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Pflichtverstöße

Wann müssen Hartz-IV-Empfänger mit Sanktionen rechnen?

Hartz IV: Wer gegen eine seiner Pflichten verstößt, muss mit Sanktionen rechnen. © Quelle: lolostock/gettyimages.de

Wer staatliche Leistungen wie die Grundsi­cherung für Arbeit­su­chende bezieht, auch Hartz IV genannt, hat viele Pflichten. Verstößt man dagegen, können Jobcenter Sanktionen verhängen und dabei die Leistungen kürzen oder sogar komplett streichen. Die Deutsche Anwalt­auskunft zeigt die rechtlichen Regeln und wie sich von Sanktionen Betroffene wehren können.

Jobcenter sind die Behörden, die die Anträge auf die Grundsi­cherung für Arbeit­su­chende, auch Hartz IV oder Arbeits­lo­sengeld II (ALG II) genannt, entgegen­nehmen, bearbeiten und die Bescheide ausstellen. Aber ihre Aufgaben erschöpfen sich nicht darin, sondern bestehen zum Beispiel auch darin, Leistungs­emp­fänger zu sanktio­nieren, wenn diese etwa einen Termin beim Jobcenter verpassen oder nicht engagiert genug dabei mitmachen, einen Job zu finden und im Berufsleben wieder Fuß zu fassen.

In den ersten sechs Monaten 2018 haben die Jobcenter weniger Hartz-VI-Empfänger sanktioniert als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Sie verhängten 449.550 Sanktionen und damit 25.800 weniger als im ersten Halbjahr 2017. 77,4 Prozent der Sanktionen gingen auf Meldever­säumnisse zurück. Das gab die Bundes­agentur für Arbeit (BA) laut einem Bericht von Spiegel Online bekannt. Die Sankti­onsquote lag demnach bei 3,1 Prozent – der gleiche Wert wie im Vorjah­res­zeitraum. Die Quote ist das Verhältnis der verhängten Sanktionen zu allen erwerbs­fähigen Leistungs­be­rech­tigten.

Um Sanktionen zu rechtfertigen, stützen sich die Behörden auf das Sozial­ge­setzbuch II. Bei Sanktionen, die mit tatsächlich oder vermeintlich fehlenden Bemühungen um eine neue Arbeits­stelle zu tun haben, stützen sich die Behörden auf die Regeln der Einglie­de­rungs­ver­ein­ba­rungen.

Arbeits­lo­sengeld II: Was sind Einglie­de­rungs­ver­ein­ba­rungen?

Einglie­de­rungs­ver­ein­ba­rungen sind Verträge, die die Jobcenter mit den Empfängern von Arbeits­lo­sengeld II abschließen. Diese Verträge definieren das Ziel, die Leistungs­be­zieher wieder in die Arbeitswelt einzugliedern und legen die dazu nötigen Schritte und die Pflichten beider Parteien fest.

ALG II: Welche Verhal­tens­pflichten haben Hartz-IV-Empfänger?

Aus den Einglie­de­rungs­ver­ein­ba­rungen folgen für Leistungs­be­zieher von Arbeits­lo­sengeld II Mitwirkungs- und Verhal­tens­pflichten. So sind sie zum Beispiel verpflichtet, jeden Monat eine bestimmte Anzahl Bewerbungen auf Stellen­aus­schrei­bungen zu verfassen. Eine zumutbare Ausbildung oder Anstellung dürfen sie nicht ablehnen doch es kann Ausnahmen von dieser Pflicht geben.

„Arbeits­ge­le­gen­heiten“, also Ein-Euro-Jobs, müssen Bezieher von Arbeits­lo­sengeld II in der Regel annehmen. „Hartz-IV-Empfänger müssen jede Arbeit ausüben, die ihnen das Jobcenter anbietet, weil der Berufs­schutz für sie nicht greift“, sagt der Duisburger Rechts­anwalt Dr. Wolfgang Conradis von der Arbeits­ge­mein­schaft Sozialrecht im Deutschen Anwalt­verein (DAV). „Das ist anders als bei Beziehern von Arbeits­lo­sengeld I.“ Der fehlende Berufs­schutz bei Hartz IV kann dazu führen, dass etwa ein Leistungs­be­zieher mit akademischem Abschluss als Kassierer arbeiten muss.

Ersatz­an­sprüche bei „sozial­widrigem“ Verhalten

Wer als Hartz-IV-Bezieher seine Pflichten verletzt, dem drohen nicht nur Sanktionen. Jobcenter können unabhängig von Sanktionen die Leistungen komplett zurück­fordern, wenn sich jemand „sozial­widrig“ verhält, sie können also "Ersatz­an­sprüche" gegen die oder den Betroffene(n) geltend machen.

