Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Ein Anspruch auf die Verwirkung von Elternunterhalt besteht auch dann nicht, wenn vor vielen Jahren der Elternteil, der Unterhalt benötigt, einseitig den Kontakt zum Kind abgebrochen hat.
In dem Fall hatte die Freie Hansestadt Bremen als Antragstellerin vom Antragsgegner, hier dem Kind, die nachträgliche Zahlung von gut 9000 Euro für angefallene Kosten im Pflegeheim verlangt. Der Sohn weigerte sich den Elternunterhalt für seinen Vater für die Zeit von drei Jahren zu entrichten, da er angab, jahrzehntelang keinen Kontakt zu seinem Vater gehabt zu haben. Das geht auch aus dem Testament des Anfang 2012 verstorbenen Vaters hervor.
Famielienrechtsexperte: Urteil nicht überraschend
Zwar erkannten die Richter in ihrem Urteil an, dass der Kontaktabbruch durch den Vater eine Verfehlung darstelle, allerdings keine schwere, so dass Elternunterhalt hätte gezahlt werden müssen. Zudem habe sich der Vater die ersten 18 Jahre um seinen Sohn gekümmert und somit „gerade in der Lebensphase, in der regelmäßig eine besonders intensive elterliche Fürsorge erforderlich ist, seinen Elternpflichten im Wesentlichen genügt“ (Urteil vom 12. Februar 2014, AZ: XII ZB 607/12).
Rechtsanwalt Jochem Schausten vom Geschäftsführenden Ausschuss Familienrecht und der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) überrascht das Urteil nicht: „Es hätte mich nach der Rechtsprechung der vergangenen Jahre schon sehr gewundert, wenn der BGH in diesem Fall anders entschieden hätte.“
Hintergrund zum Elternunterhalt
Was aber steckt hinter dem Elternunterhalt? „Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.“ Dieser Satz steht im Bürgerlichen Gesetzbuch (§1601) und fasst im Grunde zusammen, was sich hinter dem Elternunterhalt verbirgt: Können die pflegebedürftigen Eltern ihren Lebensbedarf mit ihrer Rente, dem eigenen Vermögen und dem Pflegegeld nicht decken und sind die Kinder dazu in der Lage, werden sie herangezogen, wenn es darum geht, die Eltern finanziell zu unterstützen. Oder wie es im Behördendeutsch heißt: Neben der Bedürftigkeit der Eltern muss gleichsam die Leistungsfähigkeit des Kindes gegeben sein. Enkelkinder können dabei nicht zur Zahlung verpflichtet werden. Der Sozialhilferegress greift nur bei den Kindern. Hier wiederum kommen auch die Schwiegerkinder ins Spiel, denn wenn das Kind verheiratet ist, wird auch auf das Einkommen und Vermögen des Ehepartners geschaut.
In der Regel wird diese Frage relevant, wenn die Eltern in Alters- oder Pflegeheimen untergebracht werden, die oftmals notwendig, aber auch teuer sind. Doch auch bei ambulanter häuslicher Pflege können Unterhaltsforderungen durch die Sozialhilfeträger auftreten.
Üblicherweise übernehmen hierbei die Sozialämter zunächst die offene Summe beziehungsweise die Zahlungen, gleichzeitig geht auf sie der Unterhaltsanspruch der Eltern über – und die Ämter wenden sich dann an die Kinder. Sollten mehrere Kinder aus einer Partnerschaft hervorgegangen sein, so haften sie mitunter alle – je nach Einkommens- und Vermögensstand.
Viele Bescheide zum Elternunterhalt sind fehlerhaft
Rechtsanwalt Jochem Schausten: „Der Sozialhilfeträger fordert Angaben zum Einkommen und dem Vermögen des betreffenden Kindes, oder der Kinder. Auf dieser Grundlage errechnet er dann, wie hoch der Unterhalt ausfällt.“ Eine komplizierte Rechnung liegt dem zugrunde, eigene Kinder spielen dabei ebenso eine Rolle, wie beispielsweise eine Monatskarte für den öffentlichen Personennahverkehr. Zudem wird nicht nur das regelmäßige Einkommen, sondern auch das eigene, womöglich über viele Jahre angesparte Vermögen in die Berechnung mit einbezogen. „Relevant ist, ob es ein unterhaltsrelevantes Einkommen bei den Kindern gibt“, sagt Schausten. Dieses Nettoeinkommen werden dann „bereinigt“.
Fünf Prozent des monatlichen Bruttogehalts können dabei aber für die eigene Altersvorsorge zurückgelegt, also in der Verrechnung außen vor gelassen werden.
Da die Berechnung augenscheinlich komplex ist, kommt es immer wieder zu Fehlern, wie Rechtsanwalt Schausten weiß: „60 bis 80 Prozent der Bescheide sind falsch berechnet.“ Dabei falle die Berechnung zwar nicht immer zu den Ungunsten der Betroffenen aus, eine Überprüfung durch einen Rechtsanwalt sei aber in jedem Fall wichtig, so der Fachanwalt für Familienrecht. Wichtig sei allerdings, dass vollumfänglich über den eigenen Vermögensstand Auskunft erteilt werde.
Ältere Urteile zum Elternunterhalt
In der Vergangenheit haben sich Gerichte immer wieder mit dem Elternunterhalt beschäftigt. 2010 wurde ein ähnlicher Fall verhandelt, wie er nun den XII. Zivilsenat des BGH beschäftigte. Damals machte der Angeklagte eine Verwirkung wegen verspäteter Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs geltend. Er wies daraufhin, dass er seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter gehabt und diese ihn als Kind schlecht behandelt habe, was somit eine „unbillige Härte“ bedeuten würde, wenn er gegenüber dem Sozialhilfeträger nun für den Unterhalt der Mutter aufkommen müsse. Der BGH entschied schon damals: Der Beklagte habe dennoch Unterhalt an seine Mutter bzw. den Sozialhilfeträger zu entwenden (AZ: XII ZR 148/09).
Doch hat der Bundesgerichtshof jüngst auch im Interesse der Kinder entschieden, zumindest wenn man davon ausgeht, dass diese nicht gerne zusätzliches Geld zahlen. Eine Eigentumswohnung oder das Eigenheim des Kindes fällt demnach nicht in die Berechnung, da es sich dabei um die eigene Altersvorsorge handele, auf die erwachsene Kinder einen Anspruch hätten, so die Richter am BGH im Sommer 2013. Allerdings gilt dies nicht für jeglichen Immobilienbesitz, sondern nur für den selbstgenutzten (AZ: XII ZR 269/12). Ebenso hat das Gericht akzeptiert, dass dem Kind 10 000 Euro aus dem Privatvermögen bleiben müssen, also auch dieses Geld beim Elternunterhalt nicht mit angerechnet werden darf.
- Datum
- Aktualisiert am
- 22.09.2015
- Autor
- ndm