Brille, Hörgerät, Kur? Gesetzlich Versicherte sind manchmal unsicher, welche Leistungen die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zahlt und welche sie selbst finanzieren müssen. Um mehr Sicherheit zu erlangen und im Falle des Falles Ansprüche gegen die Krankenkassen durchsetzen zu können, kann es sich lohnen, einen Blick auf die Pflichtleistungen der Krankenkassen zu werfen.
Rechtlich definiert sind die Pflichtleistungen der Krankenversicherung im Sozialgesetzbuch V (SGB V). Demnach stehen Pflichtleistungen Versicherten dann zu, wenn sie medizinisch notwendig sind. Pflichtleistungen müssen alle Krankenkassen finanzieren.
Kassen haben nach dem SGB V aber das Recht, in gewissen Grenzen und in bestimmten medizinischen Bereichen Leistungen anzubieten, die über die gesetzlichen Pflichtleistungen hinausgehen. „Diese Regel soll den Wettbewerb unter den Krankenkassen stärken und erklärt, warum manche Kassen in ihren Leistungen großzügiger sind als andere“, sagt der Hamburger Rechtsanwalt Professor Ronald Richter, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). „Allerdings sind die Spielräume der Krankenkassen, Angebote über die Pflichtleistungen hinaus zu machen, insgesamt sehr begrenzt.“
Diese über die Pflichtleistungen hinausgehenden Angebote der Krankenkassen sind aber teils nicht unumstritten, wie die Diskussion um die Techniker Krankenkasse im März 2017 gezeigt hat. Viele gesetzlich Versicherte hatten die TK kritisiert, weil sie die homöopathischen Behandlungen ihrer Versicherten zahlt, obwohl die Wirksamkeit von Homöopathie wissenschaftlich nicht belegt ist.
Homöopathie: Bald keine Kassenleistung mehr?
Geht es nach dem derzeitigen Gesundheitsminister Karl Lauterbach, sollen homöopathische Mittel in Kürze komplett als Kassenleistung wegfallen. "Leistungen, die keinen medizinisch belegbaren Nutzen haben, dürfen nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden", so der Hinweis aus dem Ministerium. Wann genau die Regelung in Kraft tritt, sei noch offen - ein Gesetzesentwurf solle in naher Zukunft folgen.
Im Folgenden listet die Anwaltauskunft die wichtigsten Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenkassen auf, berücksichtigt dabei aber nur vereinzelt die Unterschiede zwischen den Kassen.
Die Übersicht zeigt einige der Pflichtleistungen für erwachsene Versicherte, für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre gelten teilweise andere Regeln.
Krank im Urlaub: Versicherungsschutz auch im Ausland?
Die Leistungen der Krankenversicherung kann man als Versicherter nur in Deutschland in Anspruch nehmen, nicht aber im Ausland. Nur wer in einem Mitgliedsstaat der EU Urlaub macht und dort erkrankt, genießt einen gewissen Versicherungsschutz, denn man kann sich dort über seine Krankenkassenkarte behandeln lassen. Die Kosten dafür muss man vor Ort zahlen und sich dann von der Kasse erstatten lassen. „Allerdings steht Versicherten nur eine Not- oder Krankheitsbehandlung zu“, sagt Professor Ronald Richter. „Die Kassen übernehmen zum Beispiel nicht die Kosten für die Rückführung erkrankter Patienten nach Deutschland.“
Erkrankt in der Türkei: Was zahlt die Krankenkasse?
Besteht ein Sozialversicherungsabkommen zwischen dem Urlaubsland und Deutschland, übernimmt die gesetzliche Krankenkasse ebenfalls die Kosten. Doch Vorsicht: Nur für die notwendigen Behandlungen und auch nur die Kosten in einem staatlichen Krankenhaus. Darüber informiert die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im DAV.
Dies ergibt sich aus einer Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Oktober 2017 (AZ: L 8 KR 395/16). In dem Fall erkrankte ein 12-jähriges Mädchen im Türkei- Urlaub an einer Magen-Darm-Entzündung und dehydrierte. Der Hotelarzt veranlasste, dass das Mädchen mit einem Notarztwagen in die 2,7 Kilometer entfernte Privatklinik gebracht wurde. Dort bekam es zwei Tage im Wesentlichen Infusionen. Die Privatklinik stellte dafür umgerechnet knapp 2.300 Euro in Rechnung.
