Die an Alzheimer erkrankte Frau lebt in einem Seniorenheim. Ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen hatte der alten Dame 2009 eine Sturzneigung und Weglauftendenz bescheinigt und Pflegestufe III festgestellt. Auf Antrag ihrer Betreuerin hatte das Amtsgericht Fixierungsmaßnahmen für die Frau genehmigt. Das Heim machte davon aber nur in Form eines Bettgitters Gebrauch.
Weggelaufen und gestürzt
Im August 2010 wurde die Bewohnerin wie jeden Tag in den Speisesaal geführt, in einen Sessel gesetzt hatte und an den Tisch geschoben. Kurze Zeit später bemerkte das Pflegepersonal, dass die Seniorin nicht mehr in ihrem Sessel saß. Sie war in das Treppenhaus gelaufen, dort gestürzt und hatte sich Brüche, unter anderem an Nase und Halswirbel, zugezogen. Die gesetzliche Krankenversicherung der Frau zahlte deswegen Behandlungskosten von über 20.000 Euro. Sie war der Meinung, dass das Altersheim den Sturz pflichtwidrig verursacht hätte: Am Sessel der Seniorin sei ein Fixierbrett anzulegen gewesen. Zudem sei die Bewohnerin des Seniorenheims pflichtwidrig nicht beaufsichtigt worden.
Die Kasse forderte die Erstattung der Behandlungskosten.
Keine Pflichtverletzung
Das sahen die Richter anders. Die Pflicht eines Seniorenheims sei begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit vernünftigem finanziellen und personellen Aufwand realisierbar seien. Maßstab müssten dabei das Erforderliche und das für Heimbewohner wie Pflegepersonal Zumutbare sein. Dabei müsse man besonders darauf beachten, dass die Würde, die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner gewahrt und gefördert würden.
Aus der Tatsache, dass ein Schaden eingetreten sei, könne man nicht im Nachhinein den Schluss ziehen, dass sich das Heim pflichtwidrig verhalten habe. Das Heim habe einen Beurteilungsspielraum, wenn es über freiheitsentziehende Maßnahmen wie etwa eine Fixierung entscheide. Sofern die Entscheidung vertretbar erscheine, führten Unfälle daher nicht zu einer Verantwortlichkeit des Heims.
Keine konkrete Gefahrensituation
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass sich die Bewohnerin nicht in einer konkreten Gefahrensituation befunden hatte. Die Seniorin sei schon seit längerer Zeit nicht mehr eigenständig aus ihrer jeweiligen Sitzposition aufgestanden. Eine zwangsweise Fixierung im Sessel habe man daher nicht mehr für erforderlich gehalten.
Das Anbringen eines Fixierbretts am Sessel sei eine Belastung für die Heimbewohner, so die Richter nach Zeugenaussagen. Mehrere Stunden am Tag mit einem Brett dicht am Körper fixiert zu sein, sei belastend, da dadurch die Sitzposition innerhalb des Sessels nur eingeschränkt verändert werden könne. Auch die Tochter der Frau hatte das Heim gebeten, auf das Fixierbrett zu verzichten.
Lückenlose Beaufsichtigung nicht zu leisten
Auch sei es keine Pflichtverletzung, dass sich die Heimbewohnerin zehn bis fünfzehn Minuten ohne Aufsicht im Speisesaal befunden habe. Die Forderung nach lückenloser Beaufsichtigung überschreite das wirtschaftlich Zumutbare. Im vorliegenden Fall seien die Türen des Speisesaals geöffnet gewesen, so dass Blicke des Heimpersonals in den Saal möglich gewesen seien. Dass niemand gesehen habe, wie die alte Frau wegging, sei keine Pflichtverletzung.
Landgericht Coburg am 24. Januar 2014, AZ: 22 O 355/13
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