Anwältin/Anwalt suchen!

Merkzettel

Es befinden sich noch keine Anwälte in Ihrer Merkliste.

Tipps&Urteile

Kontinuität vs. Kindeswohl – alleiniges Sorgerecht für die Mutter

(red/dpa). Mit zunehmendem Alter kommt dem Kindes­willen eine immer größere Bedeutung zu, so auch dem Wunsch, bei welchem Elternteil das Kind leben möchte. Allerdings ist der Kindeswille hier nicht allein entscheidend. So kann er aus Gründen einer größtmög­lichen Kontinuität der Erziehung unberück­sichtigt bleiben.

Es ist sogar möglich, dass das alleinige Sorgerecht auf die Mutter übertragen wird, wenn sich die Eltern über den Aufenthalt des Kindes streiten. Das gilt selbst dann, wenn sich das Kind für einen Verbleib beim Vater ausgesprochen hat. So hat das Oberlan­des­gericht München in einer Entscheidung der Mutter das alleinige Sorgerecht ausgesprochen, obwohl das 14-jährige Mädchen sich nachdrücklich für einen Wechsel zum Vater nach Amerika ausgesprochen hat. Entscheidend war hier das Kindswohl, erläutert die Arbeits­ge­mein­schaft Famili­enrecht im Deutschen Anwalt­verein (DAV). So muss man sich über den Kindes­willen hinweg­setzen, wenn andere gewichtige Gründe dagegen sprechen. 

Aufent­halts­be­stim­mungsrecht bei der Mutter – Kindes­ent­ziehung durch den Vater

Die Eltern sind geschieden und haben eine gemeinsame Tochter, für die auch das gemeinsame Sorgerecht besteht. Lediglich für die Teilbe­reiche Gesund­heits­vorsorge und Aufent­halts­be­stimmung wurde der Mutter das Sorgerecht alleine übertragen. Der Vater ist US-Amerikaner, die Mutter polnische Staats­an­ge­hörige. Die Familie lebte während der Kleinkindzeit der Tochter etwa ein Jahr in Amerika, die übrige Zeit in Deutschland. Der Vater lebt mittlerweile wieder in den USA. 

Es gab eine Vielzahl von Umgangs- und Sorgerechts­ver­fahren. Die Tochter lebt seit der Trennung vorwiegend bei der Mutter, sie besucht derzeit eine Realschule. Von einem Besuch mit dem Vater in Amerika im Rahmen eines Ferien­besuchs im August 2012 kehrte die Tochter nicht mehr zurück. Erst nach einem Verfahren gemäß des Haager Kindes­ent­füh­rungs­über­ein­kommens wurde sie im Januar 2013 nach Deutschland zurück­ge­bracht.

Der Vater beantragte die Übertragung des alleinigen elterlichen Sorgerechts auf sich. Die Mutter hingegen wollte die gesamte elterliche Sorge alleine haben. Dem folgte das Famili­en­gericht. Dagegen wandte sich der Vater mit seiner Beschwerde. 

Gericht: Kontinuität geht vor Kindeswille – alleiniges Sorgerecht für die Mutter

Der Vater hatte beim Oberlan­des­gericht keinen Erfolg. Auf Antrag eines Elternteils könne in Teilbe­reichen oder auch ganz das Sorgerecht auf einen Elternteil übertragen werden, wenn dies dem Wohl des Kindes am besten entspreche. Regelungen zum Sorgerecht seien zwar nie endgültig. Im Laufe der Entwicklung eines Kindes zum Jugend­lichen sollten jedoch ohne äußere Umstände und Anlässe möglichst keine Änderungen erfolgen. Aus Kontinui­täts­gründen sollten die Entschei­dungen auch nicht beliebig oft wieder aufgerollt werden.

Nach einem Sachver­stän­di­gen­gut­achten bestehe zur Mutter eine gute, tiefe Bindung. An ihrer Erziehungs­fä­higkeit und Förder­kom­petenz bestünden keine Zweifel. Allein sie gewähr­leiste aufgrund ihrer bisherigen langjährigen Übernahme der Erziehung in Deutschland die größtmögliche Kontinuität. „Dem gegenüber bedeutet ein Wechsel zum Vater eine völlige Umstellung der jeweiligen geogra­phischen, kulturellen, persön­lichen und schulischen Situation“, erläutert das Gericht. 

Das Gericht setzte sich aber auch intensiv mit dem Wunsch der Tochter auseinander, künftig beim Vater in Amerika zu leben. Grundsätzlich sei auch der Kindeswille zu beachten, jedoch nur soweit dieser mit dem Kindeswohl zu vereinbaren sei. Insbesondere komme dem Kindes­willen dann eine erhebliche Bedeutung zu, „wenn die Erziehungs­eignung beider Eltern als gleich­wertig gut anzusehen ist, noch keine sonstigen Gesichts­punkte für eine eindeutige Entscheidung zu Gunsten des Aufenthalts bei einem Elternteil vorhanden sind“, erläutert das Gericht. Hier spreche aber das Kindeswohl dagegen. So kommt dem Kindes­willen auch einer 14-jährigen keine alleinige Bedeutung zu, wenn andere gewichtige Gründe dagegen sprechen. 

