
Millionen Radfahrer in Deutschland können aufatmen. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hat heute geurteilt, dass Radfahrer nicht haften, wenn sie unbehelmt unterwegs sind und sich bei einem Unfall schwer am Kopf verletzen. Sie bekommen auch ohne Helm auf dem Kopf den vollen Schadensersatz zugesprochen (AZ: VI ZR 281/13).
Verhandelt hatten die Karlsruher Richter in einem Fall, der sich 2011 ereignete. Dabei ging es um eine 58jährige Radfahrerin aus dem norddeutschen Glücksburg. Sie verletzte sich auf dem Weg zur Arbeit schwer am Kopf, als eine am Straßenrand parkende Autofahrerin die Tür ihres Wagens öffnete. Die Radlerin prallte gegen die Tür und stürzte. Die Radfahrerin hatte den Unfall nicht verursacht, dennoch bescheinigte ihr das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig eine Mitschuld an den Unfallfolgen, weil sie keinen Schutzhelm getragen hatte. Die Richter kürzten ihren Schadensersatzanspruch um 20 Prozent (AZ: 7 U 11/12).
Nur wenige Radfahrer tragen Helm
Demgegenüber begründen die Richter am Bundesgerichtshof ihr aktuelles Urteil damit, dass es in Deutschland keine allgemeine Helmpflicht gibt. Zwar könne jemandem auch ohne eine solche Pflicht eine Mitschuld angelastet werden, wenn er die nötige Sorgfalt außer Acht gelassen habe, um Schaden von sich abzuwenden. Das treffe allerdings nur zu, wenn „das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre“, so die Karlsruher Richter in ihrem heutigen Urteil.
In der juristischen Fachsprache bedeutet das „allgemeine Verkehrsbewusstsein“, dass Helme üblich sind. Das waren sie im Jahr 2011 nach Ansicht der Bundesrichter allerdings nicht. Die Richter verweisen in ihrer Urteilsbegründung auf repräsentative Zahlen der Bundesanstalt für Straßenwesen, denen zu Folge im Jahr 2011 nur 11 Prozent aller Radfahrer mit Helm auf dem Kopf fuhren.
„Wir haben es hier mit einem richtungsweisenden Urteil zu tun“, erklärt Swen Walentowski, der Sprecher der Deutschen Anwaltauskunft. „In Stein gemeißelt muss das Urteil allerdings nicht die nächsten hundert Jahre Bestand haben. Wenn immer mehr erwachsene Fahrradfahrer einen Helm tragen, ändert sich das sogenannte allgemeine Verkehrsbewusstsein. Dadurch ist es durchaus vorstellbar, dass der BGH in 15 Jahren anders entscheidet.“
Umstrittenes Urteil
Das Urteil des OLG Schleswig war unter Juristen von Beginn an umstritten. Ihm entgegen stand etwa das Urteil der Richter am OLG Celle. Sie hatten im Februar 2014 über einen Fall verhandelt, in dem es um zwei Radfahrer ging, die zusammengestoßen waren. Einer von ihnen war ohne Helm unterwegs und verletzte sich beim Unfall am Kopf. Die Richter sprachen diesem Radfahrer Schadensersatz in voller Höhe zu und verneinten in ihrem Urteil, dass es ein „allgemeines Verkehrsbewusstsein“ pro Helm in der Gesellschaft gebe.
Zudem sei es statistisch nicht erwiesen, dass Fahrradhelme in signifikanter Weise zur Abwendung von Kopfverletzungen beitragen könnten, so die Richter. Das Problem sei die Frage eines generellen Mitverschuldens bei einem Unfall zwischen Fußgängern und Radfahrern, wenn beide Kopfverletzungen erleiden. Es bestünden Abgrenzungsschwierigkeiten. Eine Einzelfallbetrachtung, so die Richter, werde den tatsächlichen Verhältnissen am besten gerecht (AZ: 14 U 113/13).
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- Datum
- Aktualisiert am
- 19.06.2014
- Autor
- ime