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Verkehrssicherheit

Keine Helmpflicht auf dem Fahrrad: Unschuldige Radfahrer haften nicht bei Unfall

Ob Radfahrer ohne Helm bei einem Unfall Mitschuld tragen, ist umstritten. © Quelle: Baker/corbisimages.com

Fahrrad­fahrer müssen in Deutschland keinen Helm tragen. Werden sie unschuldig in einen Unfall verwickelt, müssen sie nicht mithaften, auch wenn sie sich am Kopf verletzten. Das hat der Bundes­ge­richtshof 2014 entschieden. Dass das auch heute noch gilt, hat das Oberlan­des­gericht (OLG) Nürnberg nun bestätigt. Das Rechts­portal anwalt­auskunft.de erklärt die Urteile und zeigt, was Radfahrer wissen müssen.  

Immer wieder machen tragische Verkehrs­unfälle Schlag­zeilen, bei denen Fahrrad­fahrer sich schwer am Kopf verletzten. Schnell werden dann Rufe nach einer Helmpflicht auf dem Fahrrad laut. Gesetzlich sind Radfahrer aber nicht verpflichtet, sich mit einem Helm zu schützen. Und es entspricht auch nicht dem allgemeinen Verständnis, dass man auf dem Fahrrad einen Helm tragen muss. Das haben die Gerichte mehrfach bestätigt.

Das Oberlan­des­gericht Nürnberg hat entschieden: Ist ein Radfahrer an einem Unfall beteiligt, aber nicht dafür verant­wortlich, haftet er nicht für seine Verletz­tungen. Und zwar auch dann nicht, wenn er ohne Helm unterwegs war, und der Helm ihn hätte schützen können (Entscheidung vom 28. August 2020, AZ: 13 U 1187/20). Das berichtet die Arbeits­ge­mein­schaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwalt­vereins (DAV).

Nach Feststel­lungen sowohl des Gerichts als auch des Bundesamts für Straßenwesen tragen etwa 80 Prozent der erwachsenen Fahrrad­fahrer innerorts keinen Helm. Die Richter schlossen daraus: Man kann nicht davon ausgehen, dass Fahrrad­fahren per se so gefährlich ist, dass man einen Helm tragen muss.

Helmpflicht: Tragen eines Fahrradhelms keine allgemeine Verkehrs­auf­fassung

Dem Urteil lag folgender (Un)fall zugrunde: Die Klägerin war mit dem Rad unterwegs und kollidierte mit einem rechts abbiegenden Auto. Sie stürzte und erlitt unter anderem eine Schädel­fraktur.

Von dem Autofahrer verlangte sie Schadens­ersatz und Schmer­zensgeld. Die Versicherung des Fahrers zahlte der Frau 15.000 Euro Schmer­zensgeld. Sie war der Ansicht, dass die Frau für ihre Verletz­tungen zum Teil selbst verant­wortlich war: Hätte sie einen Fahrradhelm getragen, wäre sie nicht so schwer am Kopf verletzt worden.

Das Landgericht sah das anders. Es sah keine Mithaftung der Fahrrad­fahrerin und sprach der Frau 25.000 Schmer­zensgeld zu und. Dagegen legte die Versicherung Berufung ein.

Gericht: Keine Mithaftung bei Unfall ohne Fahrradhelm

Das Oberlan­des­gericht teilte größtenteil die Auffassung der ersten Instanz: Die Frau sei für die Unfall­folgen nicht verant­wortlich.

Ausführlich beschäftigte sich das Gericht mit der Frage: Gibt es eine allgemeine Verkehrs­auf­fassung, nach der Radfahren so gefährlich ist, dass man einen Helm tragen sollte? Es kam zu dem Schluss: „Auch der heutige Erkennt­nisstand hinsichtlich der Möglich­keiten, dem Verlet­zungs­risiko durch Schutz­maß­nahmen zu begegnen, rechtfertigt noch nicht den Schluss, dass ein Radfahrer sich nur dann verkehrs­gerecht verhält, wenn er einen Helm trägt.“

Tragen von Fahrradhelm nicht verbreitet – keine Haftung

Ein Mitglied des Gerichts zählte regelmäßig selbst in Nürnberg, wie viele Radfahrer einen Helm tragen. Das Ergebnis entsprach dem des Bundesamtes für Straßenwesen: Innerorts tragen nur 18 Prozent über alle Alters­gruppen einen Fahrradhelm, außerorts 22,8 Prozent (Stand 2019). Das bedeutet, dass es kein allgemeines Bewusstsein für das Tragen eines Fahrradhelms besteht.

Allerdings hielt das Oberlan­des­gericht das Schmer­zensgeld von 25.000 Euro trotz der Verlet­zungen für zu hoch und sprach der Frau 20.000 Euro zu.

Bundes­ge­richtshof 2014: Keine Helmpflicht, keine Mithaftung bei Unfall

Mit dem Urteil stellte das OVG klar, dass auch heute keine Helmpflicht auf dem Fahrrad gilt. Bereits 2014 hatte der Bundes­ge­richtshof (BGH) entschieden, dass Radfahrer ohne Helm keine Mitschuld an einem Unfall tragen (Urteil vom 17. Juni 2014 - VI ZR 281/13). Der zugrun­de­liegende Fall ereignete sich aber bereits 2011. Die Karlsruher Richter konnten deswegen nur für die Zeit bis 2011 entscheiden, dass Radfahrer in Deutschland keine Helmpflicht einhalten müssen.

