Anwaltauskunft: Herr Schafhausen, welche Rechte stehen einem Arbeitnehmer zu, der seine Mutter oder seinen Vater pflegen möchte?
Martin Schafhausen: Es sind drei Dinge zu unterscheiden. Zunächst kann der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber verlangen, kurzfristig von der Arbeit befreit zu werden. Dieser Anspruch gibt dem Arbeitnehmer das Recht, für bis zu zehn Arbeitstage von der Arbeit fernzubleiben. Das Pflegezeitgesetz spricht hier von einer „kurzzeitigen Arbeitsverhinderung“. Daneben können Arbeitnehmer auch für einen längeren Zeitraum Pflegezeit in Anspruch nehmen. Diese Pflegezeit beträgt für jeden zu pflegenden nahen Angehörigen aber höchstens sechs Monate. Der Anspruch besteht jedoch nicht, wenn der Arbeitgeber 15 oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt.
Anwaltauskunft: …oder eine Vereinbarung abschließen?
Schafhausen: Ja. Drittens kann der Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber vereinbaren, dass er Familienpflegezeit in Anspruch nimmt. Die Arbeitszeit wird verringert, dementsprechend auch das Entgelt. Zusätzlich stockt der Arbeitgeber das Gehalt um die Hälfte der Kürzung auf. Der Arbeitnehmer muss dann in der sogenannten Nachpflegephase den von dem Arbeitgeber gezahlten Zuschuss dadurch ausgleichen, dass er so lange Vollzeit für ein reduziertes Gehalt arbeitet, bis der Gehaltsvorschuss ausgeglichen worden ist.
Anwaltauskunft: Wird der Arbeitnehmer auch dann weiterhin bezahlt, sollte er eine monatelange Pflegezeit in Anspruch nehmen wollen?
Schafhausen: In diesem Fall hätte der Arbeitnehmer nur einen Vergütungsanspruch, wenn dies zwischen ihm und seinem Arbeitgeber vereinbart ist oder wenn in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung vorgesehen ist, dass, unter Umständen nur für eine kurze Zeit, ein Vergütungsanspruch besteht. Nur für einige wenige Tage kann es – der Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit ähnlich – einen Vergütungsanspruch geben. Für einen längeren Zeitraum besteht dieser nicht.
Anwaltauskunft: Wie kann ich nachweisen, dass meine Angehörigen pflegebedürftig sind?
Schafhausen: Geht es um die kurzfristige Arbeitsverhinderung, muss der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über die (kurzfristige) Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen nur dann vorlegen, wenn der Arbeitgeber es verlangt. Eine Verpflichtung besteht aber, dem Arbeitgeber mitzuteilen, dass man wegen der Pflege nicht zur Arbeit kommen kann und wie lange diese Arbeitsverhinderung dauert. Diese Mitteilung muss unverzüglich erfolgen.
Anwaltauskunft: Und was ist zu beachten, wenn ein Arbeitnehmer eine längere Pflegezeit nehmen möchte?
Schafhausen: In diesem Fall muss der Arbeitnehmer eine Bescheinigung der Pflegekasse oder des Medizinischen Dienstes vorlegen. Daneben muss er rechtzeitig, mindestens zehn Tage vorher, dem Arbeitgeber schriftlich mitteilen, dass er Pflegezeit in Anspruch nehmen möchte. In dem Schreiben müssen Zeitraum und Umfang angegeben werden.
Anwaltauskunft: Für welchen Verwandtschaftsgrad gilt das Pflegezeitgesetz?
Schafhausen: Das Gesetz sieht die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Pflegezeit nur für „nahe Angehörige“ vor. Dazu gehören unter anderem die eigenen Eltern und die Schwiegereltern, aber auch die Großeltern. Zudem zählen leibliche Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder dazu, seien es nun eigene Kinder oder Kinder des Ehegatten oder Lebenspartners. Gleiches gilt im Übrigen auch für das Familienpflegezeitgesetz.
Anwaltauskunft: Ihrer Erfahrung nach: Beantwortet das geltende Gesetz alle relevanten Fragen oder gibt es Bedarf zur Nachbesserung?
Schafhausen: Aus meiner Sicht werden die relevanten Fragen nicht beantwortet. Es gibt einigen Nachbesserungsbedarf. Dies gilt etwa für den betroffenen Personenkreis, für den man Pflegezeit oder Familienpflegezeit in Anspruch nehmen kann. Aus meiner Praxis weiß ich, dass pflegebedürftige Menschen nicht nur von nahen Angehörigen gepflegt werden. Oft bildet sich ein Netzwerk, in das auch Nachbarn, Bekannte oder Gemeindemitglieder eingebunden sind. In Zukunft wird der Kreis der Menschen, die pflegebedürftig werden und zu Hause gepflegt werden sollen, weiter ansteigen. Der Gesetzgeber sollte überlegen, ob man den anspruchsberechtigten Personenkreis nicht erweitert. Zudem sind die Regelungen für die Praxis häufig viel zu unhandlich. Dies gilt insbesondere für die Familienpflegezeit. So hat das für dieses Gesetz zuständige Bundesamt für familien- und zivilgesellschaftliche Aufgaben festgestellt, dass nur in ganz wenigen Fällen überhaupt eine solche Vereinbarung über Familienpflegezeit in Anspruch genommen wurde.
- Datum
- Aktualisiert am
- 27.06.2014
- Autor
- ndm