
Espen Eichhöfer befindet sich derzeit im Streit. In einem Rechtsstreit genau genommen, der erhebliche Auswirkungen haben könnte. Denn der Fotograf streitet dabei nicht nur für sich. Gewissermaßen streitet er für seinen Berufsstand und für die Kunstfreiheit.
Was ist passiert? Eichhöfer fotografierte im Mai 2013 Straßenszenen am Berliner Zoologischen Garten. Einige Fotos wurden Teil einer Ausstellung. Das Problem daran: Auf einem Bild ist eine Frau zu sehen, die sowohl den Fotografen als auch die Galerie auf Schmerzensgeld verklagte – denn sie sieht ihre Persönlichkeitsrechte verletzt. Das Geld wurde ihr vor dem Landgericht Berlin zwar nicht zugesprochen, doch erkannte das Gericht die verletzten Persönlichkeitsrechte der abgebildeten Frau an. Eichhöfer und sein Anwalt haben bereits angekündigt gegen die Entscheidung vorzugehen und zur Not bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Denn Eichhöfer sieht eine ganze Kunstgattung – die Straßenfotografie – gefährdet, sollten auch höhere Instanzen der Entscheidung des Landgerichts folgen. Sein Schluss daraus: Kein Fotograf dürfte künftig noch Straßenszenen festhalten.
Kunstfreiheit vs. Persönlichkeitsrechte: Was darf Straßenfotografie?
Kunstfreiheit sei ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut, argumentieren Eichhöfer und sein Anwalt. Im Grundgesetz (Art. 5) heißt es dazu: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“
Ansgar Koreng ist Rechtsanwalt in einer auf Urheber- und IT-Recht spezialisierten Kanzlei, Mitglied im Deutschen Anwaltverein (DAV) und glaubt nicht daran, dass Straßenfotografie generell unzulässig wird. „Ich habe schon den Eindruck, dass die Entscheidung des Gerichtes eine Einzelfallentscheidung ist, die man nicht ohne weiteres generealisieren kann oder sollte.“
Aktuelle Rechtslage zur Straßenfotografie: Bilder ohne Einverständnis möglich
Nach geltendem Recht muss zwischen einer bloßen Aufnahme mit abgebildeten Menschen für den Privatbesitz und der Veröffentlichung dieser unterschieden werden. Ersteres ist erlaubt, letzteres nur mit Einschränkungen. Doch erklärt Ansgar Koreng: „Für die Veröffentlichung von Fotos von Straßenszenen, auf denen Einzelpersonen erkennbar sind, gibt es eine Reihe von Rechtfertigungsmöglichkeiten.“
Welche das sind? Eine Übersicht:
1. Die Einwilligung
Die Einwilligung der abgebildeten Personen ist die sicherste Variante, um als Fotograf ohne rechtliches Nachspiel auszukommen. Man kann die fotografierte Person anschließend fragen, ob das Foto veröffentlich werden darf. Ganz sicher geht man aber nur, wenn man für die Erteilung der Einwilligung entweder einen Zeugen hätte, oder aber eine schriftliche Einverständniserklärung einholt.
Doch braucht es das Einverständnis nicht immer. In § 23 des Kunsturhebergesetzes (KUG) sind einige sogenannte Rechtfertigungsmöglichkeiten dargelegt, die die Veröffentlichung auch ohne die Zustimmung abgebildeter Personen zulassen.
2. Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte
Eine dieser Möglichkeiten betrifft Fotos, die eine die Öffentlichkeit interessierende Frage betreffen. Rechtsanwalt Ansgar Koreng: „Wenn beispielsweise jemand im Zusammenhang mit einem wichtigen Ereignis abgebildet wird, kann er das nicht verbieten.“ Dabei komme es immer auch auf den Kontext der Veröffentlichung an. Ein Beispiel hierfür sind Aufnahmen während des Falls der Berliner Mauer.
3. Bilder mit Personen als Beiwerk
Wenn die Örtlichkeit, also die Landschaft oder ein Gebäude den Gehalt des Bilds prägt und somit das eigentliche Motiv ist, dennoch aber eine Person darauf zu sehen ist, kann sie unter Umständen keine Persönlichkeitsverletzung anmahnen. „Das geht zumindest dann nicht, wenn die Personenabbildung derart untergeordnet ist, dass sich das Charakter des Bildes auch dann nicht verändert, wenn man sie sich wegdenkt“, erklärt Koreng. Dass es sich dabei um Einzelfallentscheidungen handelt, steht außer Frage.
4. Teilnehmer von Veranstaltungen
Auch wer – beispielswese – an einer Demonstration teilnimmt, kann eine Veröffentlichung eines Fotos der Veranstaltung im Nachhinein im Normalfall nicht verbieten.
5. Höheres Interesse der Kunst
Auch dürfen Fotos ohne Einwilligung veröffentlich werden, wenn dies im künstlerischen Interesse geschieht. Rechtsanwalt Ansgar Koreng sagt gegenüber der Anwaltauskunft: „Wann das der Fall ist, bestimmt sich nach einer Abwägung der Kunstfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.“
Bisher wurde diese Frage nur selten vor deutschen Gerichten diskutiert. Zumindest aber das Landgericht Düsseldorf definierte 2012 das höhere Interesse der Kunst, das nur dann gegeben sei, „wenn die Abbildung der Kunst im Sinne des Artikel 5 des Grundgesetzes dient und eine Interessenabwägung ergibt, dass die Herstellung bzw. Verwertung des Bildes für den künstlerischen Zweck notwendig, geboten und verhältnismäßig ist“ (Urteil vom 28. November 2012; AZ: 12 O 545/11).
Bedeutung der Rechtslage zur Street Photography für den aktuellen Rechtsstreit
Ansgar Koreng nimmt an, dass das Zeigen einer Fotografie im Rahmen einer Kunstausstellung der geradezu klassische und vom Gesetzgeber auch intendierte Anwendungsfall dieses Ausnahmetatbestands sei.
„Die Frage ist aber schließlich noch, ob, auch wenn das höhere Interesse der Kunst zu bejahen ist, im konkreten Fall die Interessen der Abgebildeten höher wiegen als die des Künstlers“, erklärt Koreng und fügt hinzu: „Das ist eine Frage des Einzelfalls, die das Landgericht Berlin im fraglichen Fall bejaht hat.“ Ob man daraus aber das generelle Ende der Straßenfotografie ableiten kann? Ansgar Koreng glaubt es nicht.
- Datum
- Aktualisiert am
- 13.02.2015
- Autor
- ndm