Wie das Statistische Bundesamt bekannt gibt, wurden allein 2017 mehr als 30.000 Menschen wegen unerlaubtem Entfernen vom Unfallort verurteilt, mit anderen Worten: wegen Fahrerflucht beziehungsweise Unfallflucht. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein – viele Unfallflüchtige werden nicht ermittelt. Für die Unfallopfer ist das sehr schwierig: Sie bleiben auf dem Schaden sitzen.
Wann spricht man von Fahrerflucht?
Dem Strafgesetzbuch nach begeht ein Unfallbeteiligter Fahrerflucht, wenn er sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, ohne
- den anderen Beteiligten und Geschädigten seine persönlichen Daten und seine Autonummer mitzuteilen und zu bestätigen, dass und wie er am Unfall beteiligt war oder
- eine angemessene Zeit zu warten
Unfallflucht: Tat muss im öffentlichen Straßenverkehr begangen worden sein
Entscheidend ist der Begriff „im Straßenverkehr“. Denn von einer Fahrerflucht spricht man nur, wenn der Unfall im öffentlichen Straßenverkehr passiert ist, etwa auf der Straße oder einem öffentlichen Parkplatz.
Rolltor auf Betriebsgelände beschädigt: Freispruch
Das zeigt unter anderem eine Entscheidung des Landgerichts (LG) Arnsberg vom 25. Oktober 2016 (AZ: 2 Qs 71/16). In dem von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitgeteilten Fall wurde einem Autofahrer vorgeworfen, das Rolltor einer Firma beschädigt und sich dann unerlaubt vom Unfallort entfernt zu haben. Das Tor befand sich im hinteren Teil eines Betriebsgeländes. Der Zugang zu diesem Teil war mit Ein- und Ausfahrtsschranken versehen.
Während das Amtsgericht den Autofahrer in erster Instanz wegen Unfallflucht verurteilt hatte, sah das Landgericht dies anders und hob die Entscheidung auf. Man spreche von öffentlichem Straßenverkehr oder öffentlichem Verkehrsraum, wenn jeder oder mindestens eine größere Personengruppe ihn benutzen dürfe, so das Gericht. Nach dieser Definition sei der hintere Teil des Betriebsgeländes, der allein der An- und Ablieferung von Waren diene, kein öffentlicher Verkehrsraum. Das gelte insbesondere, weil es nur nach Durchfahren einer Schranke zugänglich war. Deshalb liege in diesem Fall keine Fahrerflucht oder Unfallflucht vor.
Unfall auf Privatparkplatz: Keine Fahrerflucht
Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hatte einen ähnlichen Fall auf dem Tisch. Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über den Fall.
Es ging dabei ebenfalls um einen Unfall auf einem Privatparkplatz. Zur Zeit des Unfalls war die Schranke aber defekt, sodass der Parkplatz für jeden zugänglich war. Ein Schild wies den Parkplatz aber als Privatparkplatz aus. Demnach dürfte nur dort parken, wer eine Stellfläche gemietet hat. Eine Pkw-Fahrerin stieß auf dem Parkplatz mit ihrem Fahrzeug gegen ein anderes. Es entstand ein Schaden von 3.600 Euro. Sie bemerkte den Unfall, fuhr aber trotzdem weg, ohne ihre Daten zu hinterlassen.
Das OLG entschied: Eine Unfallflucht lag hier nicht vor (Entscheidung vom 11. November 2019 (AZ: 1 OLG 2 Ss 77/19)). Der Parkplatz sei als „Privatparkplatz“ ausgewiesen und stehe nur Mietern der Parkplätze zur Verfügung. Es sei nicht ersichtlich, dass der Parkplatz auch Dritten offen stehe. Dies sei jedoch die Voraussetzung, dass eine öffentliche Verkehrsfläche vorliege und damit die Voraussetzung für eine Verurteilung. Es reiche nicht aus, dass die Schranke zum Unfallzeitpunkt defekt war. In diesem Fall könne man also nicht von unerlaubtem Entfernen vom Unfallort im Sinne des Strafrechts sprechen.
Fahrerflucht: Wann die Versicherung zahlt
Für die Schäden haftet, wer den Unfall verursacht hat. Das unabhängig davon, ob er vom Unfallort geflüchtet ist oder sich dem Unfallgegner gestellt hat. Die Kosten des Opfers trägt in der Konsequenz die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers – zumindest solange der bekannt ist.