Erstattung nur für normale Behandlung – nicht für teure Privatklinik
Die Krankenkasse erstattete aber nur die Kosten für eine entsprechende Behandlung in einem staatlichen türkischen Krankenhaus von rund 370 Euro. Und zwar zu Recht: Da ein Sozialversicherungsabkommen mit der Türkei bestehe, müsse die Krankenkasse die notwendigen Kosten übernehmen, nicht aber die für eine teure Privatklinik. Der Anspruch sei auf die nach dem türkischen Krankenversicherungssystem zustehenden Leistungen beschränkt, so das Gericht.
Im Ausland zum Arzt: Wann zahlt die gesetzliche Krankenkasse?
Die gesetzliche Krankenkasse kommt für Behandlungen im Ausland grundsätzlich nur auf, wenn die Behandlung im Inland nicht leistbar ist, und für Notfälle. Der Leistungsanspruch ruht, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten und gesetzlich nichts Abweichendes bestimmt ist.
Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen beschäftigte sich am 21. September 2017 (AZ: L 16 KR 284/17) mit einem Fall, in dem ein Mann zur Behandlung in die Türkei gereist war. Es entschied zugunsten der Krankenkasse: Sie musste die Kosten nicht übernehmen, wie die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im DAV mitteilt.
Geklagt hatte ein 40-jähiger, türkischstämmiger Mann, der vor vielen Jahren von einer Zecke gebissen wurde. Kurz vor Weihnachten 2014 reiste er in die Türkei und ließ dort die schmerzhafte Borreliose-Symptomatik behandeln. Seine Krankenkasse weigerte sich, die Kosten von umgerechnet rund 860 Euro zu erstatten. Sie meinte, die Behandlung sei auch im Inland möglich gewesen und es habe kein Notfall vorgelegen.
Dagegen klagte der Mann. Er argumentierte, erst durch die Behandlung in der Türkei sei er halbwegs schmerzfrei geworden. Die entstandenen Kosten seien relativ gering, und er mache schließlich auch keine weiteren Auslagen geltend, wie etwa Fahrt- und Flugkosten. Der Mann scheiterte vor Gericht. Eine Borreliose könne in Deutschland gut behandelt werden, so das Gericht. Ferner liege bei einer geplanten Behandlung auch kein medizinischer Notfall vor.
Wer sich im Ausland behandeln lassen möchte, sollte versuchen, vorher eine geplante Auslandsbehandlung bei der Krankenkasse zu beantragen. Dies ist keine unnötige ‚Förmelei’, sondern notwendige Grundvoraussetzung der Leistungsgewährung. Denn ein vorheriger Antrag kann insbesondere auch zu einer Beratung zu weiterführenden Facharztbehandlungen im Inland führen.
Gesetzlich Versicherte und Arzt: Welche Atteste muss man selbst bezahlen?
„Beim Thema Atteste kommt es darauf an, um welche Art von ärztlichem Attest es sich handelt“, sagt der Sozialrechtsexperte Ronald Richter. „Kostenfrei erhalten Versicherte beispielsweise Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, andere Atteste oder Bescheinigungen des Arztes müssen die Versicherten selbst zahlen.“
Übernimmt die Krankenkasse Fahrtkosten?
Die Übernahme von Fahrtkosten ist zwischen Krankenkassen und Versicherten ein umstrittenes Thema. Zwar gehört die Übernahme von Fahrtkosten zu den Pflichtleistungen der Kassen, aber nur unter bestimmten Bedingungen, wie das SGB V festlegt.
Dabei gilt: „Jede Fahrt zu einer ambulanten Behandlung, etwa zu einem bestimmten Facharzt, muss der Versicherte zunächst bei seiner Krankenkasse beantragen und ihre Entscheidung abwarten“, sagt der Rechtsanwalt Ronald Richter. Dabei muss der Versicherte darlegen, warum die Behandlung durch diesen Arzt medizinisch notwendig und damit die Fahrt dorthin nötig ist.