In dem zugrun­de­lie­genden Fall ging es um eine Frau, die in der Innenstadt mit dem Fahrrad unterwegs war. Sie trug keinen Fahrradhelm. Als die Fahrerin eines geparkten Autos die Tür öffnete, konnte die Radfahrerin nicht mehr ausweichen. Sie fuhr gegen die Fahrertür und stürzte zu Boden. Dabei fiel sie auf den Hinterkopf und zog sich schwere Schädel-Hirnver­let­zungen zu. Sie verletzte sich vor allem deshalb so schwer, weil sie keinen Fahrradhelm trug.

In der Vorinstanz hatte das OLG Schleswig der Frau noch eine Mithaftung von 20 Prozent zugesprochen (OLG Schleswig – Entscheidung vom 5. Juni 2013 - 7 U 11/12).

Der Bundes­ge­richtshof hob dieses Urteil auf. Die Richter erklärten: Ein Unfallopfer muss zwar unter Umständen auch mithaften, wenn es nicht gegen Vorschriften verstoßen, sich aber unachtsam und unverant­wortlich verhalten hat. Das wäre hier der Fall, wenn das Tragen von Schutz­helmen zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrs­be­wusstsein zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre. Ein solches Verkehrs­be­wusstsein hat es  zum Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin jedoch noch nicht gegeben.

Unfall unter Radfahrern: Auch keine Mithaftung ohne Fahrradhelm

Bei einem Unfall unter Radfahrern muss der unschuldigte Beteiligte ebenfalls nicht haften, auch wenn er keinen Helm tragt. Das zeigt eine Entscheidung des OLG Celle von 2014, wie die Arbeits­ge­mein­schaft Verkehrsrecht informiert.

In dem Fall kollidierte ein Radfahrer auf einer abschüssigen Straße mit einer Radfahrerin. Diese war an dem Unfall schuld, weil sie vor dem Abbiegen nicht nach hinten geschaut hatte. Der Mann verletzte sich bei dem Sturz schwer am Kopf. Das Landgericht sprach dem Radler nur 80 Prozent des geforderten Schmer­zens­geldes zu, weil er keinen Fahrradhelm getragen hatte. Ein Sachver­ständiger hatte ermittelt, dass ein Fahrradhelm die Verletzung teilweise hätte verhindern können.

Eine gesetzliche Helmpf­licht für Fahrrad­fahrer gebe es zwar nicht. Insbe­sondere sei zu berücksich­tigen, dass der Fahrer auf einem Rennrad mit ca. 25 bis 30 km/h gefahren sei, wodurch er als sportlich ambitio­nierter Fahrer zu betrachten sei. Dies sei vergleichbar mit Skifahrern oder Reitern, die bei der Ausübung ihres Sports ebenfalls in der Regel Helme trügen.

Gericht: Wenn der Gesetzgeber eine Helmpflicht will, muss er eine einführen

Diese Argumen­tation des Landge­richts überzeugte das Oberlan­des­ge­richt nicht. Es kassierte die Entscheidung und sprach dem verletzten Fahrrad­fahrer umfassend Schmer­zensgeld und materi­ellen Schadens­ersatz zu. Es bestehe keine allge­meine Helmpf­licht für Radfahrer. So sähen es auch überwiegend die Gerichte.

Die Lage eines Radfahrers sei auch nicht mit der eines Reiters oder Skifahrers vergleichbar. Denn dies seien reine Hobbys. Die spezi­fi­schen Risiken würden sich gerade aus dem Fehlen allge­meiner Verkehrs­regeln ergeben. Für den Straßen­verkehr gebe es aber Regeln, und diese sähen eben keine Helmpf­licht vor. Nur dort, wo es keine gesetz­lichen Vorschriften gebe, könne eine solche Helmpf­licht gefolgert werden. Kurzum: Würde der Gesetz­geber eine solche wollen, könne er sie einführen.

Wer sich hohen Risiken aussetzt, muss einen Helm tragen

Verletzt sich ein Sport-Radfahrer im Straßen­verkehr, weil er sich bewusst erhöhten Risiken aussetzt, könne man ihm vorwerfen, dass er keinen Helm getragen habe. Im vorlie­genden Fall habe man jedoch gerade keine riskante Fahrweise feststellen können. Der Radler sei zwar auf einem Sportrad zum Zwecke des Ausdau­er­trai­nings und auf einer abschüssigen Straße mit einer Geschwin­digkeit von 25-30 km/h unterwegs gewesen. Zu der Kollision sei es aber nur gekommen, weil die Radfah­rerin nach links in ein Grundstück habe einbiegen wollen und dabei ihrer Rückschau­pflicht nicht nachge­kommen sei.

Zudem sei bislang auch nicht hinrei­chend nachge­wiesen, dass Fahrradhelme tatsächlich vor Kopfver­let­zungen schützen. Dass sie tendenziell schützen, genüge nicht für eine allgemeine Helmpflicht.

Fazit: Keine Helmpflicht auf dem Fahrrad

  • Fahrradfahrer in Deutschland müssen keinen Helm tragen.
  • Werden sie unschuldig in einen Unfall verwickelt, müssen sie nicht mithaften - egal, ob sie mit oder ohne Helm unterwegs waren.
  • Das gilt auch dann, wenn ein Fahrradhelm die Verletzungen verhindert hätte.
Datum
Aktualisiert am
26.10.2020
Autor
red
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Themen
Fahrrad Strafzettel Straßen­verkehr Unfall Unfall­ver­si­cherung

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