Ist der Verursacher nicht bekannt, bleibt das Opfer erstmal auf dem Schaden sitzen. Es sei denn, das Unfallopfer hat eine Vollkaskoversicherung, die würde den Schaden am eigenen Fahrzeug übernehmen. Allerdings würden in einem solchen Szenario trotzdem Kosten auf den Versicherten zukommen: Der Schadensfreiheitrabatt steigt mit jedem gemeldeten Unfall – bei Unfallflucht sogar dann, wenn der Verantwortliche gefasst wird. Dann allerdings könnte das Opfer sich die Mehrkosten vom Flüchtigen zurückholen.
Eine Teilkaskoversicherung hingegen kommt nicht für Unfallschäden auf. Hier sind “lediglich” Wildunfälle, Schäden durch Naturgewalten oder Diebstahl versichert.
Wichtig für Unfallopfer: Wenn der Verursacher Fahrerflucht begeht, können verletzte Unfallopfer sich an die Verkehrsopferhilfe wenden. Das gilt unabhängig von und jenseits der eigenen Versicherung.
Kann auch der Flüchtige den Unfallschaden am eigenen Fahrzeug bei seiner Versicherung geltend machen?
Nein, auch nicht bei einer Vollkaskoversicherung. Wer eine Versicherung abschließt, übernimmt damit in der Regel auch sogenannte Obliegenheitspflichten: So muss der Versicherte unter anderem seiner Versicherung genau erklären, wie es zu dem Unfall gekommen ist
Gibt nun jemand nicht an, Unfallflucht begangen zu haben, verstößt er gegen die Aufklärungsobliegenheit. Erfährt die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers- oder beteiligten später, dass er aus der Situation geflohen ist, fordert sie einen Teil der Schadenssumme zurück: Unfallflüchtige haften dann zwischen 2500 Euro und 5000 Euro.
Den Anspruch des Unfallopfers berührt das aber nicht. Die Haftpflichtversicherung des Verursachers übernimmt den Schaden des Opfers auch dann voll, wenn der Verursacher seiner Versicherung verheimlicht (hat), Fahrerflucht begangen zu haben.
Unfallflucht: Zeugen sind für Unfallopfer von Vorteil
Zeugen können dazu beitragen, den Unfall aufzuklären und an die Haftpflichtversicherung des Flüchtigen zu kommen. Sind keine Zeugen greifbar, ließe sich das Fremdverschulden gegenüber einer Versicherung auch über ein Sachverständigengutachten beweisen.
Fahrerflucht: Welche Strafen drohen?
Wer Unfallflucht begeht, muss mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe rechnen. Die Geldstrafe ist abhängig vom Einkommen des Fahrerflüchtigen und wird in Tagessätzen geregelt.
Außerdem ist ein Fahrverbot zwischen ein und drei Monaten möglich. Hat der Unfallflüchtige bedeutende Schäden verursacht, kann ihm der Führerschein auch entzogen werden. Als bedeutend stufen Richter je nach Gericht Schäden ab einer Summe von 1.000 Euro ein.
Strafe bei Unfallflucht: Das sagen die Gerichte
Unfallflucht in psychischen Ausnahmesituation: Keine Unfallflucht
Wer Fahrerflucht begeht, muss in der Regel mit Fahrverbot oder Führerscheinentzug rechnen. Ist der Autofahrer aber vor der Tat nicht negativ aufgefallen und danach längere Zeit auch nicht, muss der Führerschein nicht entzogen werden. Eine weitere Ausnahme kann sein, wenn der Fahrer sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden hat. Das geht aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg vom 27. Juli 2018 hervor (AZ: 2 Rev 50/18), über die die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des DAV informiert.
Die Frau hatte sich unerlaubt von einem Unfallort entfernt, wo sie einen Schaden von rund 2.000 Euro verursacht hatte. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts musste jedoch berücksichtigt werden, dass die Frau vor der Unfallflucht im Straßenverkehr nicht auffällig war. Auch fuhr sie seit dieser Unfallflucht seit einem Jahr und sieben Monaten weiter Auto, ohne auffällig zu werden. Hinzu komme, dass sie sich während der Tat in einer psychischen Ausnahmesituation befunden habe. Sie habe erst kurz zuvor erfahren, dass ihr in der Türkei lebender Ehemann ins Krankenhaus eingeliefert worden sei. Sie sei gedanklich und praktisch mit der Organisation ihrer Reise dorthin beschäftigt gewesen. Auch sei ein Schaden von rund 2.000 Euro nicht zu hoch.