Unumstritten ist demgegenüber, dass die Krankenversicherung stationäre Transporte zahlt und für die Kosten aufkommt, die entstehen, wenn sich ein Versicherter etwa in einer Notlage befindet und über die Nummer 112 einen Krankenwagen ruft.
Finanziert die Krankenkasse eine Haushaltshilfe?
Unter bestimmten Bedingungen zahlen die gesetzlichen Krankenkassen Haushaltshilfen wenn man krank ist und man nicht für sich oder seine Familie sorgen kann. In der Dauer unterscheiden sich die einzelnen Krankenkassen in ihren Leistungen aber stark voneinander, so dass es sich lohnt, sich bei seiner Kasse nach den Regeln zu erkundigen.
Medikamente: Wie viel muss man zuzahlen?
Wer sich erkältet hat und in der Apotheke nach Nasentropfen oder Halsschmerztabletten fragt, muss diese Arzneimittel selbst bezahlen. Denn für rezeptfreie Medikamenten zahlt die gesetzliche Krankenversicherung nicht.
Anders sieht es bei apothekenpflichtigen Arzneimitteln aus, die ein Arzt dem Patienten verschreibt. Die Kosten für verschreibungspflichtige Medikamente übernimmt die Krankenversicherung, die Versicherten müssen meist aber zuzahlen.
Der Eigenanteil des Patienten beträgt in der Regel zehn Prozent des Arzneimittelpreises, mindestens aber fünf und höchstens zehn Euro. Medikamente unter fünf Euro muss der Versicherte komplett selbst zahlen. Die Zuzahlungen sind gedeckelt und dürfen nicht mehr als zwei Prozent des Jahres-Bruttoeinkommens eines gesetzlich Versicherten betragen; bei chronisch Kranken sinkt die Belastungsgrenze auf ein Prozent.
Krankenversicherung: Haben Versicherte einen Anspruch auf eine Brille oder Kontaktlinsen?
Wer in früheren Zeiten auf eine Brille angewiesen war, dem wurde von der Krankenversicherung ein sogenanntes „Kassengestell“ (teil-)finanziert. Zwar waren diese Brillengestelle wegen ihres Mangels an Schönheit gefürchtet, doch zumindest zahlte die Krankenversicherung sie (mit). Anders heutzutage. Die Kosten für Brillengestelle, Brillengläser oder Kontaktlinsen müssen Versicherte in der Regel selbst zahlen, doch es gibt Ausnahmen.
Krankenkassen und Leistungen: Wann zahlt die Krankenkasse eine Brille?
Seit März 2017 zahlen die Krankenkassen bei Kurz- und Weitsichtigkeit Sehhilfen mit mehr als sechs Dioptrien, bei Hornhautverkrümmung reichen mehr als vier Dioptrien. Diese Regelung wurde mit dem Gesetz zur Stärkung der Heil-und Hilfsmittelversorgung (HHVG) beschlossen.
Urteil zu Krankenkassen: Blinde haben Anspruch auf Stock mit Laser
Das Sozialgericht Koblenz hat entschieden, dass Blinde Anspruch auf einen speziellen Blindenstock haben, der mithilfe eines Lasersensors besser vor Hindernissen warnt. (Aktenzeichen S 11 SO 62/15)
Geklagt hatte eine blinde Frau, weil ihre Krankenversicherung ihr nur einen herkömmlichen Blindenstock bewilligte. Die Frau monierte, mit dem konventionellen Taststock könne sie nur Hindernisse in Bodennähe ertasten. Ein mit Laser ausgestatteter Stock würde dagegen helfen, auch höhere Hindernisse rechtzeitig zu erkennen.
Das Gericht stimmte der Klägerin zu: Der Taststock erkenne höhere Hindernisse nicht, was schwere Verletzungen zur Folge haben könne. Blinde benötigten das Hilfsmittel täglich, um soziale Kontakte zu pflegen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Krankenversicherung: Wer hat Anspruch auf einen Blindenhund?
