Gesetzliche Krankenkassen müssen Anträge auf Gesundheitsleistungen innerhalb einer gewissen Frist bearbeiten. Doch was geschieht, wenn die Krankenversicherung diese Frist verstreichen lässt? Darf man als Versicherter die Leistung dann „auf eigene Faust“ in Anspruch nehmen und sich die Kosten von der Kasse erstatten lassen? Das Rechtsportal anwaltauskunft.de erklärt, welche Rechte Versicherte genießen.
Gesetzlich Versicherte kennen das Problem: Man braucht etwa eine neue Zahnkrone, doch die Krankenversicherung bewilligt den eingereichten Heil- und Kostenplan nicht. Oder sie bewilligt ihn, braucht aber Wochen, um den Antrag zu bearbeiten.
Ein solcher Fall lag heute dem Bundessozialgericht (BSG) vor. Dabei haben sich die Richter mit der Frage befasst, welche Rechte ein Versicherter hat, dessen Antrag auf Gesundheitsleistungen die Krankenkasse zu langsam bearbeitet. Die höchsten deutschen Sozialrichter haben entschieden: Ein Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung darf Leistungen eigenständig in Anspruch nehmen, wenn seine Kasse den Antrag nicht schnell genug bearbeitet. In einem solchen Fall muss die Versicherung die Kosten erstatten (AZ: B 1 KR 25/15 R).
Krankenversicherung: Anträge auf Leistungen zügig bearbeiten
Konkret ging es um einen gesetzlich Versicherten, der bei seiner Krankenkasse 25 Sitzungen Psychotherapie beantragt hatte. Die Kasse holte ein Gutachten ein, informierte den Kläger darüber aber nicht. Wegen der Ergebnisse des Gutachtens lehnte die Krankenversicherung knapp sechs Wochen später den Antrag ab.
Weil die Kasse sich Zeit ließ, hatte der Versicherte selbstständig mit der Therapie begonnen und die Sitzungen bezahlt. Die Kosten dafür, 2.200 Euro, wollte er von seiner Kasse erstattet bekommen. Diese weigerte sich, doch die Vorinstanzen gaben dem Versicherten Recht und verurteilten die Krankenversicherung dazu, die Kosten zu erstatten (AZ: S 23 KR 563/14 und L 2 KR 180/14). Dagegen legte die Kasse Revision vor dem BSG ein und rügte dabei die Verletzung von § 13 Abs 3a S 6 und 7 SGB V. Allerdings ohne Erfolg.
Krankenversicherung und Leistungsanträge bearbeiten: Welche Fristen gelten?
Seitdem legt Absatz 3a in § 13 fest: Krankenkassen müssen die Anträge auf Gesundheitsleistungen ihrer Mitglieder innerhalb von drei Wochen bearbeiten und entscheiden.
Fünf Wochen Zeit haben die Krankenkassen, wenn sie einen Gutachter einschalten und eine Stellungnahme zum Antrag von ihm einholen. Bei zahnärztlichen Gutachten haben Kasse sechs Wochen Zeit, um einen Antrag zu bewilligen oder ihn abzulehnen. In jedem Fall müsse Krankenversicherung den Versicherten darüber informieren, dass sie einen Gutachter beauftragt haben.
Wenn Krankenkassen die genannten Fristen nicht einhalten können, müssen sie den Versicherten dies rechtzeitig schriftlich mittteilen und begründen.
„Rühren“ sich Krankenversicherungen innerhalb der vorgeschriebenen Frist nicht, gilt die Leistung nach deren Ablauf als genehmigt. Allerdings muss es sich bei den Leistungen um solche handeln, die im Leistungskatalog der Krankenkassen enthalten sind.
Nur Gutachten vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung erlaubt
Lassen die Krankenkassen einen Antrag von einem Gutachter prüfen, dürfen sie sich dazu nur an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) wenden. Andere medizinische Sachverständige dürfen sie nicht einschalten. Dies ergibt sich aus dem Sozialgesetzbuch und gilt auch bei Anträgen auf zahnmedizinische Behandlungen.
Das geht aus einer Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 2017 hervor (AZ: L 5 KR 170/15). Nach Auffassung des Gerichts verstößt die Beauftragung anderer Gutachter oder Gutachterdienste gegen die gesetzliche Aufgabenzuweisung des Sozialgesetzbuchs (§ 275 Abs. 1 SGB V). Im Übrigen liege ein Verstoß gegen den Datenschutz vor.
Im zugrundeliegenden Fall litt ein Kind an einer schweren Zahnfehlstellung. Für das Kind wurde eine kieferorthopädische Behandlung beantragt. Die Krankenkasse holte daraufhin ein kieferorthopädisches Gutachten von einem Gutachter der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ein. Den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung beauftragte sie nicht, ein Gutachten zu fertigen.
Falscher Gutachter: Chancen auf Schmerzensgeld
Auf der Grundlage dieses Gutachtens lehnte die Krankenkasse die Leistung ab. Erst ein Jahr später bewilligte die gesetzliche Krankenversicherung auf einen geänderten Antrag hin die Leistung. Zwischenzeitlich hatte das Kind unter starken Schmerzen gelitten, es mussten mehrere Zähne entfernt werden. Vor Gericht sollte festgestellt werden, dass die anfängliche Ablehnung der kieferorthopädischen Behandlung rechtswidrig gewesen sei.
Der vom Sozialgericht in erster Instanz beauftragte Sachverständige stellte in seinem ausführlichen Gutachten dar, dass die kieferorthopädische Behandlung von Anfang an angezeigt gewesen wäre. Beim Zivilgericht – hier das Landgericht – hat das Kind nun gute Chancen Schmerzensgeld zu bekommen. Die Entscheidung des Landessozialgerichts hilft, den Anspruch durchzusetzen.
Antrag zu spät bearbeitet und falscher Gutachter: Behandlung genehmigt
In einem anderen Fall entschied das Bayerische Landessozialgericht ebenfalls zugunsten der Antragsteller (Entscheidung vom 27. Juni 2017, AZ: L 5 KR 260/16). Die Versicherte beantragte ein Zahnimplantat. Die Krankenkasse wandte sich auch hier nicht an den MDK, sondern unmittelbar an einen niedergelassenen Zahnarzt. Dessen eine DIN-A 4-Seite umfassendes Gutachten war Grundlage der ablehnenden Entscheidung der Kasse.
Seit der Antragstellung waren sieben Wochen vergangen, die Krankenkasse hatte die Versicherte nicht über einen hinreichenden Grund für die verzögerte Bearbeitung in Kenntnis gesetzt.
Dem Landessozialgericht zufolge hatte die Krankenkasse die gesetzliche Entscheidungsfrist von drei Wochen versäumt. Auf eine längere Entscheidungsfrist könne sich die Krankenkasse nicht berufen. Sie habe zudem in rechtswidriger Weise nicht den MDK mit dem Gutachten beauftragt. Die Patientin hat also unmittelbar einen Anspruch auf die Behandlung. Sie gilt als genehmigt.
Probleme mit der Krankenkasse? Anwältinnen und Anwälte helfen
Diese Fälle zeigen, dass man sich erfolgreich gegen die Krankenkassen wehren und seine Ansprüche durchsetzen kann. Zuständig sind Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte des Sozialrechts. Spezialisierte Ansprechpartner in Ihrer Nähe finden Sie über die Anwaltssuche oben auf dieser Seite.
- Datum
- Aktualisiert am
- 05.01.2018
- Autor
- ime