Immer wieder machen tragische Verkehrsunfälle Schlagzeilen, bei denen Fahrradfahrer sich schwer am Kopf verletzten. Schnell werden dann Rufe nach einer Helmpflicht auf dem Fahrrad laut. Gesetzlich sind Radfahrer aber nicht verpflichtet, sich mit einem Helm zu schützen. Und es entspricht auch nicht dem allgemeinen Verständnis, dass man auf dem Fahrrad einen Helm tragen muss. Das haben die Gerichte mehrfach bestätigt.
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat entschieden: Ist ein Radfahrer an einem Unfall beteiligt, aber nicht dafür verantwortlich, haftet er nicht für seine Verletztungen. Und zwar auch dann nicht, wenn er ohne Helm unterwegs war, und der Helm ihn hätte schützen können (Entscheidung vom 28. August 2020, AZ: 13 U 1187/20). Das berichtet die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV).
Nach Feststellungen sowohl des Gerichts als auch des Bundesamts für Straßenwesen tragen etwa 80 Prozent der erwachsenen Fahrradfahrer innerorts keinen Helm. Die Richter schlossen daraus: Man kann nicht davon ausgehen, dass Fahrradfahren per se so gefährlich ist, dass man einen Helm tragen muss.
Helmpflicht: Tragen eines Fahrradhelms keine allgemeine Verkehrsauffassung
Dem Urteil lag folgender (Un)fall zugrunde: Die Klägerin war mit dem Rad unterwegs und kollidierte mit einem rechts abbiegenden Auto. Sie stürzte und erlitt unter anderem eine Schädelfraktur.
Von dem Autofahrer verlangte sie Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die Versicherung des Fahrers zahlte der Frau 15.000 Euro Schmerzensgeld. Sie war der Ansicht, dass die Frau für ihre Verletztungen zum Teil selbst verantwortlich war: Hätte sie einen Fahrradhelm getragen, wäre sie nicht so schwer am Kopf verletzt worden.
Das Landgericht sah das anders. Es sah keine Mithaftung der Fahrradfahrerin und sprach der Frau 25.000 Schmerzensgeld zu und. Dagegen legte die Versicherung Berufung ein.
Gericht: Keine Mithaftung bei Unfall ohne Fahrradhelm
Das Oberlandesgericht teilte größtenteil die Auffassung der ersten Instanz: Die Frau sei für die Unfallfolgen nicht verantwortlich.
Ausführlich beschäftigte sich das Gericht mit der Frage: Gibt es eine allgemeine Verkehrsauffassung, nach der Radfahren so gefährlich ist, dass man einen Helm tragen sollte? Es kam zu dem Schluss: „Auch der heutige Erkenntnisstand hinsichtlich der Möglichkeiten, dem Verletzungsrisiko durch Schutzmaßnahmen zu begegnen, rechtfertigt noch nicht den Schluss, dass ein Radfahrer sich nur dann verkehrsgerecht verhält, wenn er einen Helm trägt.“
Tragen von Fahrradhelm nicht verbreitet – keine Haftung
Ein Mitglied des Gerichts zählte regelmäßig selbst in Nürnberg, wie viele Radfahrer einen Helm tragen. Das Ergebnis entsprach dem des Bundesamtes für Straßenwesen: Innerorts tragen nur 18 Prozent über alle Altersgruppen einen Fahrradhelm, außerorts 22,8 Prozent (Stand 2019). Das bedeutet, dass es kein allgemeines Bewusstsein für das Tragen eines Fahrradhelms besteht.
Allerdings hielt das Oberlandesgericht das Schmerzensgeld von 25.000 Euro trotz der Verletzungen für zu hoch und sprach der Frau 20.000 Euro zu.
Bundesgerichtshof 2014: Keine Helmpflicht, keine Mithaftung bei Unfall
Mit dem Urteil stellte das OVG klar, dass auch heute keine Helmpflicht auf dem Fahrrad gilt. Bereits 2014 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass Radfahrer ohne Helm keine Mitschuld an einem Unfall tragen (Urteil vom 17. Juni 2014 - VI ZR 281/13). Der zugrundeliegende Fall ereignete sich aber bereits 2011. Die Karlsruher Richter konnten deswegen nur für die Zeit bis 2011 entscheiden, dass Radfahrer in Deutschland keine Helmpflicht einhalten müssen.
In dem zugrundeliegenden Fall ging es um eine Frau, die in der Innenstadt mit dem Fahrrad unterwegs war. Sie trug keinen Fahrradhelm. Als die Fahrerin eines geparkten Autos die Tür öffnete, konnte die Radfahrerin nicht mehr ausweichen. Sie fuhr gegen die Fahrertür und stürzte zu Boden. Dabei fiel sie auf den Hinterkopf und zog sich schwere Schädel-Hirnverletzungen zu. Sie verletzte sich vor allem deshalb so schwer, weil sie keinen Fahrradhelm trug.