Mag die Beeinträchtigung eines Sinnesorgans noch durch andere Organe kompensiert werden können, ist dies bei einer Doppelbehinderung sehr schwer. Daher haben Blinde, die zudem schwerhörig sind, in der Regel Anspruch auf einen Blindenhund. Die Krankenkasse muss für die Kosten aufkommen. Ein Betroffener muss sich nicht auf einen Blindenstock mit Mobilitätstraining verweisen lassen. Dies ergibt sich auch einer Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (LSG) vom 29. August 2017 (AZ: L 16/4 KR 65/12), wie die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitteilt.
Hörgeräte und Prothesen: Was finanziert die Krankenkasse?
Das Thema Hörgeräte ist ähnlich wie die Fahrtkosten zu ambulanten Behandlungen zwischen Versicherten und Krankenkassen oft umstritten. Zwar können Versicherte beanspruchen, dass die gesetzliche Krankenversicherung für die Kosten eines Hörgerätes oder einer Prothese aufkommt.
Allerdings: „Die Kassen übernehmen die Kosten nur bis zu einem bestimmten Höchstbetrag“, sagt Rechtsanwalt Ronald Richter. „Von diesem kann man ein gebrauchsfähiges, aber nicht unbedingt schönes, leicht zu bedienendes oder mit neuester Technik ausgestattetes Hörgeräte erstehen. Faktoren wie schönes Aussehen oder einfache Handhabung spielen bei der Finanzierung der Hilfsmittel durch die Krankenkasse keine Rolle.“ Wer ein luxuriöseres Hörgerät als das von der Kasse finanzierte kaufen will, muss zuzahlen.
Krankenkasse muss Anlegen eines Stützkorsetts gesondert bezahlen
Vor allem Kranke und Pflegebedürftige bleiben immer wieder im Zuständigkeitsgewirr hängen. Sie wissen manches Mal nicht, ob die Krankenkasse oder die Pflegeversicherung eine Leistung bezahlen muss. Krankenkassen meinen auch oft, dass bestimmte Tätigkeiten bereits vergütet seien.
Dabei kann der Anspruch bestehen, dass bestimme Verrichtungen gesondert vergütet werden müssen. Das Anlegen eines Stützkorsetts als Leistung der häuslichen Krankenpflege muss die Krankenkasse jedenfalls übernehmen. Es handelt sich nicht um eine Grundpflegeleistung der Pflegekasse. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des DAV informiert über eine entsprechende Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. Oktober 2017 (AZ: L 16 KR 62/17).
Homöopathie, Akupunktur, Osteopathie: Zahlt die Krankenkasse alternative Behandlungsmethoden?
Umfragen zeigen, dass ein Drittel aller Patienten Naturheilmitteln mehr als den Medikamenten der Schulmedizin vertraut. Dennoch übernehmen die Krankenkassen die Kosten für alternative Behandlungsmethoden oder Naturheilverfahren in der Regel nicht (siehe dazu weiter oben). Es gibt nur eine Ausnahme: Leiden Patienten unter chronischen Knie- oder Rückenschmerzen, übernehmen die Kassen die Kosten für eine Behandlung mit Akupunktur.
Impfungen: Welche Impfungen finanziert die gesetzliche Krankenversicherung?
Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für die meisten Schutzimpfungen, auch für die meisten Auffrischungsimpfungen. Wer aus beruflichen Gründen ins Ausland reisen muss, kann sich eine Schutzimpfung bezahlen lassen, wenn es im Zielland ein Infektionsrisiko gibt. Aber: Impfungen für private Urlaube im Ausland übernehmen die Kassen nicht.
Kur: Welche Maßnahmen zahlt die Krankenkasse?
Die Kosten für eine Mutter-Kind-Kur oder eine Vater-Kind-Kur übernehmen die Krankenkassen. Das gilt auch für andere Formen von Kuren. Allerdings müssen Erholungsbedürftige, egal ob Eltern oder nicht, in der Regel einen Eigenanteil leisten. Lesen Sie hier mehr über die Vorgaben bei einer Mutter-Kind-Kur.
Künstliche Befruchtung: Welche Kosten übernimmt die Krankenversicherung?
