Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg stellte klar, dass solche nicht strafbare Sterbehilfe des aktiven Behandlungsabbruch aufgrund des tatsächlichen oder mutmaßlichen Willens des Patienten die Ansprüche auf Witwenrente und Sterbegeld nicht ausschließt. Nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) ist damit klar, dass die Umsetzung einer Patientenverfügung bei einem zuvor erlittenen Arbeitsunfall keinen Ausschluss von der Hinterbliebenenleistung mit sich bringt.
Wachkoma nach Arbeitsunfall
Der Mann arbeitete als Verwaltungsangestellter in Berlin. Als Amtsbetreuer war er unter anderem auch für eine Vielzahl von Komapatienten verantwortlich. Im September 2006 fuhr er mit dem Fahrrad von seiner Arbeitsstelle nach Hause. Ein Motorrad erfasste ihn, und er schlug mit dem Kopf auf der Bordsteinkante auf. Als Folge des Schädel-Hirn-Traumas lag er im Wachkoma. Im März 2010 stellten die Fachärzte fest, dass eine Verbesserung des Gesundheitszustandes nicht mehr zu erwarten sei. In der Folgezeit reifte bei seiner Ehefrau die Entscheidung, die Versorgung ihres Mannes über die Magensonde einzustellen. Sie beriet sich auch mit ihren erwachsenen Söhnen. Sie hielten gemeinsam schriftlich fest: „Da eine Patientenverfügung in schriftlicher Form nicht vorliegt, nach meiner Kenntnis und der unserer Söhne sich mein Mann zu Zeiten vor seinem Unfall wiederholt und ganz klar geäußert hat, niemals nur durch lebensverlängernde Maßnahmen weiterleben zu wollen, haben wir in einem gemeinsamen Gespräch entschieden, sein Leiden nach fast vier Jahren zu beenden und ihn nun sterben zu lassen.“ Am 12. Juli 2010 wurde die Magensonde durchtrennt. Am 20. Juli verstarb der Mann an Unterernährung, ohne nach dem Unfall das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
Antrag auf Witwenrente und Sterbegeld
Die Witwe beantragte die Gewährung von Hinterbliebenenrente und Sterbegeld. Die Behörde lehnte dies ab, da in rechtlicher Weise kein Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Tod des Versicherten feststellbar sei. Letztlich sei der Betroffene an Unterernährung gestorben. Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Ehefrau wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts (Sterbehilfe) wurde eingestellt.
Tod nach Sterbehilfe als Unfallfolge
Für das Gericht war klar, dass der Witwe Sterbegeld und Witwenrente zustehen. Der Tod des Betroffenen sei aufgrund des Unfalls eingetreten und somit auch aufgrund eines Versicherungsfalls. Es sei unstreitig, dass der Verkehrsunfall ein Arbeitsunfall gewesen sei. Der Fahrradunfall habe zu einem Wachkoma geführt. Dieses sei wesentliche Ursache für den Tod des Mannes. Er habe derart schwere Verletzungen davongetragen, dass der Todeseintritt durch die Sofortbehandlung und die ununterbrochene intensive Pflege letztlich nur habe aufgeschoben werden können. „Der Erblasser war daher unfallbedingt nicht mehr selbständig lebensfähig, sondern todgeweiht“, so das Gericht. Durch das Einstellen der künstlichen Ernährung sei der durch den Verkehrsunfall verursachte natürliche Sterbeprozess wieder in Gang gesetzt worden. Die Durchtrennung der Magensonde ändere nichts daran, dass wesentliche Todesursache der Unfall war.
Folgen des Urteils
Diese Entscheidung ist sowohl für das Erbrecht wie auch das Sozialrecht besonders wichtig. Der Gesetzgeber möchte, dass die Menschen Patientenverfügungen aufsetzen. Deren gesellschaftliche Akzeptanz steigt. Mit dem Urteil ist nunmehr klar, dass die Umsetzung einer Patientenverfügung bei einem zuvor erlittenen Arbeitsunfall keinen Ausschluss der Hinterbliebenenleistungen herbeiführt.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg am 7. November 2013 (AZ: L 3 U 36/12)
Quelle: www.dav-erbrecht.de
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