Lucy F. ist erst fünf Jahre alt und hat trotzdem schon viel durchgemacht. Ihr Leben hing am seidenen Faden, als sie lange vor ihrem Geburtstermin zur Welt kam. Sie konnte nicht alleine atmen, Schleim verstopfte ihre Lungen und Bronchien. Um Lucy zu retten, schnitten ihr die Ärzte kurz nach der Geburt die Luftröhre auf und legten ihr eine spezielle Kanüle in den Hals, eine sogenannte Trachealkanüle. Darüber war Lucy mit einer Beatmungsmaschine verbunden. Es dauerte Wochen, bis Lucy nach Hause konnte.
Mit Pflegerin in den Kindergarten
Im November 2012 wollten die Ärzte Lucy von der Kanüle entwöhnen. Denn das Kind sollte lernen, alleine zu atmen. Dann müsste sie nachts nicht mehr an das Beatmungsgerät angeschlossen werden und es würde ihr besser gehen, hofften die Ärzte. Allerdings war ein solcher Versuch schon einmal gescheitert. Dennoch – die Ärzte gaben nicht auf, so schwierig und medizinisch gefährlich eine Entwöhnung auch sein kann. Es können Komplikationen auftreten, bei denen sofort jemand helfen muss. Deshalb war die Pflege, die Lucy in dieser Zeit zu Hause bekam, auch besonders wichtig. Fast rund um die Uhr war eine Pflegerin bei ihr, auch nachts wachte sie über den Schlaf des Mädchens. Die Pflegerin war auch im Kindergarten dabei. Ihn hätte Lucy ohne die Pflegerin gar nicht besuchen dürfen.
Welttag der sozialen Gerechtigkeit
Diesen Aktionstag haben die Vereinten Nationen im Jahr 2009 ausgerufen. Seither wird er jedes Jahr am 20. Februar begangen. Dabei gehört soziale Gerechtigkeit
laut UN zu den wichtigsten globalen Aufgaben. Soziale Gerechtigkeit meint: Benachteiligungen etwa wegen des Alters, der Ethnie, Religion, Kultur, Behinderung oder Geschlecht sollen verhindert werden und alle Menschen an den Gütern einer Gemeinschaft teilhaben.
Kasse streicht Leistungen kurz vor Weihnachten
Diese Betreuung wollte die Krankenkasse Familie F. aber irgendwann nicht mehr bezahlen. Die E-Mail, die kurz vor Weihnachten 2012 im Posteingangsfach der Familie landete, enthielt nur wenige dürre Worte: „Aufgrund des aktuellen Gutachtens des MDK wird die häusliche Intensivpflege ab dem 21.12.2012 aufgehoben. Der Pflegedienst ist ebenfalls entsprechend informiert worden. Der Bescheid wird Ihnen in den kommenden Tagen noch als Original per Post zugehen.“
Lucys Eltern waren verzweifelt. Ein Stopp der Pflege wäre für sie nicht nur langfristig eine Katastrophe gewesen, sondern hätte auch bedeutet, dass Lucy Weihnachten im Krankenhaus hätte verbringen müssen. Denn die Eltern waren medizinisch einfach nicht fachkundig genug, um ihre Tochter gut zu versorgen und bei Notfälle richtig reagieren zu können.
David gegen Goliath
Sie nahmen den Kampf gegen die Krankenkasse auf. Hilfe bei dieser ungleichen Auseinandersetzung bekamen sie von einem versierten Anwalt für Sozialrecht. Der Rechtsanwalt legte bei der Krankenkasse sofort Widerspruch gegen den Bescheid ein. Lucys Versorgung müsse weitergehen, schrieb er. Zumindest bis über den Widerspruch entschieden sei und vor allem bis nach Weihnachten. Doch die Kasse ließ sich nicht beirren und verwies kühl auf das Gutachten ihres MDK, des Medizinischen Dienstes. Dem zu Folge könne Lucys Mutter ihre Tochter pflegen. Schließlich sei sie darin geübt und nicht berufstätig. Das Gutachten rechtfertige nur einen ambulanten Pflegedienst für den Besuch des Kindergartens.
Damit wollten sich Familie F. und ihr Anwalt aber keineswegs abfinden. Um jeden Preis wollten sie den Stopp der Pflege verhindern und dazu eine einstweilige Anordnung beim Sozialgericht erwirken. Doch dafür mussten sie sich beeilen, ihnen blieb nur noch der Freitag vor Weihnachten, der auch nur ein halber Arbeitstag war. In Windeseile stellte der Anwalt alle Unterlagen zusammen, die er für die Anordnung brauchte. In nur drei Stunden hatte er einen 13 Seiten starken Anordnungsschriftsatz mit 37 Seiten Anlagen mit Gutachten über Lucys körperliche Verfassung erstellt. Die zuständige Richterin gab der Anordnung statt und sicherte damit Lucys Pflege - zunächst.
Wieder ablehnender Bescheid
Denn die Krankenkasse ließ nicht locker und mailte der Familie kurz vor Ostern 2013 erneut. Ab Anfang April würden die Leistungen für Lucy komplett gestrichen, hieß es. Die Kasse begründete ihre Entscheidung mit einem neuen Gutachten des MDK. Wieder beantragte der Anwalt der Familie F. eine einstweilige Anordnung beim Sozialgericht und wieder entschied es zu Lucys Gunsten.
Aktuell ist Lucys Pflege gesichert. Ein gutes Zeichen, das vielen Menschen Mut machen könnte, sich gegen ablehnende Bescheide der Krankenkassen zu wehren. Lucys Fall zeigt auch, wie Sozialrecht und Rechtstaat siegen und ihre menschliche Seite zeigen können, besonders im Zusammenspiel von Anwälten und Gerichten.
- Datum
- Aktualisiert am
- 27.06.2014
- Autor
- ime