
Jobcenter sind die Behörden, die die Anträge auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende, auch Hartz IV oder Arbeitslosengeld II (ALG II) genannt, entgegennehmen, bearbeiten und die Bescheide ausstellen. Aber ihre Aufgaben erschöpfen sich nicht darin, sondern bestehen zum Beispiel auch darin, Leistungsempfänger zu sanktionieren, wenn diese etwa einen Termin beim Jobcenter verpassen oder nicht engagiert genug dabei mitmachen, einen Job zu finden und im Berufsleben wieder Fuß zu fassen.
In den ersten sechs Monaten 2018 haben die Jobcenter weniger Hartz-VI-Empfänger sanktioniert als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Sie verhängten 449.550 Sanktionen und damit 25.800 weniger als im ersten Halbjahr 2017. 77,4 Prozent der Sanktionen gingen auf Meldeversäumnisse zurück. Das gab die Bundesagentur für Arbeit (BA) laut einem Bericht von Spiegel Online bekannt. Die Sanktionsquote lag demnach bei 3,1 Prozent – der gleiche Wert wie im Vorjahreszeitraum. Die Quote ist das Verhältnis der verhängten Sanktionen zu allen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten.
Um Sanktionen zu rechtfertigen, stützen sich die Behörden auf das Sozialgesetzbuch II. Bei Sanktionen, die mit tatsächlich oder vermeintlich fehlenden Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle zu tun haben, stützen sich die Behörden auf die Regeln der Eingliederungsvereinbarungen.
Arbeitslosengeld II: Was sind Eingliederungsvereinbarungen?
Eingliederungsvereinbarungen sind Verträge, die die Jobcenter mit den Empfängern von Arbeitslosengeld II abschließen. Diese Verträge definieren das Ziel, die Leistungsbezieher wieder in die Arbeitswelt einzugliedern und legen die dazu nötigen Schritte und die Pflichten beider Parteien fest.
ALG II: Welche Verhaltenspflichten haben Hartz-IV-Empfänger?
Aus den Eingliederungsvereinbarungen folgen für Leistungsbezieher von Arbeitslosengeld II Mitwirkungs- und Verhaltenspflichten. So sind sie zum Beispiel verpflichtet, jeden Monat eine bestimmte Anzahl Bewerbungen auf Stellenausschreibungen zu verfassen. Eine zumutbare Ausbildung oder Anstellung dürfen sie nicht ablehnen doch es kann Ausnahmen von dieser Pflicht geben.
„Arbeitsgelegenheiten“, also Ein-Euro-Jobs, müssen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der Regel annehmen. „Hartz-IV-Empfänger müssen jede Arbeit ausüben, die ihnen das Jobcenter anbietet, weil der Berufsschutz für sie nicht greift“, sagt der Duisburger Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Conradis von der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). „Das ist anders als bei Beziehern von Arbeitslosengeld I.“ Der fehlende Berufsschutz bei Hartz IV kann dazu führen, dass etwa ein Leistungsbezieher mit akademischem Abschluss als Kassierer arbeiten muss.
Ersatzansprüche bei „sozialwidrigem“ Verhalten
Wer als Hartz-IV-Bezieher seine Pflichten verletzt, dem drohen nicht nur Sanktionen. Jobcenter können unabhängig von Sanktionen die Leistungen komplett zurückfordern, wenn sich jemand „sozialwidrig“ verhält, sie können also "Ersatzansprüche" gegen die oder den Betroffene(n) geltend machen.
Beispiele für „sozialwidriges“ Verhalten nennt die Bundesagentur für Arbeit in ihren im Sommer 2016 publizierten fachlichen Weisungen, also ihren Handlungsempfehlungen und Geschäftsanweisungen an die Jobcenter: Danach verhält sich „sozialwidrig“, wer etwa grundlos seinen Job kündigt, sein Vermögen verschenkt oder „vergeudet“, als Berufskraftfahrer seinen Führerschein und in der Folge seine Arbeit verliert, weil er betrunken Auto gefahren ist. Auch Mütter, die etwa den Namen des Vaters ihres Kindes und damit des Unterhaltspflichtigen nicht nennen wollen, verhalten sich vermeintlich sozialwidrig.
