Was früher Schicksal war, macht die moderne Medizin gerade im Zusammenhang mit Elternschaft steuerbar - von der Empfängnis bis zur Geburt. Läuft etwas nicht so wie geplant, werden vielfach Ärzte und Hebammen verklagt. So geschehen in einem Fall in München: Die Eltern eines behinderten Mädchens hatten von Frauenärzten Schadenersatz und Schmerzensgeld verlangt, weil sie das Down-Syndrom und einen Herzfehler in der Schwangerschaft nicht erkannt hatten. Der Richter schwankt zwischen Verständnis und Recht.
Schwangerschaftsabbruch im Falle von erkranktem Kind?
Im zugrundeliegenden Fall war eine Frau, mit 28 bereits Mutter dreier Kinder, an Multipler Sklerose (MS) erkrankt. Als sie wieder schwanger war, machte sie sich wegen der Medikamente, die sie nehmen musste, Sorgen über mögliche Folgen für das Ungeborene. Die Ärzte berieten und untersuchten sie. Die Trisomie 21 blieb aber unentdeckt. Die Eltern argumentieren nun, sie hätten die Schwangerschaft unterbrechen lassen, wenn sie von der Behinderung gewusst hätten.
OLG weist Klage auf Unterhalt und Schmerzensgeld ab
Die Eltern verlangten in zweiter Instanz von den Medizinern den Ersatz für den Mehraufwand durch den Unterhalt ihrer behinderten Tochter sowie mindestens 10 000 Euro Schmerzensgeld. Das Oberlandesgericht München hat die Klage abgewiesen. Dem beklagten Mediziner sei kein Vorwurf zu machen, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Steiner während der Verhandlung.
„Es tut mir leid für Sie“, sagte Steiner, an die Eltern gewandt. Er verstehe gut, dass sie von der Behinderung hätten wissen wollen. Es gehe um ein schweres Schicksal. Aber: „Sie werden bei uns nicht gewinnen, so wenig wie vor dem Landgericht.“
Keine signifikanten Hinweise auf Erkrankung
Ein Sachverständiger und Pränatalmediziner hatte vor Gericht dargelegt, das im Ultraschall vor der Geburt sichtbare, womöglich geringfügig verkürzte Nasenbein sei kein signifikanter Hinweis auf eine Trisomie 21 gewesen. Deshalb sei es gerechtfertigt gewesen, dass der untersuchende Arzt dieses Detail gar nicht mit der werdenden Mutter besprochen habe – um diese nicht unnötig in Sorge zu stürzen. Weitere Parameter wie die Länge des Oberschenkelknochens hätten keinerlei Auffälligkeiten ergeben.
Auch der Herzfehler des Mädchens hätte zwar eventuell festgestellt werden können, aber nicht festgestellt werden müssen, sagte Bald. Nur in 40 bis 50 Prozent der Fälle würden Herzfehler schon während der Schwangerschaft erkannt.
Nach der Betreuungsrichtlinie für schwangere Frauen muss nur eine begrenzte Zahl von Fehlbildungen erkannt werden. Die Trisomie 21 gehört nicht dazu. Ebenso wenig der - seltene - Herzfehler des Mädchens, wie der Sachverständige Rainer Bald vor Gericht sagte.
Keine Kraft, um behindertes Kind zu betreuen?
Die Eltern argumentierten, sie hätten die Schwangerschaft abbrechen lassen, wenn sie von der Behinderung gewusst hätten. Die damals 28 Jahre alte Mutter von drei Kindern war 2009 an Multipler Sklerose (MS) erkrankt. Als sie 2010 wieder schwanger war, wollte sie mit den Ärzten mögliche Risiken für das Ungeborene durch die Medikamente abklären, die sie wegen ihrer MS-Erkrankung nehmen musste. Ein behindertes Kind schien die Grenzen der Belastbarkeit zu überschreiten, sagen sie heute - auch wenn ihre kleine Tochter heute geliebtes Nesthäkchen der Familie ist.
Verkettung unglücklicher Umstände
Das Landgericht München hatte die Klage der Frau in erster Instanz im vergangenen Sommer ebenfalls abgewiesen. Die Behinderungen des Mädchens seien durch eine Verkettung unglücklicher Umstände nicht erkannt worden. Gegen das Urteil hat das Paar Berufung eingelegt. Das OLG ließ eine Revision nicht zu. Ob die Eltern Nichtzulassungsbeschwerde einlegen, ist nach Angaben ihrer Anwältin noch offen.
In Deutschland leben schätzungsweise 30.000 bis 50.000 Menschen mit Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt. Sie haben ein Chromosom mehr als andere Menschen. Das Chromosom 21 ist dreifach anstatt zweifach vorhanden. Das überzählige Chromosom stört das genetische Gleichgewicht. Die Folge können Herzfehler, Seh- und Hörbehinderungen, verminderte Intelligenz und verlangsamte mentale Entwicklung sein.
- Datum
- Aktualisiert am
- 08.02.2016
- Autor
- dpa/red