Beispiele für „sozial­widriges“ Verhalten nennt die Bundes­agentur für Arbeit in ihren im Sommer 2016 publizierten fachlichen Weisungen, also ihren Handlungs­emp­feh­lungen und Geschäfts­an­wei­sungen an die Jobcenter: Danach verhält sich „sozial­widrig“, wer etwa grundlos seinen Job kündigt, sein Vermögen verschenkt oder „vergeudet“, als Berufs­kraft­fahrer seinen Führer­schein und in der Folge seine Arbeit verliert, weil er betrunken Auto gefahren ist. Auch Mütter, die etwa den Namen des Vaters ihres Kindes und damit des Unterhalts­pflichtigen nicht nennen wollen, verhalten sich vermeintlich sozial­widrig.

Durch diese Verhal­tens­weisen entsteht in den Augen der Jobcenter eine von den Betroffenen willkürlich herbei geführte und vermeidbare finanzielle Bedürf­tigkeit. Deshalb sehen sich Jobcenter als berechtigt an, Leistungen nicht zu bewilligen, zu kürzen oder zurück­zu­fordern. Die Kürzungen können dauerhaft sein und erst nach Jahren aufgehoben werden.

Hartz-IV-Empfänger: Welche Folgen hat eine Pflicht­ver­letzung?

Bevor ein Jobcenter Sanktionen etwa wegen eines Verstoßes gegen Mitwirkungs- oder  Verhal­tens­pflichten verhängen darf, muss es den Betroffenen schriftlich warnen und in einer sogenannten Rechts­fol­gen­be­lehrung auf die Konsequenzen der Pflicht­ver­letzung hinweisen. Außerdem muss die Behörde den Betroffenen anhören. Erst nach diesen beiden Schritten ist sie berechtigt, den Hartz-IV-Bezieher zu sanktio­nieren.

Verstoß gegen Mitwirkungs- und Verhal­tens­pflichten: Welche Sanktionen können Hartz-IV-Empfängern drohen?

Wie drastisch die Sanktionen ausfallen, hängt davon ab, welche seiner Mitwirkungs- oder Verhal­tens­pflichten ein Leistungs­be­zieher verletzt. „Wer nicht zu einem vom Jobcenter bestimmten Termin erscheint, muss mit einer Kürzung seines monatlichen Regelsatzes um zehn Prozent rechnen“ sagt Rechts­anwalt Dr. Conradis. „Wer den zweiten und dritten Termin innerhalb kurzer Zeit versäumt, dem drohen Einbußen um bis zu 30 Prozent.“

Wer eine angebotene Arbeits­stelle ablehnt, wird noch härter sanktioniert. Der ersten Weigerung folgt eine Kürzung des Regelbedarfs um 30 Prozent, einer zweiten um 60 Prozent. Beim dritten Pflicht­verstoß entfallen der komplette Regelsatz und die Unterkunfts­kosten.

Rückmeldung nicht in der Akte vermerkt: Drohen Sanktionen?

Versäumen Hartz-IV-Bezieher eine Rückmeldung, können die Leistungen gekürzt werden. Kann aber nachge­wiesen werden, dass diese nur in den Akten nicht vermerkt wurde, darf keine Leistungs­kürzung vorgenommen werden. So entschied das Sozial­gericht Heilbronn am 28. April 2016 (AZ: S 11 R 4362/15).

Das Jobcenter der Stadt Heilbronn genehmigte einem 44-Jährigen, der seit Jahren Hartz IV bezieht, Urlaub. Im Rahmen einer persön­lichen Vorsprache teilte man ihm mit, dass er sich am Vormittag des Urlaubs­fol­getags am Empfangs­tresen des Jobcenters zurück­melden müsse.

Dass der Mann an jenem Tag vorsprach, ist in den Akten des Jobcenters nicht vermerkt. Obwohl er darlegte, sich pflichtgemäß zurück­ge­meldet zu haben – dies könne sein Bekannter bezeugen –, senkte das Jobcenter die SGB-II-Leistungen wegen eines "Meldever­säum­nisses" um knapp 120 Euro ab. In der Vergan­genheit war der Mann den Auffor­de­rungen des Jobcenters stets nachge­kommen.

Vor Gericht hatte er Erfolg. Nach Auffassung des Sozial­ge­richts hatte der Zeuge, der als Rentner selbst nicht Hartz IV bezieht, glaubhaft gemacht, dass der Kläger sich zurück­ge­meldet hatte. Aus welchen Gründen die Rückmeldung in den Akten des Jobcenters nicht vermerkt worden sei, könne offenbleiben.

Hartz IV: Sanktionen für junge Leute unter 25 Jahre

Leistungs­be­ziehern unter 25 Jahre begegnen die Jobcenter mit noch mehr Strenge. „Jungen Erwachsenen wird sofort der komplette Regelsatz gestrichen, wenn sie gegen ihre Pflicht zur Arbeits­aufnahme verstoßen“, sagt Rechts­anwalt Dr. Wolfgang Conradis. „Bei einem zweiten Pflicht­verstoß werden ihnen auch die Unterkunfts­kosten gestrichen.“

Hartz IV: Wie lange dauern Sanktionen?

