Warum Hilfe leisten? Freiwillige Zivilcourage oder Pflicht?
Unfälle passieren. Ob im Verkehr, auf der Arbeit oder bei der Ausübung von Freizeitaktivitäten. Bei vielen Unfällen ist das unmittelbare Leisten von Erster Hilfe ein wichtiger Schritt, um mögliche schlimmere Folgen vor Eintreffen der Rettungsdienste zu vermeiden. Spätestens für den Führerschein benötigt man den Nachweis über einen absolvierten Erste-Hilfe-Kurs. Kommt es zu einem Unfall, entscheiden Menschen oft unterschiedlich, ob sie Hilfe leisten, oder lieber unbemerkt wegschauen. Laut einer Studie werden im Straßenverkehr täglich rund 1000 Menschen verletzt, 48% der Deutschen würden im Ernstfall jedoch keine Hilfe leisten.
Dabei ist gesetzlich festgeschrieben, dass Erste Hilfe in bestimmten Situationen Pflicht ist. Wer beispielsweise an einer Unfallstelle mit verletzten Personen vor Ort ist, muss helfen. Nämlich dann, wenn die Hilfe erforderlich, zumutbar und ohne erhebliche Gefahr für die eigene Person ist (§ 323c, StGB). Zusätzlich muss die Hilfestellung möglich sein, ohne andere wichtige Pflichten zu verletzen. Beispiel: Wer ein Flugzeug steuert, kann in dem Moment nur unter Verletzung dieser wichtigen Pflicht einem Fluggast in Not beistehen. Ein eiliger Termin ist jedoch keine Ausrede für das Nichthelfen: dann würde man sich oben genanntem Paragrafen durch „Unterlassene Hilfeleistung“ schuldig machen. Ungefähr 10% aller Todesfälle können durch die Leistung von Erster Hilfe verhindert werden.
Eigenschutz vor Fremdschutz
Mit einem Unfall konfrontiert zu werden, ist eine Stresssituation. Sieht der Unfall schlimm aus? Hilft bereits jemand? Sind Gefahren erkennbar? Ist genug eigene Kompetenz vorhanden, sodass man tatsächlich Hilfe beisteuern kann? Das sind sicher mögliche Fragen, die in Ausnahmesituationen intuitiv statt bedächtig beantwortet werden müssen.
Eigenschutz gilt vor Fremdschutz, wenn man sicher davon ausgehen kann, dass das Leisten von Nothilfe dazu führen würde, selbst zu verunglücken und seine Gesundheit zu gefährden. Cornelia Süß, Vorstand im Deutschen Anwaltverein (DAV) und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht:
„Wer erste Hilfe leistet, muss sich zwar zunächst einmal um seinen eigenen Schutz bemühen, sich umsichtig verhalten und so gut wie möglich versuchen, nicht selbst verletzt zu werden.“ Dies sei bei einem Unfall nicht uneingeschränkt möglich, so die Rechtsanwältin: „Die Anforderungen, die hierbei zu beachten sind, sind jedoch durch die Sorge um den Hilfebedürftigen und die Umstände, unter denen Hilfe geleistet wird, begrenzt (…).“
Kurzum: Wer Erste Hilfe leistet, kann sich nicht zu 100% um sich selbst kümmern.
Versicherung für Nothelfende
Das Gesetz erkennt an, dass im Falle von Erster Hilfe immer auch ein Restrisiko besteht, sich selbst in Gefahr zu bringen und im schlimmsten Fall Körper- und Sachschäden davonzutragen. Daher sind Personen, die
„bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten, kraft Gesetzes versichert“,
(§ 2, Abs. 13a, SGB VII).
Wer also Erste Hilfe leistet und dabei zu Schaden kommt, hat Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Dazu gehören:
- Heilbehandlungen und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
- Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
- Leistungen zur Sozialen Teilhabe
- Ergänzende Leistungen (wie z.B. Kinderbetreuungskosten)
- Leistungen bei Pflegebedürftigkeit
- Geldleistungen
Gut zu wissen: Nothelfende haben darüber hinaus einen Anspruch auf Entschädigung, wenn ein Sachschaden vorliegt – beispielsweise, wenn die Brille kaputt geht. Für Sachschäden muss ein Antrag gestellt werden, Leistungen für körperliche Schäden werden vom Amt festgestellt.