In der Vorinstanz hatte das OLG Schleswig der Frau noch eine Mithaftung von 20 Prozent zugesprochen (OLG Schleswig – Entscheidung vom 5. Juni 2013 - 7 U 11/12).
Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil auf. Die Richter erklärten: Ein Unfallopfer muss zwar unter Umständen auch mithaften, wenn es nicht gegen Vorschriften verstoßen, sich aber unachtsam und unverantwortlich verhalten hat. Das wäre hier der Fall, wenn das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre. Ein solches Verkehrsbewusstsein hat es zum Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin jedoch noch nicht gegeben.
Unfall unter Radfahrern: Auch keine Mithaftung ohne Fahrradhelm
Bei einem Unfall unter Radfahrern muss der unschuldigte Beteiligte ebenfalls nicht haften, auch wenn er keinen Helm tragt. Das zeigt eine Entscheidung des OLG Celle von 2014, wie die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht informiert.
In dem Fall kollidierte ein Radfahrer auf einer abschüssigen Straße mit einer Radfahrerin. Diese war an dem Unfall schuld, weil sie vor dem Abbiegen nicht nach hinten geschaut hatte. Der Mann verletzte sich bei dem Sturz schwer am Kopf. Das Landgericht sprach dem Radler nur 80 Prozent des geforderten Schmerzensgeldes zu, weil er keinen Fahrradhelm getragen hatte. Ein Sachverständiger hatte ermittelt, dass ein Fahrradhelm die Verletzung teilweise hätte verhindern können.
Eine gesetzliche Helmpflicht für Fahrradfahrer gebe es zwar nicht. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass der Fahrer auf einem Rennrad mit ca. 25 bis 30 km/h gefahren sei, wodurch er als sportlich ambitionierter Fahrer zu betrachten sei. Dies sei vergleichbar mit Skifahrern oder Reitern, die bei der Ausübung ihres Sports ebenfalls in der Regel Helme trügen.
Gericht: Wenn der Gesetzgeber eine Helmpflicht will, muss er eine einführen
Diese Argumentation des Landgerichts überzeugte das Oberlandesgericht nicht. Es kassierte die Entscheidung und sprach dem verletzten Fahrradfahrer umfassend Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz zu. Es bestehe keine allgemeine Helmpflicht für Radfahrer. So sähen es auch überwiegend die Gerichte.
Die Lage eines Radfahrers sei auch nicht mit der eines Reiters oder Skifahrers vergleichbar. Denn dies seien reine Hobbys. Die spezifischen Risiken würden sich gerade aus dem Fehlen allgemeiner Verkehrsregeln ergeben. Für den Straßenverkehr gebe es aber Regeln, und diese sähen eben keine Helmpflicht vor. Nur dort, wo es keine gesetzlichen Vorschriften gebe, könne eine solche Helmpflicht gefolgert werden. Kurzum: Würde der Gesetzgeber eine solche wollen, könne er sie einführen.
Wer sich hohen Risiken aussetzt, muss einen Helm tragen
Verletzt sich ein Sport-Radfahrer im Straßenverkehr, weil er sich bewusst erhöhten Risiken aussetzt, könne man ihm vorwerfen, dass er keinen Helm getragen habe. Im vorliegenden Fall habe man jedoch gerade keine riskante Fahrweise feststellen können. Der Radler sei zwar auf einem Sportrad zum Zwecke des Ausdauertrainings und auf einer abschüssigen Straße mit einer Geschwindigkeit von 25-30 km/h unterwegs gewesen. Zu der Kollision sei es aber nur gekommen, weil die Radfahrerin nach links in ein Grundstück habe einbiegen wollen und dabei ihrer Rückschaupflicht nicht nachgekommen sei.
Zudem sei bislang auch nicht hinreichend nachgewiesen, dass Fahrradhelme tatsächlich vor Kopfverletzungen schützen. Dass sie tendenziell schützen, genüge nicht für eine allgemeine Helmpflicht.
Fazit: Keine Helmpflicht auf dem Fahrrad
- Fahrradfahrer in Deutschland müssen keinen Helm tragen.
- Werden sie unschuldig in einen Unfall verwickelt, müssen sie nicht mithaften - egal, ob sie mit oder ohne Helm unterwegs waren.
- Das gilt auch dann, wenn ein Fahrradhelm die Verletzungen verhindert hätte.
- Datum
- Aktualisiert am
- 26.10.2020
- Autor
- red