Der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln, der die Spezialzuständigkeit für Arzthaftungsverfahren hat, entschied eine bislang ungeklärte Haftungsfrage: Gibt ein Apotheker in grob fehlerhafter Weise ein falsches Medikament an einen Patienten aus, haftet er für einen etwaigen gesundheitlichen Schaden des Patienten. Das gilt auch dann, wenn nicht aufgeklärt werden kann, ob der Schaden auf den Fehler des Apothekers zurückzuführen ist.
Der Fall
In dem von der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitgeteilten Fall wurde ein Junge im Juni 2006 mit einem Down-Syndrom (freie Trisomie 21) und einem Herzfehler geboren. Für September 2006 war eine Herzoperation geplant. Zur zwischenzeitlichen Behandlung sollte der Säugling ein digitalishaltiges, herzstärkendes Medikament erhalten. Aufgrund eines Versehens stellte der Arzt das Rezept in einer achtfach überhöhten Dosierung aus. Der Apotheker verkaufte dennoch das Medikament entsprechend der verschriebenen Rezeptur. Nachdem das Kind das Medikament wenige Tage erhalten hatte, erlitt es einen Herzstillstand und musste über 50 Minuten reanimiert werden. Zudem war der Darm des Jungen geschädigt. Die Eltern als Vertreter des Kindes forderten sowohl vom Arzt als auch vom Apotheker Schadensersatz und Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 200.000 Euro.
Apotheker haften wie Ärzte
Nachdem das Landgericht der Klage bereits überwiegend stattgegeben hatte, bestätigte das Oberlandesgericht die Entscheidung der ersten Instanz und ließ lediglich die Höhe des Schmerzensgeldes noch offen. Nach Ansicht des Gerichts hätte der Apotheker angesichts des Alters des Patienten die Überdosierung erkennen müssen. Das Kind weise fünf Jahre nach der Falschbehandlung eine Hirnschädigung in Form eines erheblichen Entwicklungsrückstands auf: Im Alter von fünf Jahren sei es noch nicht in der Lage, zu sprechen, zu laufen oder selbständig zu essen. Zwar sei unklar geblieben, ob der Entwicklungsrückstand auf die Falschmedikation und den Sauerstoffmangel nach dem Herzstillstand oder den angeborenen genetischen Defekt zurückzuführen sei. Dies dürfe jedoch nicht zu Lasten des Kindes gehen. Im Gegenteil müssten der Arzt und der Apotheker beweisen, dass der Schaden nicht aufgrund der Überdosierung entstanden sei. Dies sei ihnen nicht gelungen.
Neues Gesetz stärkt Patienten
Für den Bereich der Haftung von Ärzten für Behandlungsfehler ist seit langem folgende Verteilung der Beweislast anerkannt: Liegt nur ein sogenannter einfacher Behandlungsfehler vor, muss der Patient beweisen, dass der gesundheitliche Schaden auf der fehlerhaften Behandlung beruht. Bei einem groben Behandlungsfehler dagegen wird vermutet, dass der Schaden ursächlich auf den Fehler zurückgeht. Dies ist nun auch in dem seit 26. Februar 2013 geltenden Patientenrechtegesetz ausdrücklich gesetzlich geregelt.
Klarheit in bisher ungeklärter Frage
Diese Grundsätze hat das Gericht nun auch auf die Haftung von Apothekern übertragen und damit eine bisher in der Rechtsprechung ungeklärte Frage erstmals entschieden. Ein solcher Fehler wie der vorliegende dürfe einem Apotheker nicht unterlaufen, so die Richter. Angesichts des hochgefährlichen Medikamentes müsse der Apotheker in ganz besonderer Weise Sorgfalt walten lassen. Er hätte den Fehler im Rezept erkennen müssen. Es handele sich somit um einen groben Fehler. Die Anwendung der Grundsätze des groben Behandlungsfehlers auf vergleichbar schwerwiegende Fehler von Apothekern sei geboten, weil Sach- und Interessenlage gleichgelagert sei. Gerade wenn Medikament fehlerhaft verabreicht werden wie im vorliegenden Fall, könne das Zusammenwirken von Arzt, Apotheker und Medikament nicht sinnvoll getrennt werden.
Der Senat ließ die Revision zum Bundesgerichtshof. Insbesondere die Frage, ob die Grundsätze zum „groben Behandlungsfehler“ auf Apotheker entsprechend anzuwenden seien, habe grundsätzliche Bedeutung.
Oberlandesgericht Köln am 7. August 2013 (AZ: 5 U 92/12)
Quelle: www.dav-medizinrecht.de
- Datum
- Aktualisiert am
- 16.10.2013