Benötigt ein Schwerstbehinderter eine Dauerassistenz, um in der eigenen Wohnung zu leben, muss der Sozialhilfeträger dies bezahlen. Dies teilt die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mit.
Der Wunsch nach Leben in einer eigenen Wohnung
Der 27 Jahre alte Mann leidet seit seiner Geburt an einer Duchenne-Muskeldystrophie, einer schweren Muskelschwunderkrankung. Diese geht in der Regel mit einer Lebenserwartung von unter 30 Jahren einher. Körperbewegungen sind dem Mann mittlerweile nur noch mit dem Kopf und durch leichtes Anheben des gestreckten Fingers möglich. Er arbeitet nach abgeschlossener Ausbildung als Bürokaufmann in einer Werkstatt für behinderte Menschen und wohnte bisher in einem Pflegeheim. Da er in einer eigenen Wohnung leben wollte, verlangte er bereits Ende 2012 von dem zuständigen überörtlichen Sozialhilfeträger Unterstützung. Als er auch ein Jahr später noch keine Zusage hatte, beantragte er den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Erfolg in der zweiten Instanz: Assistenz ist zu zahlen
Das Sozialgericht Dresden lehnte dies noch ab: Es bestehe kein Eilbedürfnis: Der Mann sei im Pflegeheim ausreichend versorgt und gegen Gefahren geschützt.
Das sah das Landessozialgericht in Chemnitz anders und gab dem Mann Recht. Der Sozialhilfeträger sei verpflichtet, vorläufig, längstens für ein Jahr, dem Mann eine Dauerassistenz zu bezahlen. Diese koste (abzüglich des von der Pflegeversicherung gezahlten Teils) ca. 10.000 Euro monatlich. Das Sozialrecht gebe ambulanten Leistungen vor stationären Leistungen den Vorrang. Ein Kostenvergleich mit der – hier deutlich preisgünstigeren – Unterbringung im Heim sei nach dem Gesetz nur zulässig, wenn eine Unterbringung dort auch unter Berücksichtigung persönlicher oder familiärer Gründe zumutbar sei.
Im vorliegenden Fall gäben persönliche Gründe den Ausschlag, da dem Mann erstmals eine eigenständige Lebensführung ohne den geordneten Tagesablauf einer stationären Einrichtung ermöglicht werden solle. Eine solche eigenständige Lebensgestaltung außerhalb eines eher auf ältere Menschen ausgerichteten Pflegeheims sei gerade für junge Menschen von großer Bedeutung. Der selbstbestimmten Lebensführung als Kernbereich des Grundrechts auf Menschenwürde werde gerade im Sozialhilferecht höchster Rang eingeräumt. Durch die im Sozialrecht gesetzten Schwerpunkte habe der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass bei solch überragenden Gründen auch beachtliche Mehrkosten in Kauf zu nehmen seien.
Sächsisches Landessozialgericht am 12. Februar 2014 (AZ: L 8 SO 132/13 B ER)
Quelle: www.dav-sozialrecht.de
- Datum
- Aktualisiert am
- 24.06.2014