Derzeit übernehmen die Krankenversicherungen anteilig die Kosten für drei Versuche zur homologen Insemination bei Ehepaaren, also der künstlichen Befruchtung mit den Ei- und Samenzellen der jeweiligen Partner. Das Ehepaar muss aber in einem bestimmten Alter sein: die Frau zwischen 25 und 40 Jahre, der Mann nicht älter als 50 Jahre. Für unverheiratete Paare gibt es unter Umständen staatliche Zuschüsse zur künstlichen Befruchtung, doch das hängt von dem Bundesland ab, in dem das Paar lebt.
Krebsbehandlung: Zahlt die Krankenkasse neuartige Chemotherapie?
In bestimmten Fällen übernimmt die Krankenversicherung auch neuartige Medikamente. Ist Eile geboten, weil das Leben des Patienten gefährdet ist, kann dieser seinen Anspruch im Wege der einstweiligen Anordnung durchsetzen. Das gelang einer Frau, die an Brustkrebs erkrankt war.
Wie das Sozialgericht Dresden entschied, hat die Patientin Anspruch auf die Behandlung mit einer neuartigen Chemotherapie (Entscheidung vom 29. März 2017, AZ: S 18 KR 268/17 ER). Dies gilt auch, wenn nicht feststeht, dass das Medikament für diese Behandlung zugelassen wird und sicher wirksam ist. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des DAV informiert über die Entscheidung.
Die 48 Jahre alte Frau erkrankte bereits 2008 an einer aggressiven Form von Brustkrebs. 2017 schlug ihr Arzt die Behandlung mit einem neuartigen Chemotherapie-Präparat im Rahmen einer Kombinationstherapie vor. Die AOK lehnte die Übernahme der Kosten ab. Die Frau beantragte den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Sozialgericht - erfolgreich. Allein schon wegen des Grundsatzes auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes sah es das Gericht als geboten an, der Frau die Behandlung zu ermöglichen.
Ein Eilverfahren war aufgrund des lebensbedrohlichen Zustandes der Klägerin geboten. Die wirtschaftlichen Interessen der Krankenkasse mussten unter diesen Umständen hinter dem Schutz des Lebens der Frau zurücktreten.
Medizinische Fußpflege: Übernimmt die Krankenkasse die Kosten?
Bei eingewachsenen Zehennägeln kann eine medizinische Behandlung notwendig sein. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen meist nur die Kosten einer ärztlichen Behandlung. Findet man aber keinen Arzt für die Behandlung findet und sucht eine medizinische Fußpflege auf, muss die Krankenkasse die Kosten auch erstatten.
Voraussetzung ist, dass die Behandlung medizinisch notwendig ist und kein Arzt die Leistung erbringen will. Dies geht aus einer Grundsatzentscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Potsdam vom 11. Oktober 2017 (AZ: L 9 KR 299/16) hervor, über das die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des DAV informiert.
In dem Fall war die Patientin gesetzlich krankenversichert und litt an einem chronisch eingewachsenen Zehennagel. Es ließ sich aber kein Arzt finden, der die notwendige Behandlung erbringen konnte oder wollte. Auch die Krankenkasse und die Kassenärztliche Vereinigung Berlin konnten einen Arzt nennen. Damit der Nagel endlich behandelt werden konnte, ging die Frau zu einer medizinischen Fußpflegerin (Podologin). Als die Krankenkasse die Erstattung der Kosten ablehnte, klagte die Frau. Sie hatte in zwei Instanzen Erfolg. Das Landessozialgericht in Potsdam entschied zu ihren Gunsten.
Bei der Behandlung eingewachsener Zehennägel einschließlich des Anlegens einer Finger- oder Zehennagelspange, wie es bei der Frau notwendig war, handele es sich um eine ärztliche Leistung. Dass die Behandlung für die Frau nicht als ärztliche Leistung zu erhalten gewesen sei, begründe einen Systemmangel. Dies könne ihr aber nicht vorgeworfen werden. Daher ist ausnahmsweise die Inanspruchnahme eines nichtärztlichen Leistungserbringers, hier des Podologen, erlaubt. Staatlich geprüfte Podologen seien in besonderem Maße fachlich qualifiziert.
Diabetes: Welche Leistungen zahlt die Krankenkasse?