Zuständig für die Ansprüche ist die Unfallkasse des jeweiligen Bundeslandes, in dem der Unfall passiert.
Da die gesetzliche Unfallversicherung für die meisten Kosten im Zuge einer Verletzung aufkommt, besteht laut Bundeministerium für Arbeit und Soziales kein Anspruch auf Schmerzensgeld. Dieser müsse gegen die verursachende Person oder deren Versicherung geltend gemacht werden.
Kein Mitverschulden bei falscher Hilfeleistung
Ein Grund, warum viele Menschen vor der Nothilfe zögern, ist die Angst, falsch zu handeln. Fehleinschätzungen in angespannten Situationen sind menschlich, vor allem, wenn der letzte Erste-Hilfe-Kurs und das darin vermittelte Wissen weit zurückliegen. Dabei sind Zweifel, die einer ersten Hilfe am Unfallort entgegenstehen, rechtlich unbegründet. Dazu Rechtsanwältin Süß: „Auch liegt kein Mitverschulden vor, wenn der Unfallhelfer bei seiner Hilfeleistung falsch reagiert oder die Sachlage objektiv falsch eingeschätzt hat.“
Beispiel: Der Bundesgerichtshof urteilte 2010 über einen Verkehrsunfall, bei dem der Unfallhelfer zu Schaden kam (BGH v. 5.10.2010 – VI ZR 286/09). Dabei wurde das Urteil des Oberlandesgericht Dresden in voriger Instanz korrigiert, welches ein Mitverschulden des Unfallhelfers an seiner Verletzung feststellte. Der Unfallhelfer holte ein Warndreieck aus dem Auto der in Not geratenen Person – und wurde dabei verletzt. Laut BGH traf den Unfallhelfer jedoch keine Schuld. Er handelte nicht grob fahrlässig, sondern den Umständen entsprechend. Die Hilfebedürftigkeit stünde bei Notsituationen an erster Stelle.
Nicht immer könne erkannt werden, was aus nachträglicher Sicht die beste Handlung gewesen sei: „Die an einen Unfallhelfer zu stellenden Anforderungen würden ansonsten bei weitem überspannt, zumal in der Unfallsituation schnelles Handeln gefragt sei, und eine Einzelabwägung […] nicht verlangt werden könne“, so der Bundesgerichtshof.
Verletzung während Nothilfe kein Arbeitsunfall
Unternehmen zahlen Beiträge in die gesetzliche Unfallversicherung ein, damit sie im Falle eines Unfalls nicht für die Kosten der Genesung ihrer Angestellten aufkommen müssen. Dieses so genannte „Haftungsprivileg“ gilt dann, wenn der Unfall nicht vorsätzlich herbeigeführt wurde (§ 104, 105, SGB VII). Wer Erste Hilfe leistet, stünde dabei jedoch nicht in einem Arbeitsbezug, so Rechtsanwältin Cornelia Süß: „Die Hilfeleistung in der Not allein schafft kein arbeitnehmerähnliches Verhältnis […].“ Vielmehr ermögliche das Gesetz „einen eigenständigen Versicherungsschutz für den Dienst an der Allgemeinheit“.
Damit Nothelfende nicht unfair benachteiligt würden, können sie somit Schmerzensgeldansprüche gegenüber der Versicherung der schädigenden Person geltend machen. Eine Haftung ist dann möglich, bei einem Arbeitsunfall wäre dies nicht gegeben.
Fazit – Erste Hilfe ist versichert und kann Leben retten
Die Angst, im Zweifel etwas falsch zu machen, wenn Menschen in Not geraten, kann zumindest von rechtlicher Seite ausgeschlossen werden. Erste Hilfe kann Leben retten. Sollte man selbst zu Schaden kommen, tritt der gesetzliche Versicherungsschutz in Kraft, der für Verletzungen und Sachschäden aufkommt. Schmerzensgeld kann von der verursachenden Partei gefordert werden. Zum Schluss sollte nicht vergessen werden: Wer einmal selbst in Not gerät, ist für jede Hilfe dankbar.
Rechtlicher Beistand ist sinnvoll, wenn Sie in Unfallfragen Ansprüche geltend machen wollen. Anwältinnen und Anwälte für Verkehrs- und Sozialrecht finden Sie in Ihrer Nähe unter anwaltauskunft.de.
- Datum
- Aktualisiert am
- 30.01.2023
- Autor
- red/dav