Deutsche Anwaltauskunft: Was bedeutet das Urteil für die in Deutschland betroffenen Frauen?
Rudolf Ratzel: Für deutsche Patientinnen hat dieses Urteil zunächst keine direkten Auswirkungen. Die Richter haben sich dem Fall strafrechtlich isoliert angenommen – und über die Konsequenzen für den Firmengründer entschieden – von dem ja die kriminelle Energie ausging. Eine andere Frage ist, ob die französischen Patientinnen als Nebenklägerinnen auf diesem Urteil Ansprüche – wie Schadensersatz oder Schmerzensgeld – stützen können.
Ratzel: Auf dem direkten Weg nicht. Auch Klagen gegen Kliniken, die diese Implantate eingesetzt haben, sind vor deutschen Gerichten abgewiesen worden. Ich finde auch zu Recht. Kliniken sollten sich darauf verlassen dürfen, dass Implantate gewissen Qualitätsstandards entsprechen, wenn sie dementsprechend gekennzeichnet sind. Im Fall des französischen Herstellers waren die Implantate mit dem CE-Siegel versehen, das in Deutschland der TÜV Rheinland vergibt. Darauf haben sich alle verlassen, bis die Warnung rausging, dass die Implantate nicht in Ordnung sind.
Anwaltauskunft: Im Prozess in Marseille ist der TÜV Rheinland als Nebenkläger aufgetreten. An deutschen Gerichten wurde hingegen erörtert, inwieweit die Prüfstelle Schuld auf sich geladen hat, weil er die Implantate für unbedenklich befand. Ergäbe sich für deutsche Patientinnen hier ein Weg, Ansprüche durchzusetzen?
Ratzel: Das wird unterschiedlich bewertet. In Bezug auf die deutsche Rechtsauffassung wurde diese Frage bislang verneint, weil der TÜV Rheinland das Prüfverfahren eingehalten hat und aktiv getäuscht wurde. Der TÜV Rheinland ist in Deutschland noch als hochwertiger Zertifizierer angesehen. In Frankreich gibt es allerdings ein Urteil in erster Instanz, in dem das Gericht eine Mitverantwortung ausgewiesen hat. Da waren die Richter der Auffassung, die Prüfer des TÜV hätten stutzig werden müssen. Dieses Urteil ist bislang allerdings nicht rechtskräftig, weil gegen dagegen Berufung eingelegt wurde. Würde die allerdings abgeschmettert, wäre es denkbar, dass die deutsche Rechtsprechung dieser Entscheidung folgt – und sich daraus Ansprüche für die Patientinnen ergäben.
Anwaltauskunft: Als Reaktion auf den Skandal um die billigen Brustimplantate hat das Bundesinstitut für für Arzneimittel und Medizinprodukte 2012 eine Empfehlung herausgegeben, nach der betroffene Frauen sich die Implantate entfernen lassen sollten. Wer ist für die Kosten aufgekommen?
Ratzel: Laut Gesetz sind die Krankenkassen nicht verpflichtet, die Kosten zu übernehmen. Das gilt zumindest für Komplikationen nach Schönheitsoperationen, denen ästhetische Motive zugrunde lagen. Dementsprechend haben die großen Kassen nach dem Skandal zunächst gehandelt. Als man aber feststellte, dass viele Frauen betroffen sind – haben sich die Versicherer größtenteils darauf verständigt, die Kosten doch zu übernehmen.
Das Sozialgericht Berlin hat untermauert, dass Krankenkassen die Kosten für die Herausnahme der Implantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse erstatten müssen. Einen Teil der Rechnung dürfen sie an die Patientin zurückgeben, wenn die sich ursprünglich aus ästhetischen Gründen für die Brust-OP entschieden hat. Die Kostenübernahme obliegt damit nicht mehr der Kulanz der Kassen. Ihr Urteil begründeten die Richter mit der medizinischen Notwendigkeit des Eingriffs. Für den Ersatz der Implantate müssen die Krankenversicherer hingegen nicht aufkommen.
- Datum
- Aktualisiert am
- 27.06.2014
- Autor
- red