Unfallflucht und Alkohol: Kein Versicherungsschutz und Geldstrafe
In einem Fall, den das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main auf dem Tisch hatte, ging es um einen Autofahrer, der mit 1,84 Promille Alkohol im Blut gegen einen abgestellten Anhänger gefahren war. Nachdem er mit einer Person gesprochen hatte, fuhr er weg, ohne seine Personalien zu hinterlassen. Zu Hause verständigte er später die Polizei. Er behauptete, zu Hause wegen des „Schocks“ zwei Bier und zwei Schnäpse getrunken zu haben.
Der sollte mehr als 8.000 Euro Schadensersatz zahlen. Außerdem erging gegen ihn ein Strafbefehl. Er erhielt eine Geldstrafe von 3.250 Euro. Zudem wurde ihm der Führerschein entzogen. Wegen der Unfallflucht und dem Nachtrunk weigerte sich die Versicherung zu zahlen.
Dagegen klagte der Mann. Ohne Erfolg: Die Versicherung durfte die Zahlung ablehnen. Der Mann hatte gegen seine Pflichten aus dem Versicherungsvertrag verstoßen. Die Unfallflucht allein wog schon schwer. Aber auch der Nachtrunk führte zum Haftungsausschluss der Versicherung.
Das Gericht hierzu: „Ein Nachtrunk stellt eine Obliegenheitsverletzung dar, wenn polizeiliche Ermittlungen zu erwarten sind.“ Wegen der Unfallflucht war dies der Fall. Schließlich hatte der Mann hinterher selbst die Polizei informiert. Der behauptete Nachtrunk verstehen die Gerichte oft als Täuschung. Die Betroffenen wollen damit meist die Feststellung des Alkoholisierungsgrads erschweren. Da dies letztlich die Feststellung des Sachverhalts insgesamt behindert, greifen die Versicherungsklauseln – die Versicherung kann die Zahlung verweigern (Urteil vom 24. Juni 2014, AZ: 3 U 66/13).
Wie müssen sich Unfallverursacher nach einem Parkrempler verhalten?
Auch bei leichteren Unfällen ohne Alkoholeinfluss müssen Autofahrer sich an feste Regeln halten – andernfalls wird es teuer. Bei einem Parkrempler ist folgendes zu tun
Wartezeit vor Ort einkalkulieren
Auf jeden Fall sollten Unfallverursacher am Ort des Geschehens warten, wenn sie zum Beispiel ein Auto touchiert haben, sein Halter aber nicht greifbar ist. In der Rechtsprechung kursiert die Leitlinie, dass Unfallverursacher eine “zumutbare Zeit warten müssen”.
Diese Zeitspanne wiederum kann situationsbedingt sehr unterschiedlich ausfallen. Wer mitten in der Nacht in eine Leitplanke fährt, sollte 15 bis 20 Minuten einkalkulieren. Auf dem Supermarktparkplatz sieht die Sache schon anders aus: Vor einer halben Stunde sollten Unfallverursacher nicht überlegen, das Feld zu räumen, weil sie davon ausgehen müssen, dass der Halter des beschädigten Fahrzeugs nur eben einkaufen ist.
Bei Fahrerflucht Polizei anrufen
Wenn trotz Wartezeit niemand kommt, sollte man die Polizei einschalten. Als erster Schritt genügt ein Telefonat, in denen alle relevanten Umstände geschildert werden sollten. Erst darauf sollten “Parkrempler” den vielbesprochenen Zettel auf der Windschutzscheibe mit den Kontaktdaten hinterlassen. Allein der Zettel ohne zu warten und die Polizei zu informieren, kann bereits den Tatbestand der Fahrerflucht erfüllen
Auf die Polizeiwache fahren
Nachdem man eine Zeit lang gewartet hat, ist es ratsam, zu einer Polizeistelle zu fahren und den Unfall noch einmal aufnehmen zu lassen.
Schadensersatz nach Fahrerflucht: Firmenname und Webadresse des Flüchtigen ausreichend
Um Schadensersatz zu bekommen ist es nicht zwingend erforderlich, das amtliche Kennzeichen des am Unfall beteiligten gegnerischen Fahrzeugs zu nennen. Es kann genügen, wenn hinreichende Anhaltspunkte wie Firmenaufschrift, Logo, Webadresse auf dem andern Fahrzeug genannt werden, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit für eine Haltereigenschaft sprechen. Dies ergibt sich aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 31. März 2020 (AZ: 13 U 226/15), wie die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des DAV mitteilt.