Kindeswille nur aus Wunsch­vor­stellung?

So stellte der Sachver­ständige fest, dass der Kindes­wunsch eigentlich dahin gehe, dass die Eltern wieder zusammenleben sollten. Auf die Frage, warum sie sich mit dem Vater besser verstehe als mit der Mutter, erklärte die Tochter, dass es mit der Mutter öfter Streit gebe, insbesondere um Hausaufgaben und schulische Belange. Für das Gericht war das nicht überra­schend, sondern vielmehr der Tatsache geschuldet, dass bei der Mutter das Alltagsleben seinen Preis verlangt. 

Insbesondere bei dem fünfmo­natigen Aufenthalt in Amerika stand das Freizeitleben mit Homeschooling, Verwand­ten­be­suchen und insbesondere unbegrenzten Reitmög­lich­keiten der pferde­be­geis­terten 14-jährigen im Vordergrund. Daher war für das Gericht klar, dass es – nachdem der Vater ein solches „Schwarz-weiß-Szenario“ aufgebaut hatte –, für die Tochter beim Vater schöner war. Gegen den Wunsch des Mädchens spreche auch, dass sie trotz Facebook-Accounts und generellem Internet­zugang seit ihrer Rückkehr aus Amerika keinerlei Kontakte zu den Verwandten gehabt habe. Auch war für das Gericht nicht nachvoll­ziehbar, warum ein 14-jähriges Mädchen auf seinen in Deutschland aufgebauten Freundeskreis vollständig verzichten wolle. Daher kam es zu dem Schluss, dass hier der Vater in den letzten Monaten ein durchweg positives Szenario aufgebaut habe, ohne dass die Tochter hierüber vollständig habe reflek­tieren und auch eventuelle Nachteile in Betracht ziehen können. 

Zweifel an Erziehungs­eignung des Vaters

Auch sprächen zwei weitere Punkte für einen Verbleib bei der Mutter, so das Gericht:

·      Die fünfmo­natige Kindes­ent­ziehung hat Zweifel an der generellen Erziehungs­eignung des Vaters geweckt. Auch hatte er durch die Schaffung der positiven Lebens­be­din­gungen während des Amerika­auf­enthalts eine psychische Drucksi­tuation aufgebaut, der sich eine 14-jährige nur schwer entziehen kann. „Dies ist gerade aber nicht Ausdruck einer hohen Erziehungs- und Förder­kom­petenz des Vaters“, stellten die Richter klar. Im Übrigen hat der Vater trotz seiner finanziellen Möglich­keiten einen Reitun­terricht in Deutschland nicht unterstützt.

·      Auch bestehen Zweifel, ob bei einem Umzug nach Amerika die Mutter noch ausreichend Kontakt zu ihrer Tochter hätte. Zwar hatte der Vater angeboten, eine fünfstellige Summe für die Flugkosten zu hinterlegen, doch es bleiben Zweifel. Insbesondere hat der Vater trotz anders­lau­tender Zusicherung das Kind der Mutter fünf Monate entzogen und in diesem Zeitraum lediglich einen Kontakt über Skype zugelassen. Das bei der Mutter bestehende Misstrauen gegenüber dem Vater sei daher durchaus nachvoll­ziehbar, so das Gericht. Auch hat der Vater die finanziellen Möglich­keiten, die Tochter weiterhin in Deutschland zu besuchen.

Negative Auswir­kungen, wenn Kindeswille ignoriert wird?

Die Vertreterin des Jugendamtes sah eine mögliche Gefährdung des Kindeswohls durch Ignorieren ihres klar geäußerten Willens. Dem folgten weder der Sachver­ständige noch das Gericht. Es sei zu erwarten, dass sich das Kind in Deutschland wieder wohl fühlen werde. Selbst wenn sich das Verhältnis zur Mutter zunächst eher verschlechtern würde, weil diese als Schuldige gesehen wird, komme keine andere Entscheidung in Betracht. Dies sei Folge eines Erziehungs­pro­zesses. Bei einer 14-jährigen handele es sich eben gerade nicht um eine Volljährige, die ihre wesent­lichen Lebens­um­stände selbst bestimmen dürfe. Auch Kinder müssten akzeptieren, dass ihre Erziehungs­be­rech­tigten wesentliche Entschei­dungen zu ihrem Wohl auch gegen ihren Willen träfen.

Daher sei es richtig, dass das Kind zunächst bei der Mutter wohne und die Schule abschließe. Der Sachver­ständige habe vorgeschlagen, dass die Tochter nach Abschluss der Schulaus­bildung mit 16 Jahren eventuell nach Amerika zum Vater wechseln könne. Die Mutter habe das akzeptiert.

Oberlan­des­gericht München am 12. Dezember 2013 (AZ: 2 UF  1230/13)

Quelle: www.dav-famili­enrecht.de  

Rechts­gebiete
Ehe- und Famili­enrecht Elterliche Sorge Sorgerecht

Zurück