einer Million Euro. Bei einem Gespräch mit seinen Vorgesetzten wurde ihm sein Kreditrahmen auf 250.000 Euro gekürzt. Am Folgetag, einem Freitag, begab er sich zu seinem Arzt nach Hamburg. Seinen Arbeitgeber bat er per Mail, diesen Tag als Urlaub anzurechnen.
Der Arzt schrieb ihn fast einen Monat krank. Sein Arbeitgeber mahnte ihn daraufhin ab. Das Verhalten entspreche nicht dem üblichen Procedere für eine Urlaubsgewährung. Eine „Selbstbeurlaubung“ werde nicht toleriert. Im Übrigen habe er den Arbeitsplatz nicht ordnungsgemäß übergeben, vielmehr habe das „blanke Chaos“ geherrscht. Auf seinem Schreibtisch und dem Fenstersims hätten sich unsortiert Kreditanträge und weitere Papiere befunden.
Der Mitarbeiter wehrte sich gegen die Abmahnungen.
Ungerechtfertigte Abmahnung ist aus Personalakte zu löschen
Mit Erfolg. Das Gericht sah keinen Grund für die Abmahnungen. Daher müsse der Arbeitgeber diese aus der Personalakte löschen. Wegen der kränkenden Wirkung einer Abmahnung für vertragstreue Mitarbeiter habe die Rechtsprechung strenge Anforderungen an eine Abmahnung entwickelt. Es müsse eine Vertragsverletzung des Arbeitnehmers vorliegen. Das sei hier nicht der Fall.
Es habe sich nicht um eine übliche Urlaubsgewährung gehandelt. Schließlich sei der Mitarbeiter auch tatsächlich arbeitsunfähig krank geschrieben worden. Dieser habe seinem Arbeitgeber vielmehr eine Gefälligkeit erwiesen, weil er den Tag des Arztbesuches als Urlaubstag habe anrechnen lassen wollen. Es gebe auch keine Zweifel an der Krankschreibung.
Der Mitarbeiter sei auch nicht verpflichtet, den im Hause üblichen Vorlauf vor der Bewilligung von „Erholungsurlaub“ zu wahren, weil es – wie der Arbeitgeber auch wusste – nicht um einen Erholungsurlaub ging. Das Gericht wies ferner darauf hin, dass es schon aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen die Sache des Mitarbeiters sei, welchem Arzt er sein Vertrauen schenke. Daher habe der Arbeitgeber auch in Kauf nehmen müsse, dass er seinen Hausarzt in Hamburg und nicht am Arbeitsplatz in Berlin aufsuchte.
Abmahnung wegen Chaos ungerechtfertigt
Nahezu literarisch hat das Gericht auch begründet, warum das „blanke Chaos“ kein Abmahngrund ist: „Nicht minder problematisch wirkt auch die Diktion der Beklagten, wenn diese dem Kläger unter anderem vorhält, auf seinem Schreibtisch ‚das blanke Chaos’ hinterlassen zu haben. Bekanntlich gehört es für die Gerichte für Arbeitssachen zum langjährigen ‚Katechismus’ des ursprünglich richterrechtlich entwickelten Abmahnungsgebots, dass sich die Rüge auf ein ‚genau bezeichnetes Fehlverhalten’ zu beziehen habe“. Hier sei das Verhalten, das abgemahnt worden sei, nicht genau beschrieben worden. Es könne nicht dem Leser der Abmahnung überlassen bleiben, dies zu interpretieren.
Das Gericht gab auch noch einer weiteren Klage des Mannes statt: Der Kreditanalyst sollte wieder so arbeiten wie zuvor – also auch über einen Entscheidungsrahmen für Kredite bis eine Million Euro verfügen können. Hier habe der Arbeitgeber sein Direktionsrecht überzogen. Eine Begründung sei nicht ersichtlich.
Arbeitsgericht Berlin am 7. Februar 2014 (AZ: 28 Ca 1679/13)
- Datum
- Aktualisiert am
- 11.11.2014