„Wir können den Schmerz nicht teilen. Aber wir können ihn nachempfinden“, sagte Joachim Gauck in einer ersten Reaktion am Tag des Flugzeugabsturzes der Germanwings-Maschine.
Was der Bundespräsident da sagte, trifft wohl die Stimmung vieler Deutscher in diesen Tagen nach dem schrecklichen Unglück in den südfranzösischen Alpen. Und auch wenn Angehörige derzeit mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind, stellen sich bei Katastrophen dieser Art spätestens in einigen Wochen und Monaten Fragen nach Entschädigungen, auch wenn dieses Wort missverständlich ist: Kein Geld der Welt kann den Verlust wieder gut machen. Dennoch hilft es vielleicht dabei, dass man zumindest diesbezüglich nicht noch zusätzliche Sorgen hat. Und auch wenn die Airline nun eine Überbrückungshilfe zahlt, gibt es Ansprüche darüber hinaus.
Es spricht nun Vieles dafür, dass der Copilot der Maschine selbst den Absturz bewusst herbeigeführt hat. In diesem Fall wird von einer „unrechtmäßigen Handlung“ gesprochen, die entweder die Fluggesellschaft oder einer ihrer Mitarbeiter verschuldet. Wäre ein technischer Defekt für den Absturz verantwortlich gewesen, hätte eine Mindesthaftung bezüglich des Schadensersatzes gegolten. Das scheint nun nicht mehr der Fall zu sein und somit kann Schadensersatz an die Angehörigen in unbegrenzter Höhe anfallen – theoretisch.
Wie errechnet sich die Höhe von Schadensersatzleistungen?
Die Höhe des Schadensersatzes wird individuell bestimmt. Je nach Einzelfall gibt es hier teilweise erhebliche Unterschiede.
Gerichte orientieren sich an den mit dem Tod eines Menschen zusammenhängenden finanziellen Ausfällen für die direkten Angehörigen, also etwa Eltern, Kinder und Ehegatten. Dies betrifft besonders Unterhaltsleistungen. Rechtsanwalt Paul Degott vom Deutschen Anwaltverein (DAV) erklärt: „Stirbt ein gutverdienender Familienvater, erhalten seine Frau und die Kinder deutlich mehr Schadensersatz als etwa die Eltern eines verunglückten Kindes.“
Denn im ersten Fall berechnen Gerichte anhand des Einkommens und des Alters sowohl des Verstorbenen als auch der Angehörigen, wie lange und in welcher vermutlichen Höhe er für den Unterhalt noch aufgekommen wäre. Das kann – je nach Gehalt des Verstorbenen – sogar in die Millionen gehen. So schrecklich und makaber es auch klingt: Das Schadensersatzrecht macht noch im Tod Unterschiede.
„Auch die Bestattungskosten sind Teil des Schadensersatz“, erklärt Arno Schubach von der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht im DAV. Die Kosten werden von der Versicherung der betreffenden Airline übernommen. Das betrifft auch die Überführungskosten einer Leiche aus dem Ausland nach Deutschland, wie bei dem tragischen Unglück in Südfrankreich.
Besteht neben Schadensersatz auch Anspruch auf Schmerzensgeld?
Ja, theoretisch schon. „Sollte die Tötung eines nahen Angehörigen als Körperverletzung des Hinterbliebenen angesehen werden, gibt es einen Anspruch auf Schmerzensgeld“, erklärt Rechtsanwalt Schubach, Vorstandsmitglied des Deutschen Anwaltvereins. Dies könne zum Beispiel der Fall sein, wenn man etwa den Tod eines Angehörigen mitansehen müsse. Auch wenn das im Fall der abgestürzten Maschine nicht so war, können Angehörige unter Umständen mit Schmerzensgeld rechnen.
Zum einen kommt es dann in Betracht, wenn erhebliche psychische Probleme mit dem Verlust eines Angehörigen einher gehen oder aber aufgrund ärztlicher Behandlung der Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann.
Des Weiteren wird Schmerzensgeld für die Todesangst der Passagiere selbst gezahlt, das dann wiederum auf die Angehörigen übergeht. Die Höhe bemisst sich hier nach der Zeit, die die Verunglückten erleiden mussten in dem Wissen, dass sie sterben werden.
Das muss gegebenenfalls einzeln geprüft werden und bringt Belastungen für die Angehörigen mit sich. Für den Deutschen Anwaltverein kann daher die Einführung eines einheitlichen „Angehörigenschmerzensgeldes“ unter Umständen sinnvoll sein.
Gibt es Unterschiede bei der Höhe der Zahlungen je nach Land?
Ja, erhebliche. In Deutschland fallen die Schadenersatz- und Schmerzensgeldhöhen gemeinhin relativ niedrig aus, anders in den USA: Hier wird schon mal Schmerzensgeld in Millionenhöhe gezahlt. Warum das so ist, weiß Versicherungsrechtsexperte Arno Schubach: „In Deutschland beziehen sich diese Zahlungen auf die direkt Betroffenen.“ Mit dem Geld werde versucht, den immateriellen Schaden auszugleichen. „In den USA wird die Bedrohung der Gesellschaft mit einbezogen.“ Damit solle also auch ein Unternehmen für die Bedrohung bestraft werden. Dieser Gedanke ist dem deutschen Recht fremd.
