„No shots, no school“ ist die Parole, nach der in den USA die Schulen vor Epidemien durch Infektionskrankheiten wie Masern bewahrt werden sollen: Wer sich nicht impfen lässt, darf nicht zur Schule gehen. Ausnahmen bestätigen die Regel. So dürfen Eltern ihre Kinder in allen Bundesstaaten aus gesundheitlichen Gründen von der Immunisierung ausnehmen. Aber auch religiöse Motive oder persönliche Skrupel werden in der Regel anerkannt.
Hierzulande gibt es keine mit US-Verhältnissen vergleichbare Impfkampagne mehr, seitdem 1972 einem Deutschen das letzte Mal Pocken attestiert wurden und drei Jahre später die Impfpflicht kippte. Eingeführt worden war die Pflicht 1874 für Kinder mit dem Reichsimpfgesetz. Danach waren Eltern angehalten, ihre Einjährigen gegen die schwarzen Blattern impfen zu lassen. Eine Auffrischung der Immunisierung sah das Gesetz für das zwölfte Lebensjahr vor.
In einem von 4500 Fällen verlaufen Masern in Westeuropa durchschnittlich tödlich
Mediziner warnen unterdessen davor, die Masernviren nicht als harmlose Kinderkrankheit abzutun. 2013 sind weltweit, so die Weltgesundheitsorganisation (WHO), 145 700 Menschen an den Masern gestorben. Komplikationen seien keine Rarität, heißt es etwa in einem Aufsatz des Paul-Ehrlich-Instituts: eine Bundesbehörde, die sich mit Impfstoffen befasst. Bis zu sechs Prozent der Patienten entwickelten infolge der Masernerkrankung eine Lungenentzündung. Jeder Tausendste erkranke an einer Gehirnentzündung. Gefürchtet ist als Komplikation der Masern aber vor allem eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, die erst sechs bis acht Jahre nach der eigentlichen Infektion ausbricht. Äußerst selten. Meist tödlich.
An welchen Komplikationen das Kleinkind in Berlin gestorben ist, bleibt unterdessen unter Verschluss. Eigentlich hatte sich die Politik zum Ziel gesetzt, die Masern bis 2015 zu den Akten zu legen. Stattdessen sind alleine für die Hauptstadt rund 600 Krankheitsfälle seit Wintereinbruch dokumentiert. Statistisch betrachtet leben in Berlin besonders viele Eltern, die ihre Kinder aus Überzeugung nicht impfen lassen.
Eine Impfung schützt nicht immer vor Krankheit
Eben jene Impfgegner argumentieren unter anderem, dass es keine wissenschaftlichen Belege für die Wirkung einer Impfung gäbe und dass die Krankheitsfälle nicht ob der Impfstoffe sondern verbesserter Lebensumstände zurückgegangen seien. Befürworter des Impfens tun derlei Annahmen wiederum als Verschwörungstheorien ab: weil es keine Belege gäbe. Sie sehen als evident an, dass mit der Einführung des Impfstoffs die Zahl der Masernerkrankungen gesunken ist.
„Man kann trotz Impfung erkranken“, lässt sich unterdessen auf der Homepage des Robert-Koch-Instituts (RKI) lesen, dem die sogenannte Ständige Impfkommission (Stiko) zugehört. Auf deren Geheiß legen die Gesundheitsbehörden der Bundesländer fest, welche Impfungen öffentlich empfohlen werden. Keine einzige Krankheit vermöge ausnahmslos alle Geimpften zu schützen ebenso wie kein Medikament bei sämtlichen Patienten wirkt, ist vom RKI zu vernehmen. Allerdings würde eine Schutzimpfung die Wahrscheinlichkeit senken, an Masern oder anderen Virusinfektionen zu erkranken.
„Impfmüde Deutsche werden zum weltweiten Risiko“
Die Politik ist indes aufgeschreckt. CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn hatte anlässlich der Krankheitsfälle in Berlin am Wochenende die Impfpflicht wieder ins Spiel gebracht: „Wenn wir es nicht schaffen, mit verstärkter Aufklärung und Beratung die Impfraten bald zu steigern, sollten wir über eine Impfpflicht in Kindergärten und Schulen nachdenken“, so Spahn gegenüber der Welt am Sonntag.
Die Opposition im Bundestag lehnte den Vorstoß der Großen Koalition hingegen ab. Impfzwang könne nicht die richtige Antwort sein, hieß es aus den Reihen der Grünen. Hohe Impfraten würden eher durch Aufklärung bewirkt.
Inwieweit eine Impfpflicht durchgesetzt werden könnte
Letztlich würde die Einführung einer Impfpflicht das Infektionsschutzgesetz erlauben. Darin heißt es: Das Bundesministerium für Gesundheit wäre, sofern der Bundesrat sein „ok“ gäbe, berechtigt, eine Schutzimpfung für bedrohte Teile der Bevölkerung anzuordnen.
Während hierzulande noch über das Für und Wider einer Pflicht diskutiert wird, galten die Masern in den USA seit 2010 als ausgerottet. Ein Erfolg der Impfkampagne, war man sich sicher. Dann stiegen die Raten wieder. Zuletzt soll ein einzelner infizierter Besucher im Freizeitpark Disneyland zu einer erneuten Masern-Kettenreaktion geführt haben. Patient Zero soll ein philippinischer Urlauber gewesen sein.
- Datum
- Aktualisiert am
- 27.02.2015
- Autor
- kgl