In dem von der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitgeteilten Fall hatte sich die werdende Mutter zur Geburt in die Klinik begeben. Während der Geburt vermerkte der behandelnde Gynäkologe im Geburtsbericht „Makrosomie“. Der Säugling kam mit einem gelähmten rechten Arm zur Welt. Er hatte eine erhebliche Verletzung des Plexus brachialis, ein Nervengeflecht aus Spinalnerven der letzten vier Hals- und des ersten Brustsegments. Bei einer aufwendigen Operation mussten ihm Nerven transplantiert werden.
Verdacht auf Makrosomie: Arzt hätte Mutter aufklären müssen
Die Versicherung des Neugeborenen klagte auf Schadensersatz. Der Arzt habe die Mutter trotz des Verdachts der Makrosomie nicht auf die Risiken einer vaginalen Geburt hingewiesen und nicht über die Alternative eines Kaiserschnitts aufgeklärt. Es hätte zumindest eine sonografische Untersuchung zur Schätzung des Gewichts des Kindes durchgeführt werden müssen. Außerdem habe der Arzt in der Schlussphase der Geburt unter anderem eine Schulterdystokie übersehen. Auch dies sei ein grober Behandlungsfehler.
Infolge der Schulterdystokie sei es zu der Lähmung gekommen und der Junge habe operiert werden müssen. Krankengymnastische Behandlungen seien gefolgt.
Gericht sieht groben Behandlungsfehler des Arztes
Vor Gericht hatte die Klage überwiegend Erfolg. Die Richter zeigten sich überzeugt, dass dem Arzt ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist. Sie erläuterten: „Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt des entsprechenden Fachs schlechterdings nicht unterlaufen darf.“
Das Verhalten des Gynäkologen erfülle diese Vorrausetzungen, so das Gericht weiter. Dabei sei unerheblich, ob zu Beginn der Geburt eine Ultraschalluntersuchung hätte vorgenommen und die Mutter auf die Möglichkeit einer Schnittentbindung hätte hingewiesen werden müssen. Es sei nach den Ausführungen des Sachverständigen unverständlich und hätte schlichtweg nicht passieren dürfen, dass der Arzt die Schulterdystokie entweder nicht erkannt oder nicht ordnungsgemäß auf diese reagiert habe.
Beides stelle einen groben Diagnose- beziehungsweise Behandlungsfehler dar: Das Nichterkennen deswegen, weil der Makrosomie-Verdacht – eine häufige Ursache für eine Schulterdystokie –, im Raum gestanden habe. Ebenso sei die nicht ordnungsgemäße Reaktion ein grober Behandlungsfehler, weil es sich bei der Schulterdystokie um einen absoluten klinischen Notfall mit erheblichen Gefahren für Mutter und Kind gehandelt habe.
Oberlandesgericht Oldenburg am 15. Oktober 2014 (AZ: 5 U 77/14)
Quelle: www.dav-medizinrecht.de
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