Deutsche Anwaltauskunft: Herr Bühre, getrennte Eltern streiten sich oft über alle möglichen Themen, die ihr Kind angehen: Soll das Kind geimpft werden? Welcher Religion soll das Kind angehören? Und dann natürlich über ganz große Fragen wie das Umgangsrecht. Oft müssen Familiengerichte statt der zerstrittenen Eltern entscheiden. Welche Rolle spielen Kinder in den Verfahren vor Familiengerichten?
Burkhard Bühre: In Verfahren, in denen es etwa um das Umgangsrecht oder um das Sorgerecht für ein Kind geht, müssen die Familienrichter herausfinden, was dem Kindeswohl am besten dient. Dazu müssen die Richter den Willen des Kindes feststellen und dazu sind sie seit der Reform des Verfahrensrechts in Familiensachen im Jahr 2009 auch noch stärker angehalten als zuvor. Kinder sind in Verfahren vor den Familiengerichten auch Beteiligte. Deshalb stellen die Familiengerichte ihre Entscheidungen Kindern ab 14 Jahren zum Beispiel postalisch zu. Ab diesem Alter haben Kinder auch das Recht, Beschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen einzulegen.
Anwaltauskunft: Ab welchem Alter müssen Kinder von Familienrichtern angehört werden?
Bühre: Nach dem neuen Verfahrensgesetz müssen Familienrichter Kinder ab 14 Jahren zwingend anhören. Das gilt nur dann nicht, wenn es zum Beispiel um das Vermögen des Kindes geht. Angehört werden dürfen Kinder auch dann nicht, wenn schwerwiegende Gründe dagegen sprechen, dem Kind durch eine Anhörung etwa psychische Schäden drohen. Das gilt auch für Kinder, die jünger als 14 Jahre alt sind.
Streit um Sorgerecht und Umgangsrecht: Wenn das Familiengericht entscheidet – werden auch kleine Kinder angehört?
Anwaltauskunft: Anfang 2015 berichteten Medien über die Anhörung eines zweijährigen Jungen in einem Sorgerechtsverfahren. Müssen also auch jüngere Kinder vor dem Familiengericht „aussagen“?
Bühre: Dem Gesetz nach sollen Familienrichter auch Kinder unter 14 Jahren anhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung wichtig sind. Das bedeutet, dass auch der Wille von Kindern unter 14 Jahren zählt, und zwar umso mehr, je älter und reifer die Kinder sind. Auch die Anhörung sehr junger Kinder kann angezeigt sein, wenn der Richter darüber den Willen des Kindes erkunden kann. Insofern ist die Anhörung eines zweijährigen Kindes nicht rechtswidrig, allerdings ungewöhnlich. Es gibt zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 2007, denen zu Folge Richter in Einzelfällen Kinder unter drei Jahren sogar anhören müssen, um sich einen Eindruck zu verschaffen.
Anwaltauskunft: Wie läuft eine Befragung von Kindern vor einem Familiengericht ab?
Bühre: Bei Sorgerechtsverfahren wird das Kind in der Regel kurz vor der Anhörung der Eltern befragt. Die Eltern sind aber nicht dabei, meistens ist ein Verfahrensbeistand anwesend, wenn das Kind nichts dagegen hat. Der Familienrichter befragt das Kind, allerdings nicht im Gerichtssaal, sondern in einem separaten, kindgerechten Raum. Der Richter will mit seinen Fragen zum Beispiel den Entwicklungsstand des Kindes herausfinden oder auch, ob das Kind von seiner Mutter oder seinem Vater beeinflusst ist. Natürlich geht es vor allem darum, zu erfahren, was dem Wohl des Kindes dient.
Darf ein Kind entscheiden, ob es bei der Mutter oder beim Vater wohnen will?
Anwaltauskunft: Darf ein Kind entscheiden, bei welchem Elternteil es zum Beispiel Umgangsrechts glaubhaft macht, dass es immer Bauchschmerzen hat, wenn es den anderen Elternteil besuchen soll, wird ein Familienrichter dies bei seiner Entscheidung nicht unberücksichtigt lassen.