Können deutsche Angehörige auch in Deutschland klagen?
Ja. Auch wenn ein Flugzeug außerhalb Deutschlands abstürzt, kann dann in Deutschland geklagt werden, wenn das Opfer einen ständigen Wohnsitz in Deutschland oder die betreffende Fluggesellschaft ihren Firmensitz hierzulande hat.
Theoretisch könnten Angehörige der Opfer der Germanwings-Maschine neben Deutschland aber auch in Spanien (Abflugort) oder Frankreich (Land des Absturzes) klagen; unter Umständen sogar in einem vierten Land, nämlich dann, wenn das Flugticket woanders erworben wurde. Die Gerichte müssen eine Klage allerdings nicht zulassen und könnten sie an ein deutsches Gericht verweisen.
Hat die Fluggesellschaft bereits erste Zahlungen eingeleitet?
Die Lufthansa beziehungsweise Germanwings bestätigten am vergangenen Freitag, wonach in dieser Woche viele Angehörige bis zu 50.000 Euro an Abschlagszahlung überweisen bekommen, um ihre unmittelbaren Ausgaben zu decken.
Ohnehin hätte den Angehörigen eine Soforthilfe aufgrund des so genannten Montrealer Übereinkommen (siehe unten) beziehungsweise der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Germanwings zugestanden. Innerhalb der ersten zwei Wochen nach der Identifizierung der Leichen, auf die in diesem Fall verzichtet wird, verpflichtet sich die Airline zu einer Zahlung von etwa 24.000 Euro an Hinterbliebene.
Welche Versicherung muss für den entstandenen Schaden aufkommen?
Diese Frage lässt sich bezogen auf das aktuelle Unglück nicht beantworten, da die Inhalte der unterschiedlichen Versicherungspolicen nicht bekannt sind.
Reiserechtsexperte Paul Degott kennt aus anderen Zusammenhängen aber zumindest die dahinterliegende Mechanik: „Meistens agiert hier ein Konsortium von Haftpflichtversicherungen, bei denen eine führende Versicherung mit den Anspruchstellern spricht.“ Nach Medienberichten ist die hier führende Versicherung die Allianz.
Wird es im Fall der Opfer der Germanwings-Tragödie überhaupt zu Gerichtsprozessen kommen?
Natürlich lässt sich das derzeit noch nicht absehen, doch gehen Experten davon aus, dass es keine gerichtlichen Rechtsstreitigkeiten geben wird. Arno Schubach: „Es handelt sich hier um die größte Tragödie in der Geschichte des Lufthansakonzerns. Ich gehe davon aus, dass alles dafür getan werden wird, Gerichtsprozesse in den kommenden Jahren zu verhindern.“
Das vermutet auch Rechtsanwalt Degott: „Ich nehme an, dass die Versicherer, die für etwaige Schäden aufkommen müssen, Vergleiche anstreben werden.“
Darauf deuten auch die offiziellen Stellungnahmen der Germanwings- und Lufthansa-Vertreter hin, die in den vergangenen Tagen stets betont haben, alles für die Angehörigen zu tun – auch finanzieller Art.
Zusatzinformationen zum Montrealer Übereinkommen
Jenseits dieser teilweise sehr speziellen Fragen und Regelungen, gilt seit 2004 in Deutschland das Montrealer Übereinkommen aus dem Jahr 1999. Damals verständigten sich einen Vielzahl von Staaten auf Haftungsregeln im Rahmen von Schäden während eines internationalen Fluges an Personen, Gepäck oder Fracht.
Sollte einem Fluggast etwas zustoßen, besteht des Montrealer Übereinkommens in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 zufolge eine Mindesthaftung von 113.100 „Sonderziehungsrechten“. Dies ist eine künstliche Währung, die international als Zahlungsmittel verwendet werden kann. Umgerechnet sind dies nach aktuellem Kurs gut 143.000 Euro.
Paul Degott: „Da es aufgrund der Absturzgrundes bei der Germanwings-Maschine nun wohl keine Mindesthaftung mehr geben wird, kann die zu zahlende Summe auch höher ausfallen als der Mindesthaftungsbetrag aus dem Montrealer Übereinkommen. Grundsätzlich gilt es aber auch in diesem Fall.“
Das Besondere an dem Montrealer Übereinkommen: Es greift immer, auch wenn die Absturzursache noch nicht ermittelt wurde. Das dauert manchmal Wochen, Monate oder sogar Jahre. Doch sollen Angehörige früher Unterstützung erhalten.
Die Deutsche Anwaltauskunft rät den Hinterbliebenen zudem, in die Klauseln der Kreditkarten zu schauen, falls damit das Ticket bezahlt wurde. Manchmal finden sich auch dort zusätzliche Ansprüche bei einem Unglück.
- Datum
- Aktualisiert am
- 26.01.2016
- Autor
- ndm