Durch diese Verhaltensweisen entsteht in den Augen der Jobcenter eine von den Betroffenen willkürlich herbei geführte und vermeidbare finanzielle Bedürftigkeit. Deshalb sehen sich Jobcenter als berechtigt an, Leistungen nicht zu bewilligen, zu kürzen oder zurückzufordern. Die Kürzungen können dauerhaft sein und erst nach Jahren aufgehoben werden.
Hartz-IV-Empfänger: Welche Folgen hat eine Pflichtverletzung?
Bevor ein Jobcenter Sanktionen etwa wegen eines Verstoßes gegen Mitwirkungs- oder Verhaltenspflichten verhängen darf, muss es den Betroffenen schriftlich warnen und in einer sogenannten Rechtsfolgenbelehrung auf die Konsequenzen der Pflichtverletzung hinweisen. Außerdem muss die Behörde den Betroffenen anhören. Erst nach diesen beiden Schritten ist sie berechtigt, den Hartz-IV-Bezieher zu sanktionieren.
Verstoß gegen Mitwirkungs- und Verhaltenspflichten: Welche Sanktionen können Hartz-IV-Empfängern drohen?
Wie drastisch die Sanktionen ausfallen, hängt davon ab, welche seiner Mitwirkungs- oder Verhaltenspflichten ein Leistungsbezieher verletzt. „Wer nicht zu einem vom Jobcenter bestimmten Termin erscheint, muss mit einer Kürzung seines monatlichen Regelsatzes um zehn Prozent rechnen“ sagt Rechtsanwalt Dr. Conradis. „Wer den zweiten und dritten Termin innerhalb kurzer Zeit versäumt, dem drohen Einbußen um bis zu 30 Prozent.“
Wer eine angebotene Arbeitsstelle ablehnt, wird noch härter sanktioniert. Der ersten Weigerung folgt eine Kürzung des Regelbedarfs um 30 Prozent, einer zweiten um 60 Prozent. Beim dritten Pflichtverstoß entfallen der komplette Regelsatz und die Unterkunftskosten.
Rückmeldung nicht in der Akte vermerkt: Drohen Sanktionen?
Versäumen Hartz-IV-Bezieher eine Rückmeldung, können die Leistungen gekürzt werden. Kann aber nachgewiesen werden, dass diese nur in den Akten nicht vermerkt wurde, darf keine Leistungskürzung vorgenommen werden. So entschied das Sozialgericht Heilbronn am 28. April 2016 (AZ: S 11 R 4362/15).
Das Jobcenter der Stadt Heilbronn genehmigte einem 44-Jährigen, der seit Jahren Hartz IV bezieht, Urlaub. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache teilte man ihm mit, dass er sich am Vormittag des Urlaubsfolgetags am Empfangstresen des Jobcenters zurückmelden müsse.
Dass der Mann an jenem Tag vorsprach, ist in den Akten des Jobcenters nicht vermerkt. Obwohl er darlegte, sich pflichtgemäß zurückgemeldet zu haben – dies könne sein Bekannter bezeugen –, senkte das Jobcenter die SGB-II-Leistungen wegen eines "Meldeversäumnisses" um knapp 120 Euro ab. In der Vergangenheit war der Mann den Aufforderungen des Jobcenters stets nachgekommen.
Vor Gericht hatte er Erfolg. Nach Auffassung des Sozialgerichts hatte der Zeuge, der als Rentner selbst nicht Hartz IV bezieht, glaubhaft gemacht, dass der Kläger sich zurückgemeldet hatte. Aus welchen Gründen die Rückmeldung in den Akten des Jobcenters nicht vermerkt worden sei, könne offenbleiben.
Hartz IV: Sanktionen für junge Leute unter 25 Jahre
Leistungsbeziehern unter 25 Jahre begegnen die Jobcenter mit noch mehr Strenge. „Jungen Erwachsenen wird sofort der komplette Regelsatz gestrichen, wenn sie gegen ihre Pflicht zur Arbeitsaufnahme verstoßen“, sagt Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Conradis. „Bei einem zweiten Pflichtverstoß werden ihnen auch die Unterkunftskosten gestrichen.“
Hartz IV: Wie lange dauern Sanktionen?
Bei jungen Erwachsenen unter 25 Jahre können die Sanktionen auf sechs Wochen beschränkt werden – wenn diese ihr Verhalten ändern. Erwachsene Hartz-IV-Bezieher erhalten nach drei Monaten ihren Regelsatz oder die komplette Leistung wieder.
