Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat heute ein weiteres Grundsatzurteil in Sachen Reproduktionsmedizin und Krankenversicherungsrecht gefällt. Zu entscheiden hatte das BSG die Frage, ob gesetzliche Krankenkassen die Kosten für eine Präimplantationsdiagnostik (PID) nach einer künstlichen Befruchtung übernehmen müssen. Das BSG hat geurteilt, dass Krankenkassen nicht dazu verpflichtet sind, Eltern solche Gentests zu bezahlen oder zu bezuschussen. Damit bleibt die bisherige Rechtslage in Kraft, Eltern müssen also auch künftig selbst für eine PID aufkommen (AZ: B 1 KR 19/13 R).
Erbkranker Mann klagt sich durch alle Instanzen
Den Richtern lag die Klage eines Mannes vor, der Träger einer vererbbaren Stoffwechselerkrankung ist. Diese hat er bereits an eines seiner Kinder weitergegeben. Da er und seine Frau sich weitere, aber gesunde Kinder wünschten, unternahmen sie mehrere Kinderwunschbehandlungen. Die dabei entstandenen Embryonen wollte das Paar über eine PID auf die Erbkrankheit des Mannes hin untersuchen lassen.
Die Kosten von über 21.000 Euro für die teils in Deutschland, teils in einer Klinik in Brüssel durchgeführten Untersuchungen, künstlichen Befruchtungen und die PID wollte der Mann von seiner Krankenkasse erstattet bekommen. Diese lehnte ab, sowohl das Sozialgericht Karlsruhe (AZ: S 3 KR 360/12) als auch das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg gaben ihr Recht (AZ: L 4 KR 4624/12).
PID ist keine Krankenbehandlung
Der Argumentation des LSG Baden-Württemberg sind die höchsten Sozialrichter Deutschlands heute teils gefolgt und haben entschieden: Die Krankenkasse muss dem Kläger weder die Kosten für die PID noch für die Kinderwunschbehandlungen bezahlen.
Sein Urteil hat das BSG mit verschiedenen Regeln aus dem Sozialgesetzbuch (SGB) V begründet. So hat das Gericht etwa klargestellt, dass die PID keine Krankenbehandlung im Sinne des Gesetzes ist. Mit einer PID könne man die Erbkrankheit des Klägers nicht behandeln, die Krankenversicherung des Mannes müsse sie daher auch nicht finanzieren.
Was ist PID?
Präimplantationsdiagnostik (PID) ist eine Methode, die Ärzte auf Embryonen anwenden, die über künstliche Befruchtung entstanden sind. Diese Embryonen untersuchen die Mediziner im Labor auf genetische Defekte und Krankheiten, suchen einen gesunden Embryo aus und pflanzen ihn in den Körper der Mutter. Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet solche Gentests eigentlich. Doch der Gesetzgeber hat dieses Verbot mit dem Präimplantationsgesetz gelockert, seit dem 8. Dezember 2011 ist PID begrenzt erlaubt. Etwa, wenn Eltern Träger von Erbkrankheiten sind oder wegen genetischer Defekte befürchten müssen, dass die Schwangerschaft mit einer Fehl- oder Totgeburt endet.
Kasse zahlt für Kinderwunschbehandlung nur bei Unfruchtbarkeit
Auch für die Kinderwunschbehandlung des Mannes muss die Krankenkasse nicht aufkommen. Denn der Mann leide nicht an einer Fertilitätsstörung, so das BSG. Wie ein Blick in das SGB V zeigt, müssen gesetzliche Krankenkassen nur Männern und Frauen künstliche Befruchtungen finanzieren, die zeugungsunfähig oder unfruchtbar sind.
Übernehmen Krankenkassen die Kosten für Behandlungen im Ausland?
Außerdem hat das BSG heute verneint, dass dem Kläger Gelder von der gesetzlichen Krankenversicherung für Kinderwunschbehandlungen zustehen, die er und seine Frau in einer Klinik in Brüssel haben durchführen lassen. Zwar können sich deutsche Versicherte im Ausland behandeln lassen, doch müssen diese Behandlungen auch zum Leistungskatalog ihrer hiesigen Versicherung gehören. Darauf hat das BSG heute hingewiesen und damit ein Thema klargestellt, dass über den heute verhandelten Fall hinaus für alle gesetzlich Versicherten gilt.
Dürfen Versicherte Behandlungen beginnen, bevor die Kasse sie bewilligt hat?
Wichtig für alle Versicherten ist auch: Das BSG hat in seinem heutigen Urteil auch ausgeschlossen, dass dem Kläger bestimmte Kosten finanziert werden, weil dieser die Behandlungen begonnen hatte, ohne sie sich zuvor von seiner Krankenkasse bewilligen zu lassen. „Versicherte dürfen medizinische Behandlungen aber erst dann anfangen, wenn die Kasse sie ihnen erlaubt“, sagt Rechtsanwalt Martin Schafhausen von der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). „In Notsituation gibt es Ausnahmen von diesem Grundsatz, aber in der Regel müssen Versicherte die Entscheidung der Krankenkasse abwarten.“ Sie riskierten sonst, auf den Kosten sitzenzubleiben.
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