Bei jungen Erwachsenen unter 25 Jahre können die Sanktionen auf sechs Wochen beschränkt werden – wenn diese ihr Verhalten ändern. Erwachsene Hartz-IV-Bezieher erhalten nach drei Monaten ihren Regelsatz oder die komplette Leistung wieder.

Sanktionen: Haben Sachbe­ar­beiter in Jobcentern einen Ermessens­spielraum?

Wenn ein Leistungs­be­zieher seine Pflichten verletzt, sind Sachbe­ar­beiter gezwungen, Sanktionen zu verhängen, selbst wenn sie diese nicht sinnvoll finden. Die Sachbe­ar­beiter haben beim Thema Sanktionen keinen Ermessens­spielraum.

Sanktio­nierte Hartz-IV-Empfänger: Sozialhilfe statt Hartz IV?

Fraglich ist, von welchem Geld Empfänger von ALG II leben, wenn sie sanktioniert sind und ohne Regelsatz oder Leistung auskommen müssen. Staatliche Leistungen wie Sozialhilfe oder Hilfe zum Lebens­un­terhalt können sie nämlich nicht beanspruchen.

Sanktio­nierten Hartz-IV-Beziehern bleibt nichts anderes übrig, als beim Jobcenter Sachleis­tungen wie Lebens­mit­tel­gut­scheine oder geldwerte Leistungen zu beantragen. Die Sachbe­ar­beiter können diese Leistungen bewilligen, müssen dies aber nicht, denn es handelt sich bei diesen Leistungen um sogenannte Kann-Leistungen. Eine Pflicht, diese Leistungen zu bewilligen, besteht nur dann, wenn Kinder mit dem Hartz-IV-Empfänger in einer Bedarfs­ge­mein­schaft leben.

Verstoß gegen Mitwirkungs- und Verhal­tens­pflichten: Wie können sich Hartz-IV-Empfänger gegen Sanktionen wehren?

Wer einen „wichtigen Grund“ für seinen Pflicht­verstoß vorbringt, kann einer Sanktion entgehen. Allerdings ist oft strittig, was ein „wichtiger Grund“ ist, weswegen diese Frage oft Gerichte entscheiden müssen.

Generell gilt: Gegen Sanktionen können Betroffene Widerspruch einlegen. Lehnt das Jobcenter den Widerspruch ab, steht es den Betroffene zu, Klage bei einem Sozial­gericht einzureichen. Bei allen Schritten, die man gegen Sanktionen unternimmt, sollte man sich von einer Rechts­an­wältin oder einem Rechts­anwalt für Sozialrecht beraten lassen. Sie oder er kann zum einen den Widerspruch formulieren, zum anderen bei seiner Klage und einem Prozess begleiten. „Klagen gegen Sanktionen sind oft erfolgreich“, sagt Rechts­anwalt Conradis.

Allerdings: Klagen haben keine aufschiebende Wirkung, so dass Betroffene gezwungen sind, die Kürzung oder komplette Streichung der Leistung zunächst hinzunehmen, bis das Gericht entscheidet.

Sind Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger verfas­sungs­widrig?

Im Mai 2015 hat das Sozial­gericht Gotha das Bundes­ver­fas­sungs­gericht angerufen, weil Sanktionen dem Gericht nach der Menschenwürde und der Berufs­freiheit widersprechen. Der Staat müsse auch ein Existenz­minimum garantieren, so das Gericht. Im Juni 2016 hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Vorlage des Sozial­ge­richts Gotha aber aus formalen Gründen als unzulässig abgelehnt. Im März 2016 hatte das Bundes­so­zi­al­gericht Kürzungen um bis zu 30 Prozent als verfas­sungsgemäß eingestuft.

Leistungen kürzen: Können Asylbe­werber sanktioniert werden?

Ja. Auch Asylbe­werbern können die Sozial­leis­tungen gekürzt werden. Zumindest gilt dies dann, wenn sie zum Beispiel nicht an ihrer Abschiebung mitwirken. Das hat das Bundes­so­zi­al­gericht (BSG) in Kassel am Donnerstag, 11. Mai 2017, entschieden (AZ B7 AY 1/16R). In dem verhan­delten Fall ging es um einen Asylbe­werber aus Kamerun, den die Auslän­der­behörde zahlreiche Male dazu aufgefordert hatte, bei der Beschaffung von Ausweis­do­ku­menten mitzuwirken. Weil der Mann sich weigerte, kürzte ihm die Auslän­der­behörde die Leistungen um 135 Euro auf das "soziokul­turelle Existenz­minimum". Zu Recht, wie das BSG geurteilt hat.

Ähnlich hatte das BSG im März 2016 bei einem nieder­säch­sischem Hartz-IV-Empfänger geurteilt und dessen dauerhafte Leistungs­kürzung um 121,20 Euro betätigt.

Die Urteile des BSG sind zwar nicht bindend für andere Fälle, aber sie sind richtungs­weisend für Gerichte und Behörden.

Datum
Aktualisiert am
31.07.2017
Autor
ime/dpa/tmn
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