In einer Eilentscheidung stellte das Sozialgerichts Dresden fest, dass eine vorläufige Begleitung notwendig sein kann, um eine mögliche Entgleisung des Blutzuckers abzusichern (Entscheidung vom 4. August 2017 (AZ: S 18 KR 654/17 ER). Darüber informiert die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des DAV. Gerade im Sportunterricht besteht eine solche Gefahr, so das Gericht. Die Kosten muss die Krankenkasse übernehmen, wenn diese den tatsächlichen Bedarf nicht ausreichend festgestellt hat.
Kind mit Diabetes: Kasse zahlt Schulbegleitung für Sportunterricht
Die Achtjährige erkrankte 2012 an Diabetes Typ 1 und trägt eine Insulinpumpe. Die Mutter beantragte, das Mädchen während des Schulunterrichts dauerhaft zu beobachten und ihren Blutzucker zu messen.
Das Sozialgericht bewilligte die Begleitung des Mädchens zunächst vom Sommer bis zum Herbst. Nach Auffassung des Gerichts hatte die Krankenkasse es versäumt, den Sachverhalt durch eine Begutachtung des Mädchens umfassend aufzuklären. Daher war ihm vorläufig eine Schulbegleitung zum Sportunterricht auf Kosten der Krankenkasse zuzusprechen. So hat die Krankenkasse genügend Zeit, den genauen Begleitungsbedarf des Mädchens aufzuklären.
Tattoo-Entfernung, Plastische Chirurgie und gesetzliche Krankenversicherung
Die Kostenübernahmen bei plastischer Chirurgie sind ein weiteres, häufig umstrittenes Thema zwischen der GKV und ihren Mitgliedern. „Die Kassen zahlen Maßnahmen der plastischen Chirurgie kaum bis gar nicht“, sagt Rechtsanwalt Richter. „Es ist zumindest sehr schwer für Versicherte, ihre Krankenkasse davon zu überzeugen, dass bestimmte Operationen medizinisch notwendig sind.“ Diese Notwendigkeit erkennen Kassen wenn überhaupt nur an, wenn eine bestimmte körperliche Eigenart so stark ist, dass sie den Versicherten psychisch so stark belastet, dass eine Krankheit droht oder bereits eingetreten ist.
Tattoo-Entfernung: Wann zahlt die Krankenkasse?
Die Entfernung eines Tattoos müssen Versicherte grundsätzlich selbst bezahlen. Nur in Ausnahmefällen kann man die Krankenkasse heranziehen. Etwa dann, wenn mit dem Tattoo traumatische Erlebnisse zusammenhängen. Das Sozialgericht in Düsseldorf hat so in einem besonderen Fall am 26. Januar 2017 (AZ: S 27 KR 717/16) entschieden. Dabei ging es um eine Zwangsprostituierte, die auf Kosten ihrer gesetzlichen Krankenkasse eine Tätowierung am Hals entfernen lassen wollte, mit dem ihre Zuhälter sie gekennzeichnet hatten.
In dem von der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des DAV mitgeteilten Fall klagte eine 30-jährige Düsseldorferin. Nachdem sie die Polizei die Frau aus der Zwangsprostitution befreit hatte, wollte sie die Tätowierung entfernen lassen. Sie beantragte bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse die Übernahme der Kosten hierfür. Die Kasse lehnte den Antrag ab.
Tätowierung belastet: Krankenkasse muss für Entfernung zahlen
Das Sozialgericht entschied allerdings, dass die Kasse die Kosten übernehmen muss. In diesem Fall handele es sich bei der Entfernung ausnahmsweise um eine Krankenbehandlung. Die Tätowierung wirke schließlich entstellend. Dadurch drohe, dass sich die Frau aus dem sozialen Leben zurückziehe. Auch leide die Frau an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ohne die Entfernung der Tätowierung sei die Heilungsprognose erheblich schlechter. Dieses Tattoo sei nicht mit einer Tätowierung vergleichbar, die aus freien Stücken gestochen wurde und später schlichtweg nicht mehr gefalle.
- Datum
- Aktualisiert am
- 07.02.2024
- Autor
- DAV,ime/red/dpa