In der Europäischen Union gilt die Freizügigkeit, und das nicht nur für Waren und Geld, sondern auch für Menschen. Deshalb darf sich jeder Unionsbürger innerhalb der EU im Land seiner Wahl niederlassen, darf dort leben und arbeiten. Nach Deutschland wanderten im vergangenen Jahr über 400.000 Menschen ein, die meisten aus EU-Ländern.
Natürlich wollen die Zuwanderer, wenn sie etwa in ihrem Herkunftsland legal einen Führerschein erworben haben, diesen hierzulande nutzen und Auto fahren. Doch diesen Wunsch erfüllt ihnen die deutsche Verwaltung nicht immer, denn häufig erkennt diese die Führerscheine anderer EU-Mitgliedsstaaten nicht an.
„Mir sind viele Fälle bekannt, in denen die Behörden den Führerscheininhaber den Führerschein einfach wegnehmen und ihnen den Gebrauch im Inland untersagen“, berichtet der Frankfurter Rechtsanwalt Andreas Krämer von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). „Bis die Betroffenen mit Hilfe eines darauf spezialisierten Anwaltes den Führerschein zurückbekommen, vergehen nicht selten Monate mit allen beruflichen und privaten Konsequenzen. Viele wehren sich aber auch gar nicht.“
EuGH: Jeder Mitgliedsstaat muss EU-Führerscheine anerkennen
Dabei hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits 2004 entschieden, dass jeder EU-Mitgliedsstaat Führerscheine und die damit verbundene Fahrerlaubnis, die ein anderer Staat der Union ausgestellt hat, anerkennen muss. Demnach müssen zum Beispiel Bulgarien oder Lettland einen deutschen EU-Führerschein anerkennen und umgekehrt.
Darüber hinaus betonen Andreas Krämer und Verkehrsrechtsexperten insbesondere des DAV, dass es keine empirischen Untersuchungen gibt, denen zu Folge Führerscheininhaber aus Unionsländern verkehrsauffälliger fahren als Inhaber eines deutschen EU-Führerscheins.
Europäischer Führerschein trotz MPU?
Offenbar geht es deutschen Behörden aber weniger um die Fähigkeiten von EU-Bürgern, Auto zu fahren, als um den Führerscheintourismus innerhalb der Union. Diesen diskutieren und kritisieren Politiker und Fachleute vor allem in Deutschland seit Jahren. Dahinter verbirgt sich das Problem, dass jemand, der etwa in Deutschland betrunken Auto fährt und deshalb seine Fahrerlaubnis verliert, sich einer Medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) unterziehen muss, um wieder Auto fahren zu dürfen.
Diese im Alltagsjargon Idiotentest genannte Untersuchung kann aber derjenige umgehen, der eine Fahrerlaubnis in einem anderen EU-Land nach Ablauf der Sperrfrist erwirbt. Mit diesem Führerschein kann er also trotz MPU-Auflage in Deutschland Auto fahren.
Allerdings hat eine EU-Richtlinie diese Praxis etwas eingedämmt. Ihr zu Folge muss jemand mindestens 185 Tage im Kalenderjahr in einem Mitgliedsstaat der EU gelebt haben, bevor er dort eine Fahrerlaubnis erhält.
Führerscheintourismus: Thema auf dem 53. Verkehrsgerichtstag in Goslar
„Man muss diese Zeit aber nicht an einem Stück in dem Land verbracht haben“, erklärt Andreas Krämer. Und das führt auf einer ganz praktischen Ebene dazu, dass deutsche Behörden EU-Führerscheine nach wie vor häufig mit mangelnder Verkehrssicherheit verbinden und ihren Inhabern nachzuweisen versuchen, dass sie sich im Ausstellerstaat gar nicht niedergelassen, sondern den Führerschein als „Tourist“ erworben haben.
Der Führerscheintourismus erhitzt also nach wie vor die Gemüter, auch der anstehende 53. Verkehrsrechtstag in Goslar wird das Thema erörtern. Im Vorfeld der Veranstaltung hat etwa der Auto Club Europa (ACE) vorgeschlagen, ein zentrales elektronisches Führerschein-Register für Europa zu installieren, damit für jeden Bürger nur ein Führerschein ausgegeben werden kann. Der ehemalige Generalbundesanwalt und jetzige Präsident des Verkehrsgerichtstages Kay Nehm stimmt diesem Vorschlag zu: „Ein Register wäre sicher vernünftig.“
- Datum
- Aktualisiert am
- 30.01.2015
- Autor
- ime