Seit dem ersten Warnstreik Anfang September des letzten Jahres konnten sich die Deutsche Bahn und die Gewerkschaft GDL auf keinen neuen Tarifvertrag einigen. Seither streikten die Lockführer der Bahn insgesamt 186 Stunden im Personen- und sogar 231 im Güterverkehr. Nun läuft der bisher längste Streik – 138 Stunden insgesamt und das am Stück. Aber darf die Gewerkschaft zu einem Streik in dieser Länge überhaupt aufrufen?
Bei Bedrohung der Existenz kann Streik untersagt werden
Hier spielt der Begriff ‚Übermaßverbot’ eine Rolle. Sollte ein regelrechter Exzess der eingeleiteten Kampfmaßnahmen gegeben ist, kann das Übermaßverbot verletzt sein. Dann wäre eben über Maß gehandelt worden – und ein Streik unverhältnismäßig.
Dr. Johannes Schipp, Rechtsanwalt und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV), sagt allerdings: „Diese Grenzen sind allgemein weit gefasst.“ Klar sei aber auch: „Ein Unternehmen darf nicht totgestreikt werden.“
In einem solchen Fall könnte ein Streik untersagt werden. Doch trotz einem Millionenschaden wird es beim Milliardenunternehmen Deutsche Bahn soweit nicht kommen.
Kleine Gewerkschaft, große Wirkung: Kampfparität gewahrt?
Streiks zu unterbinden oder zu beschränken ist knifflig. Natürlich können sich auch kleine Gewerkschaften wie der GDL auf das Grundgesetz berufen. Denn das Streikrecht ist in Deutschland ein Grundrecht, im Grundgesetz in Artikel 9 (3) geregelt.
Nichtsdestotrotz mehren sich die Stimmen, die die Macht kleiner Gewerkschaften als zu groß erachten. Arbeitsrechtsexperte Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer sagte bereits beim GDL-Streik im letzten November gegenüber der Deutschen Anwaltauskunft: „Gewerkschaften wie die GDL können dem Arbeitgeber im Arbeitskampf mit relativ geringem Aufwand großen finanziellen Schaden zufügen, so dass das Kräftegleichgewicht – die sogenannte Kampfparität – nicht mehrt gewahrt ist.“
‚Kampfparität’ muss zwischen den verhandelnden Tarifpartnern bestehen. Der Begriff besagt, dass es ein Stärkegleichgewicht auf beiden Seiten geben muss. Inwieweit das in diesem Fall gewahrt ist, lässt sich schwer ermitteln.
Ein Gericht könnte den Bahnstreik (zwischenzeitlich) stoppen
Offenbar sieht die Bahn allerdings wenige Chancen, den Streik gerichtlich verbieten zu lassen. Der Konzern könnte versuchen, eine einstweilige Verfügung vor Gericht zu erwirken und den Bahnstreik zumindest zwischenzeitlich auf Eis zu legen. Das zuständige Gericht würde kurzfristig einen Termin anberaumen und sehr zeitnah entscheiden.
Bisher gibt es allerdings keine Hinweise durch die Bahn darauf. Das hat womöglich mit dem vergangenen November zu tun.
Denn damals ist der Konzern vor Gericht gescheitert. Vor dem Frankfurter Arbeitsgericht argumentierte die Deutsche Bahn, dass der damalige Streik unverhältnismäßig sein und erkannte zudem ein Verstoß gegen die Friedenspflicht von Tarifparteien. Doch teilte das Gericht diese Einschätzung nicht und ließ die Gewerkschaft weiter streiken.
Generell: Wann Gewerkschaften streiken dürfen
Und auch aus der Tatsache, dass die GDL ihren ersten Warnstreik dieser Tarifvertragsverhandlungen im September abhielten, kann man ihnen keinen Strick drehen. „Streiks sind immer das Mittel zur Durchsetzung eines Tarifvertrages“, erklärt Rechtsanwalt Schipp.
Gestreikt werden darf nur anlässlich von Tarifverhandlungen und auch nur dann, wenn es keinen Tarifvertrag gibt oder ein bestehender ausgelaufen ist – wie es bei der GDL der Fall war. Während der Geltungsdauer eines Tarifvertrages gilt die Friedenspflicht – in dieser Zeit dürfen Arbeitnehmer nicht streiken.
Hintergrund: Darum dauern die Tarifverhandlungen noch immer an
Die monetären und arbeitserleichternden Forderungen der GDL sind die eine Sache. So fordert die Gewerkschaft nicht nur bessere Arbeitsbedingungen für die Lokführer. In der Gewerkschaft sind auch einige Zugbegleiter organisiert. Für sie versucht die GDL fünf Prozent mehr Gehalt bei einer Stunde weniger Arbeitszeit zu erreichen.
Damit einher gehen aber auch strategische Erwägungen: Die GDL ist eine relativ kleine Gewerkschaft, gerade im Vergleich zur ungleich größeren und konkurrierenden EVG. Die GDL möchte sich derzeit vergrößern und auch für andere Berufsgruppen innerhalb der Bahn AG interessant werden.
Daneben stört sich die Gewerkschaft vor allem an einem Gesetz, dass der Bundestag noch diesen Sommer verabschieden soll. Künftig soll pro Betrieb nämlich nur noch die jeweils größere Gewerkschaft Tarifverträge abschließen können. Streiken dürfte die GDL als kleinere Gewerkschaft als die EVG dann faktisch nicht mehr – und ein möglicher neuer Tarifvertrag wäre ungültig.
Zwar haben Gewerkschaftsvertreter bereits Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das bevorstehende Gesetz angekündigt und in der Tat ist nach jüngeren Gerichtsentscheidungen fraglich, ob ein solches Gesetz wirklich Bestand hätte. Nichtsdestotrotz wären der GDL nach Gesetzesverabschiedung zunächst die Hände gebunden bezüglich der Durchsetzung ihrer Forderungen – auch deshalb erhöht sie jetzt den Druck.
- Datum
- Aktualisiert am
- 04.05.2015
- Autor
- ndm