Seit den siebziger Jahren gilt in Deutschland die Anschnallpflicht. Gegen ihre Einführung wurde damals noch lautstark protestiert. Viele Autofahrer empfanden sie als Einschränkung der persönlichen Freiheit. Kräftig in die Höhe schoss die Anschnallquote dann auch erst im Jahr 1984: Seitdem wird das Fahren ohne angelegten Sicherheitsgurt mit Bußgeld bestraft.
Heute ist die Gurtpflicht längst gelebter Alltag. Den allermeisten Autofahrern ist auch bewusst, warum sie ein unschätzbarer Beitrag zur Sicherheit im Straßenverkehr ist. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2012 zeigte trotzdem: Die Anschnallquote liegt unter deutschen Autofahrern zwar bei über 90 Prozent, war allerdings zuletzt wieder leicht rückläufig.
Dass der Verzicht auf den Sicherheitsgurt keine gute Idee ist, zeigt eine Auswertung der Unfallstatistik aus dem Jahr 2014: Jedes fünfte tödlich verunglückte Unfallopfer war nicht angeschnallt.
Wer ohne angelegten Gurt Auto fährt und erwischt wird, hat gemäß des aktuellen Bußgeldkatalogs 2016 mit einem Bußgeld in Höhe von 30 Euro zu rechnen. Wer nicht-angeschnallte Kinder transportiert, wird härter abkassiert: Neben dem Bußgeld in Höhe von 60 Euro bekommt der Fahrer zusätzlich einen Punkt in Flensburg.
Ausnahmen von der Anschnallpflicht: In der Verkehrsordnung genau aufgelistet
Dass sich jeder Autofahrer sicherheitshalber anschnallen sollte, kann nicht bestritten werden. Trotzdem kennt die deutsche Straßenverkehrsordnung etliche Situationen, in denen für Autofahrer keine Anschnallpflicht besteht – und daher auch kein Recht für Ordnungskräfte, ein Bußgeld zu verhängen.
Diese Ausnahmetatbestände werden in § 21 a Abs.1 StVO aufgeführt:
1. Personen beim Haus-zu-Haus-Verkehr, wenn sie im jeweiligen Leistungs- oder Auslieferungsbezirk regelmäßig in kurzen Zeitabständen ihr Fahrzeug verlassen müssen.
Beispielsweise Paketboten oder andere Arbeiter im Lieferbetrieb müssen sich also nicht jedes Mal an- und abschnallen, wenn sie während einer Auslieferung von Haus zu Haus fahren.
2. Fahrten mit Schrittgeschwindigkeit wie Rückwärtsfahren, Fahrten auf Parkplätzen,
3. Fahrten in Kraftomnibussen, bei denen die Beförderung stehender Fahrgäste zugelassen ist,
Gemeint sind hier vor allem öffentliche Verkehrsbusse, in denen keine Anschnallpflicht gilt.
4. das Betriebspersonal in Kraftomnibussen und das Begleitpersonal von besonders betreuungsbedürftigen Personengruppen während der Dienstleistungen, die ein Verlassen des Sitzplatzes erfordern,
5. Fahrgäste in Kraftomnibussen mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 t beim kurzzeitigen Verlassen des Sitzplatzes.
Vorsicht ist in Reisebussen geboten: sind Sicherheitsgurte vorhanden, greift die Anschnallpflicht. Bei Nichtanlegen wird im Zweifelsfall auch hier ein Bußgeld in Höhe von 30 Euro fällig.
Gelegentlich sind auch Meldungen über bestimmte Personengruppen im Umlauf, welche angeblich von der Anschnallpflicht befreit sein sollen. Was entspricht der Wahrheit?
Rechtsmythos 1: Keine Gurtpflicht für Hochschwangere.
Hartnäckig hält sich das Gerücht, eine weitere Personengruppe, die von der Pflicht, sich anzuschnallen, befreit sei, wären Hochschwangere – ein Mythos.
Nur in Ausnahmefällen ist eine Schwangere von der Anschnallpflicht befreit. Dazu muss sie allerdings ein ärztliches Gutachten vorweisen. Aus ihm muss hervorgehen, dass durch das Anlegen des Sicherheitsgurtes eine Gefährdung für Mutter und Kind ausgeht. Aber damit nicht genug: Das Schreiben muss zusätzlich noch vom Ordnungsamt bestätigt werden.
Rechtsmythos 2: Keine Gurtpflicht für Taxifahrer
Eine weitere Personengruppe, die sich vermeintlich nicht anschnallen muss, sind Taxifahrer. Auch das stimmt nicht, zumindest nicht mehr. Bis November 2014 galt tatsächlich eine Ausnahmeregelung für Fahrer von Taxis und Mietwagen: Während der Fahrgastbeförderung mussten sie sich nicht angurten. Nach einer Änderung der Straßenverkehrsordnung ist diese Ausnahme allerdings vom Tisch. Für Taxi- und Mietwagenfahrer gelten mittlerweile die gleichen Anschnallpflichten, wie für jeden anderen Autofahrer!