Nach Fahrerflucht: So gehen die Behörden vor, um Unfallflüchtige zu ermitteln
Ob und in welchem Umfang die Polizei ermittelt, ist von der Schadenssumme abhängig. Bei Personenschäden ermittelt sie zum Beispiel immer. Ist das Kennzeichen bekannt, ermittelt die Polizei zunächst über Datensammelstellen – lokal zum Beispiel beim Berliner Kraftverkehrsamt oder bundesweit über “Zevis”: “Damit bekommt man deutschlandweit alle Kennzeichen”, sagt Dieter Ehlers, Hauptsachbearbeiter Verkehrsermittlungsdienst bei der Berliner Polizei. Wenn das Kennzeichen hingegen nicht bekannt ist, sind bei größeren Schäden auch Fahndungen während Straßenkontrollen denkbar.
Lacksplitter sind die Fingerabdrücke eines Autos
Mithilfe von Lackspuren oder heruntergefallenen Teilen lassen sich Unfallfluchten häufig aufklären. Das Bundeskriminalamt sammelt in einer Datenbank zum Beispiel seit 1988 Informationen zu Lacken. 25 000 Lackmuster umfasst diese Datenbank aktuell. Mit ihrer Sammlung decken die Wiesbadener nahezu den gesamten Pkw-Bestand in Deutschland ab.
Landen zum Beispiel die Daten zu den Lackspuren auf einem Unfallfahrzeug beim BKA, ist es den Fahndern möglich, das Tatfahrzeug einzugrenzen. In der Regel erkennen die Beamten den Hersteller und das Modell, häufig lassen die Spuren sogar Rükschluss auf das Baujahr zu. Die Spuren führen allerdings nicht zu konkreten Fahrzeugen und dienen der Polizei in den weiteren Ermittlungen lediglich als Indiz auf der Suche nach dem Flüchtigen.
Außerdem wichtig zu wissen:
Auch wer Pfosten, Bäume oder eine Leitplanke touchiert begeht einen Fremdschaden und muss dafür mit seiner Versicherung aufkommen.
Rehe werden im Unterschied zu Pferden vom Gesetzgeber als “herrenlose Sache” eingestuft. Aber auch hier verlangt zumeist die Versicherung, dass die Polizei gerufen wird.
Unfallflucht setzt nicht voraus, dass man am Unfall Schuld war.
DAV-Verkehrsanwälte fordern: Unfallflucht und ihre Folgen sind reformbedürftig
Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) forderte beim Verkehrsgerichtstages 2018 in Goslar, den Unfallfluchtparaphen mit seinen harten Folgen zu reformieren. So sollte die sogenannte tätige Reue nicht nur bei Parkremplern, sondern auch bei Unfällen mit unbedeutendem Sachschaden im fließenden Verkehr möglich sein. Tätige Reue bedeutet, dass sich der Täter innerhalb von 24 Stunden nach dem Unfall bei der Polizei meldet. „Unfallflucht sollte außerdem nicht gleich in der Regel einen Fahrerlaubnisentzug nach sich ziehen“, erklärt Andreas Krämer von der Arbeitsgemeinschaft. Diese Folge sei oft viel zu hart und für manche sogar existenzbedrohend.
Unfallflucht: Anwältinnen und Anwälte für Verkehrsrecht beraten
Die DAV-Verkehrsrechtsanwälte warnen dringend davor, Fahrerflucht zu begehen und sich unerlaubt vom Unfallort zu entfernen. Gleiches gilt für fahren unter Alkoholeinfluss. Bei einem Unfall bleibt man dann auf dem Schaden sitzen. Werden Personen verletzt, können zum Schadensersatz auch lebenslange Rentenzahlungen kommen. In jedem Fall sollten Sie sich nach einem Unfall anwaltlicher Hilfe versichern. Nur so kann man seine Rechte und Pflichten feststellen lassen. Einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin für Verkehrsrecht oder Verkehrsstrafrecht finden Sie unserer Anwaltssuche.
- Datum
- Aktualisiert am
- 22.04.2020
- Autor
- kgl/red,DAV