Lebensmittel, Elektrogeräte, Autos – immer wieder werden Produkte vom Hersteller wegen Mängeln zurückgerufen, die Bandbreite der betroffenen Güter reicht quer durch das verfügbare Konsumangebot. Nun ist es bei Autos relativ leicht, den Käufer zu ermitteln und ihn über den Mangel am Produkt zu informieren. Bei kleinen Elektrogeräten oder gar Lebensmitteln ist es fast unmöglich, alle Nutzer zu erreichen. Wir erklären, was Unternehmen tun können und Verbraucher tun sollten.
Lebensgefahr: Produkt muss zurückgerufen werden
Die gesetzliche Grundlage für Rückrufaktionen bildet das Produktsicherheitsgesetz. „Produkte, die verkauft werden, müssen so gestaltet sein, dass sie die Gesundheit und Sicherheit der Nutzer nicht gefährden“, erklärt Rechtsanwältin Bianca Böttcher, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Handels- und Gesellschaftsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Werde einem Unternehmen nachträglich bekannt, dass ein Produkt nicht in Ordnung ist, könne es jederzeit freiwillig einen Rückruf starten.
Bestehe allerdings, so informiert Rechtsanwältin Böttcher weiter, eine Gefahr für Leib und Leben, sei das Unternehmen aufgrund der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht zu einem Rückruf verpflichtet – vorausgesetzt, die Gefahrenlage lasse sich nicht anders, zum Beispiel durch eine Warnung, beseitigen. Auf Grundlage des Produktsicherheitsgesetzes könnten auch die Behörden einen Rückruf anordnen.
Wenn beispielsweise Glassplitter in Nahrungsmittel geraten, sind die Konsumenten in Lebensgefahr. Der Produzent muss dann die Chargen, die betroffen sein können – zum Beispiel weil während der Produktion dieser Stücke ein Glas zu Bruch ging – umgehend zurückrufen.
Kleinere Mängel: Rückruf aus Imagegründen
Bei kleineren Sicherheitsmängeln können die Unternehmen auch nur warnen. Letztlich gilt es zu entscheiden, wie die Gefährdungslage einzuschätzen ist. Doch auch wenn die Nutzer nicht direkt gefährdet sind, entscheiden sich die Hersteller bei einem fehlerhaften Produkt oft für eine Rückrufaktion.
Denn bei Sicherheitsmängeln steht nicht nur die Gesundheit der Verbraucher, sondern auch das Image des Herstellers auf dem Spiel. Rückrufaktionen können somit auch negativer Presse vorbeugen, für den Fall, dass es doch zu Schäden kommen sollte. Zudem unterstreichen sie das Verantwortungsbewusstsein des Unternehmens.
Das hätte bei VW sicherlich auch eine Rolle gespielt – die Entscheidung zur Rückrufaktion einiger Modelle mit Dieselmotor, die die zulässigen Abgaswerte überschritten, fiel allerdings nicht alleine bei dem Automobilbauer. Das Kraftfahrtbundesamt hatte das Unternehmen aufgrund der Dimension des Falles dazu verpflichtet, die Fahrzeuge nachzurüsten – obwohl der Mangel die Fahrsicherheit nicht beeinträchtigte.
Unklar ist derzeit noch, ob VW auch die Folgekosten trägt, die sich aus der Rückrufaktion ergeben. Dazu zählen zum Beispiel Kosten für einen Ersatzwagen für die Zeit der Nachbesserung.
Möglichst viele Verbraucher erreichen
Aus welchem Grund auch immer Unternehmen eine Rückrufaktion starten – sie müssen alles ihnen Mögliche tun, um die Käufer zu erreichen. Welche Möglichkeiten gibt es? „Das kommt aufs Produkt an. Bei Lebensmitteln lässt sich ja recht einfach nachverfolgen, welche Chargen betroffen sind und wohin diese geliefert wurden“, sagt Rechtsanwältin Böttcher. In der betreffenden Region oder sogar dem Laden müsse dann informiert werden. Möglich sind Warnungen in den regionalen Medien oder Aushänge in den Geschäften.
Schaden: Hersteller haftet trotz Rückruf
Auf diese Weise werden kaum alle Verbraucher erreicht. Die Webseite produktrueckrufe.de geht davon aus, dass ein Rückruf nur acht bis 13 Prozent der betroffenen Kunden erreicht. Das leuchtet ein: Nicht alle Menschen lesen Zeitung, hören Radio oder kaufen ihre Lebensmittel immer im gleichen Laden.
Was passiert, wenn sich doch jemand an einer Glasscherbe verletzt oder am Funken sprühenden Haartrockner verbrennt? „Das Unternehmen haftet im Rahmen der Produkthaftung grundsätzlich trotzdem für entstandene Schäden“, erklärt die Handelsrechtsexpertin aus Leipzig. Es sei unerheblich, ob das Unternehmen eine Rückrufaktion unternommen hätte oder nicht, wenn der Verbraucher von dem Rückruf nicht erfahre.
Hat der Verbraucher aber von der Rückrufaktion erfahren und beachtet er die Hinweise des Herstellers dennoch nicht, kann dies im Schadensfall zu seinem Mitverschulden oder sogar zum Anspruchsausschluss führen. Das bedeutet, er kann dann gegenüber dem Hersteller keinen Schadensersatz geltend machen.
Wichtig: Verbraucher sollten Augen und Ohren offenhalten, damit sie von Rückrufen oder Sicherheitswarnungen erfahren. Sie haben dann – wie die Besitzer der betroffenen VW-Modelle – einen Anspruch darauf, dass das fehlerhafte Produkt nachgebessert oder gar ersetzt wird.
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- vhe