Gerichtsurteil bestätigt: Anfechtung von Bußgeld kann erfolgreich sein
Trotz der strengen Regeln zeigt die Rechtsprechung: Bürger können sich gegen unrechtmäßig verhängte Bußgelder erfolgreich wehren. So etwa bei einem im Mai 2016 vom Amtsgericht Lüdinghausen gefällten Urteil.
Die Situation: Ein Autofahrer parkte auf dem Parkplatz einer Gastronomie ab, die an einem Kreisverkehr lag. Dort kaufte er ein und wollte anschließend eine Apotheke aufsuchen, die direkt auf der anderen Seite des Kreisverkehrs lag. Dazu durchfuhr er mit Schrittgeschwindigkeit den Kreisverkehr und hatte dabei keinen Sicherheitsgurt angelegt.
Der Autofahrer fuhr in Schrittgeschwindigkeit unmittelbar nach dem Kreisverkehr auf einen Parkstreifen. Dabei wurde er von einer Polizeistreife gesehen. Die verhängte gegen den Fahrer ein Bußgeld, wegen Verstoßes gegen §§ 21a Abs.1, 49 StVO, 24 StVG. Dagegen wehrte sich der Autofahrer vor Gericht.
Vor Gericht bestätigte der beteiligte Polizeibeamte, der als Zeuge vernommen wurde, dass der Betroffene aus dem Parkplatzbereich der Gastronomie gekommen sei und langsam, vielleicht auch in Schrittgeschwindigkeit, den Kreisverkehr durchfahren habe.
Die Entscheidung des Gerichts war dementsprechend: Im Zweifel müsse zu Gunsten des Betroffenen davon ausgegangen werden, dass er zur Tatzeit mit Schrittgeschwindigkeit gefahren sei und dementsprechend den Ausnahmetatbestand des § 21 a Abs.1 Satz 2 Nr.3 StVO erfüllt hat. Der Fahrer wurde freigesprochen und musste kein Bußgeld zahlen.
Die Tatsache, dass der Betroffene sich zur Tatzeit im fließenden Verkehr befand und dort üblicherweise schneller gefahren wird, spielte für das Gericht keine Rolle.
Anfechtung von Bußgeld: So kann ein Anwalt helfen.
Nach einer begangenen Ordnungswidrigkeit erhält der Verkehrssünder noch vor der Zustellung des Bußgeldbescheids einen Anhörungsbogen. Dieser Bescheid ist vor allem dafür da, dem Fahrer, bzw. dem Fahrzeughalter, denn der erhält den Anhörungsbogen, grundsätzlich die Gelegenheit zu geben, sich zu der Sache zu äußern. Ist ein Familienangehöriger gefahren, stehen dem Fahrzeughalter allerdings Zeugnisverweigerungsrechte zur Seite; hier sollte man sich anwaltlich beraten lassen.
Gesine Reisert, Fachanwältin für Verkehrsrecht und Strafrecht, empfiehlt deshalb, frühzeitig Rechtsrat einzuholen: „Wartet man, bis der Bescheid kommt, wird die Zeit knapp und die Fristen laufen. Je früher der Anwalt eingeschaltet wird, umso schneller kann das Verfahren gestoppt und beendet werden.“ Dieser wird sich den Vorgang beschaffen, um die Situation einschätzen zu können.
Die erfahrene Rechtsanwältin rät außerdem, Ort und Situation des Vorfalls mit Fotos zu dokumentieren und zum Beratungstermin beim Anwalt/ bei der Anwältin mitzubringen. Ist man aus gesundheitlichen Gründen von der Anschnallpflicht befreit, sollten entsprechende Belege und ärztliche Gutachten ebenfalls parat sein.
Wer schnell und bestimmt vorgeht, kann dadurch schon vor Erlass des Bescheides eine Einstellung herbeiführen. Ansonsten ergeht der Bußgeldbescheid, gegen den dann Rechtsmittel eingelegt werden muss. In der Folge wird die Angelegenheit mit viel Aufwand vor dem Bußgeldrichter verhandelt. Rechtsanwältin Reisert: „Viel besser ist es daher, seine Argumente zur Meinungsbildung bei der Behörde frühzeitig mit anwaltlicher Hilfe vorzubringen: Denn liegt die Sache erst beim Richter, ist es schwerer ihn davon zu überzeugen, dass sich die Behörde geirrt hat.“
Bei Problemen mit Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr wenden Sie sich am Besten so zeitig wie möglich an unsere Experten im Verkehrsrecht.
- Datum
- Aktualisiert am
- 18.11.2016
- Autor
- psu