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Fehlerhaft oder grob fehlerhaft: Beweis­last­umkehr

(DAV). Trägt ein Patient durch eine ärztliche Behandlung Schäden davon, kann er vor Gericht ziehen. Allerdings muss er dem Arzt dessen Verschulden nachweisen. Etwas anders gilt, wenn das Vorgehen des Mediziners grob fehlerhaft war: Dann muss nämlich der Arzt beweisen, dass ihn keine Schuld trifft.

Über diese Beweis­last­umkehr informiert die Arbeits­ge­mein­schaft Medizinrecht des Deutschen Anwalt­vereins (DAV) unter Hinweis auf eine Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts Hamm. 

Hirnschä­digung wegen geburts­hilf­licher Fehler?

Im November 2002 wurde ein Säugling mit gravie­renden Geburts­schäden geboren. Während des Geburts­vor­ganges war die Herzfrequenz des Kindes zeitweise lebens­ge­fährlich abgesunken. Die Hebamme schlug eine Blutgas­un­ter­suchung vor, was jedoch unterblieb. Die zuständige Ärztin nahm keine Schnitt­ent­bindung vor. Stattdessen wurde die Mutter zunächst rund 15 Minuten und ohne Beschleu­nigung des Geburts­vorgangs auf einen Geburts­hocker gesetzt. Schließlich kam es unter Einsatz der so genannten Kristel­lerhilfe – ein Handgriff, der die Geburt beschleunigen soll – zu einer spontanen Geburt. Hätte man einen Kaiser­schnitt durchgeführt, wäre das Kind 23 Minuten eher geboren worden. Aufgrund der mangel­haften Sauerstoff­ver­sorgung bei der Geburt erlitt der Junge schwere Hirnschäden.

Die Klage auf Feststellung der Schadens­er­satz­pflicht war erfolgreich. Das Gericht holte ein medizi­nisches Sachver­stän­di­gen­gut­achten ein. Auf dessen Basis bewerteten die Richter das Vorgehen der behandelnden Ärztin als grob fehlerhaft. Das heißt, die Vorgehensweise sei ein „eindeutiger Verstoß gegen bewährte ärztliche Behand­lungs­regeln oder gesicherte medizi­nische Erkenntnisse“. Dabei erscheine diese Vorgehensweise aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich, weil sie einem Arzt schlech­terdings nicht unterlaufen dürfe.

Die Richter erläuteten, dass der Einsatz des Geburts­hockers, nachdem die Herzfre­quenzwerte des Kindes auffällig geworden seien, fehlerhaft gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt hätte man sofort eine Schnitt­ent­bindung vornehmen müssen. Die statt dessen vorgenommenen Maßnahmen und das lange Aufschieben des Kaiser­schnitts habe den Bereich fachge­rechten Verhaltens eindeutig verlassen und sei medizinisch nicht mehr nachvoll­ziehbar.

Es sei unerheblich, ob schon einzelne Behand­lungs­schritte als grobe Fehler zu betrachten seien. Das Verhalten der Ärztin insgesamt jedenfalls sei als grob fehlerhaft zu bewerten.

Die Tatsache, dass die Maßnahmen nicht nur fehlerhaft, sondern grob fehlerhaft seien, habe die Beweislast umgekehrt: Nicht der Kläger habe die Schuld der Beklagten beweisen müssen, sondern diese ihre Unschuld.

Oberlan­des­gericht Hamm am 16. Mai 2014 (AZ: 26 U 178/12, nicht rechts­kräftig)

Quelle: www.dav-medizinrecht.de

Rechts­gebiete
Haftungsrecht (freie Berufe) Medizinrecht

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