Sanktionen: Haben Sachbearbeiter in Jobcentern einen Ermessensspielraum?
Wenn ein Leistungsbezieher seine Pflichten verletzt, sind Sachbearbeiter gezwungen, Sanktionen zu verhängen, selbst wenn sie diese nicht sinnvoll finden. Die Sachbearbeiter haben beim Thema Sanktionen keinen Ermessensspielraum.
Sanktionierte Hartz-IV-Empfänger: Sozialhilfe statt Hartz IV?
Fraglich ist, von welchem Geld Empfänger von ALG II leben, wenn sie sanktioniert sind und ohne Regelsatz oder Leistung auskommen müssen. Staatliche Leistungen wie Sozialhilfe oder Hilfe zum Lebensunterhalt können sie nämlich nicht beanspruchen.
Sanktionierten Hartz-IV-Beziehern bleibt nichts anderes übrig, als beim Jobcenter Sachleistungen wie Lebensmittelgutscheine oder geldwerte Leistungen zu beantragen. Die Sachbearbeiter können diese Leistungen bewilligen, müssen dies aber nicht, denn es handelt sich bei diesen Leistungen um sogenannte Kann-Leistungen. Eine Pflicht, diese Leistungen zu bewilligen, besteht nur dann, wenn Kinder mit dem Hartz-IV-Empfänger in einer Bedarfsgemeinschaft leben.
Verstoß gegen Mitwirkungs- und Verhaltenspflichten: Wie können sich Hartz-IV-Empfänger gegen Sanktionen wehren?
Wer einen „wichtigen Grund“ für seinen Pflichtverstoß vorbringt, kann einer Sanktion entgehen. Allerdings ist oft strittig, was ein „wichtiger Grund“ ist, weswegen diese Frage oft Gerichte entscheiden müssen.
Generell gilt: Gegen Sanktionen können Betroffene Widerspruch einlegen. Lehnt das Jobcenter den Widerspruch ab, steht es den Betroffene zu, Klage bei einem Sozialgericht einzureichen. Bei allen Schritten, die man gegen Sanktionen unternimmt, sollte man sich von einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt für Sozialrecht beraten lassen. Sie oder er kann zum einen den Widerspruch formulieren, zum anderen bei seiner Klage und einem Prozess begleiten. „Klagen gegen Sanktionen sind oft erfolgreich“, sagt Rechtsanwalt Conradis.
Allerdings: Klagen haben keine aufschiebende Wirkung, so dass Betroffene gezwungen sind, die Kürzung oder komplette Streichung der Leistung zunächst hinzunehmen, bis das Gericht entscheidet.
Sind Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger verfassungswidrig?
Im Mai 2015 hat das Sozialgericht Gotha das Bundesverfassungsgericht angerufen, weil Sanktionen dem Gericht nach der Menschenwürde und der Berufsfreiheit widersprechen. Der Staat müsse auch ein Existenzminimum garantieren, so das Gericht. Im Juni 2016 hat das Bundesverfassungsgericht die Vorlage des Sozialgerichts Gotha aber aus formalen Gründen als unzulässig abgelehnt. Im März 2016 hatte das Bundessozialgericht Kürzungen um bis zu 30 Prozent als verfassungsgemäß eingestuft.
Leistungen kürzen: Können Asylbewerber sanktioniert werden?
Ja. Auch Asylbewerbern können die Sozialleistungen gekürzt werden. Zumindest gilt dies dann, wenn sie zum Beispiel nicht an ihrer Abschiebung mitwirken. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel am Donnerstag, 11. Mai 2017, entschieden (AZ B7 AY 1/16R). In dem verhandelten Fall ging es um einen Asylbewerber aus Kamerun, den die Ausländerbehörde zahlreiche Male dazu aufgefordert hatte, bei der Beschaffung von Ausweisdokumenten mitzuwirken. Weil der Mann sich weigerte, kürzte ihm die Ausländerbehörde die Leistungen um 135 Euro auf das "soziokulturelle Existenzminimum". Zu Recht, wie das BSG geurteilt hat.
Die Urteile des BSG sind zwar nicht bindend für andere Fälle, aber sie sind richtungsweisend für Gerichte und Behörden.
- Datum
- Aktualisiert am
- 31.07.2017
- Autor
- ime/dpa/tmn