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Arzthaf­tungs­prozess: Gebot des fairen Verfahrens gilt besonders

(DAV). Wenn sich Patienten gegen ihre Ärzte gerichtlich wehren, haben sie es nicht immer leicht. Es besteht ein Informa­ti­ons­gefälle zwischen Patient und Arzt. Daher muss das Gericht in einem Arzthaf­tungs­prozess für Ausgleich sorgen und die Rechte der Patienten besonders wahren.

So hat das Oberlan­des­gericht (OLG) Hamm entschieden, dass das Gericht in einem Arzthaf­tungs­prozess in besonderem Maße für ein faires Verfahren zu sorgen hat. Es komme typischerweise zu einem Informa­ti­ons­gefälle zwischen der ärztlichen Seite und dem Patienten. Daher muss das Gericht auch ein spätes Gutachten des klagenden Patienten noch berück­sichtigen, erläutert die Arbeits­ge­mein­schaft Medizinrecht des Deutschen Anwalt­vereins (DAV).

Behand­lungs­fehler bei Geburt?

Auf Veranlassung ihres behandelnden Arztes hatte sich die schwangere Frau ins Krankenhaus begeben. Dort wurde der Junge nach Untersu­chungen durch Kranken­haus­ärz­tinnen etwa drei Stunden später mittels Kaiser­schnitt geboren. Die Eltern behaupteten, eine unzurei­chende ärztliche Betreuung seiner Mutter habe zu einer mehrstündigen Sauerstoff­un­ter­ver­sorgung des Kindes geführt. Dies habe bei ihm zu schwer­wie­genden geistigen und körper­lichen Störungen unter anderem in Form einer fokalen Epilepsie, einer schweren psycho­mo­to­rischen Retardierung und einer zentralen Sehmin­derung geführt.

Hierfür verlangten die Eltern für ihren Sohn, der im juristischen Sinne der Kläger war, Schadens­ersatz, insbesondere ein Schmer­zensgeld von 150.000 Euro und eine monatliche Schmer­zens­geldrente von 300 Euro. Es sei anlässlich der Geburt zu ärztlichen Fehlbe­hand­lungen gekommen. 

Erste Instanz lehnt Privat­gut­achten ab

Das Landgericht Bielefeld hatte ein gynäko­lo­gisches Sachver­stän­di­gen­gut­achten und ein neonato­lo­gisches Sachver­stän­di­gen­gut­achten eingeholt. Die Richter ließen sich die Gutachten durch die Sachver­ständigen mündlich erläutern. Über die bei dem Kind eingetretenen Folgen hatte es zudem durch ein nur mündlich erstattetes Gutachten des neonato­lo­gischen Sachver­ständigen Beweis erhoben.

Drei Tage vor der letzten mündlichen Verhandlung legten die Eltern noch ein privat­ärzt­liches Gutachten vor, das die Ergebnisse des gynäko­lo­gischen Gutachtens angriff. Dies wiesen die Richter jedoch als verspätet zurück.

Das Gericht wies die Klage gegen das Krankenhaus und die Kranken­hausärzte ab, da kein Behand­lungs­fehler feststellbar sei. Den Arzt, der die Frau während der Schwan­ger­schaft betreut hatte, verurteilte es, weil er die Frau zu spät und ohne ausrei­chenden Hinweis auf Auffäl­lig­keiten ins Krankenhaus eingewiesen habe.

OLG: Auf Interessen des Patienten in Arzthaf­tungs­prozess besonders achten

Beide Seiten gingen in Berufung. Das OLG Hamm verwies die Sache zurück. Die Entscheidung des Landge­richts verletze die Verfah­rens­rechte des Klägers. Das vorgelegte Privat­gut­achten habe das Landgericht zu Unrecht zurück­ge­wiesen. In einem Arzthaf­tungs­prozess, in dem es typischerweise ein Informa­ti­ons­gefälle zwischen Arzt und Patient gebe, müsse das Gericht in besonderem Maße für ein faires Verfahren sorgen. Dazu gehöre es, der medizinisch nicht sachkundigen Partei Gelegenheit zu geben – auch nachdem ein gericht­liches Gutachten bereits

vorliege –, noch einmal mithilfe eines weiteren Mediziners zu schwierigen medizi­nischen Fragen Stellung zu nehmen.

Andernfalls wäre die Partei in den meisten Fällen nicht in der Lage, dem gericht­lichen Sachver­ständigen abweichende medizi­nische Lehrmei­nungen vorzuhalten, auf mögliche Lücken der Begutachtung hinzuweisen und etwaige Widersprüche aufzuzeigen. Vor diesem Hintergrund sei es nicht gerecht­fertigt gewesen, dem Kläger die Chance zu nehmen, den gericht­lichen Sachver­ständigen mit den Einwänden des Privat­gut­achters zu konfron­tieren. Dem Landgericht hätte der Widerspruch bei dem gynäko­lo­gische Gutachter auffallen müssen: Er habe einerseits dem Arzt die nicht erkannte Dringlichkeit einer Klinik­ein­weisung vorgeworfen, andererseits aber der Klinik noch für einen Zeitraum von mehreren Stunden die vage Möglichkeit einer vaginalen Entbindung zugestanden. 

Kläger und Anwalt müssen Gutachten nachvoll­ziehen können

Es sei auch ein Fehler gewesen, zu den schwierigen medizi­nischen Fragen der Behand­lungs­folgen nur ein mündliches Sachver­stän­di­gen­gut­achten einzuholen und kein schrift­liches Gutachten anzufordern. Dies deswegen, weil Kranken­un­terlagen gefehlt hätten und der Sachver­ständige bestimmte Fragen ad hoc nicht habe beantworten können. In einem solchen Fall könne ein in der Verhandlung nur mündlich erstattetes Gutachten allenfalls von einem medizi­nischen Sachver­ständigen sofort nachvollzogen werden, aber kaum von den weiteren Verfah­rens­be­tei­ligten – einschließlich der Anwälte und des Gerichts. 

Oberlan­des­gericht Hamm am 30. Januar 2015 (AZ: 26 U 5/14)

Quelle: www.dav-medizinrecht.de

Rechts­gebiete
Haftungsrecht (freie Berufe) Medizinrecht

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