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- Seite 1 – Stiefkinder können keinen Pflichtteil beanspruchen
- Seite 2 – Wie kann man ein Erbe unter leiblichen Kindern und Stiefkindern verteilen?
- Seite 3 – Erbvertrag für die Stiefkinder aufsetzen
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Es scheint, als habe die „klassische“ Familie mit Mutter, Vater, Kind ausgedient. Zumindest gibt es jenseits dieses Modells heutzutage viele andere familiäre Konstellationen, teils werden diese von der Reproduktionsmedizin hervorgebracht.
Zwar ist die Leihmutterschaft in Deutschland verboten, dennoch beauftragen Bundesbürger nicht selten ausländische Leihmütter damit, ein Kind für sie auszutragen. Dabei kann die Leihmutter zum Beispiel die befruchtete Eizelle der beauftragenden Frau austragen, was rechtlich die Frage aufwirft, wer eigentlich die Mutter des Kindes ist. Die Antwort auf diese Frage hat nicht nur Folgen für das Abstammungsrecht, sondern auch für das Erbrecht, wie Experten für Erbrecht immer wieder betonen (siehe Info-Box). Denn erbberechtigt ist ein Kind allein gegenüber seiner Mutter, nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist das die Frau, die das Kind zur Welt geboren hat.
Mit dem Thema moderne familiäre Konstellationen und erbrechtliche Folgen hat sich auch der 12. Deutsche Erbrechtstag befasst. Diese von der Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) organisierte Veranstaltung fand vom 30. März bis zum 1. April 2017 in Berlin statt. Im Vorfeld des Deutschen Erbrechtstages hatte Prof. Anatol Dutta von der Universität Regensburg deutlich gemacht, dass Elternschaft sich heutzutage kaum noch auf das klassische Bild von Mutter, Vater, Kind reduzieren lässt. Stattdessen gibt es Prof. Dutta zufolge in aktuellen familiären Konstellationen rechtliche, soziale, intentionale und biologische Eltern. Das sei auch eine Folge reproduktionsmedizinischer Möglichkeiten, Kinder entstehen zu lassen. Damit diese Kinder und ihre Familien erbrechtlich nicht benachteiligt werden, muss sich das Erbrecht modernisieren, betont Prof. Dutta in unserem Interview.
Doch jenseits der Reproduktionsmedizin fordern auch andere familiäre Konstellationen das aktuelle Erbrecht heraus. Das beginnt bereits bei Patchwork-Familien und der Frage, wie Kinder in diesen Familien erben können.
Nach der aktuellen Rechtslage gelten folgende Regeln: Bringt in einer Patchwork-Familie einer der Partner leibliche Kinder mit in die Ehe, werden diese zu Stiefkindern. Im Erbfall kann es nach dem Tod des Stiefelternteils passieren, dass die Stiefkinder nichts von dem Erbe erhalten. Die leiblichen Kinder können demgegenüber mindestens den Pflichtteil des Nachlasses beanspruchen.
Es scheint, als habe die „klassische“ Familie mit Mutter, Vater, Kind ausgedient. Zumindest gibt es jenseits dieses Modells heutzutage viele andere Formen des familiären Zusammenlebens, darunter Paare, die komplett auf eine Ehe verzichten und „einfach so“ mit ihren Kindern zusammenleben. Oder Geschiedene, die wieder heiraten und mit ihrem neuen Partner eine Patchwork-Familie gründen.
Im Alltag vieler Patchwork-Familien interessiert die leibliche Verwandtschaft kaum. Wichtig wird sie aber in bestimmten Situationen, bei einem Erbfall etwa. Stirbt nämlich ein Stiefelternteil, kann es passieren, dass die Stiefkinder nichts vom Erbe erhalten. Die leiblichen Kinder können demgegenüber mindestens den Pflichtteil des Nachlasses beanspruchen.
Diese Rechtslage erklärt sich daraus, dass Stiefkinder und Stiefeltern juristisch betrachtet nicht miteinander verwandt sind, sondern verschwägert. Sie sind allein gesetzliche Erben ihres leiblichen Elternteils, nicht des Stiefelternteils. Stirbt dieses, fallen Stiefkinder nicht unter das Erbrecht und können noch nicht einmal einen Pflichtteil erhalten.
Wer seinem Stiefkind entgegen dieser Rechtslage einen Teil seines Vermögens vererben will, hat dazu verschiedene Möglichkeiten. Eine davon ist, dass Stiefkind zu adoptieren, denn durch eine Adoption wird das Stiefkind zum gesetzlichen Erben des Stiefelternteils. Aber Stiefkind-Adoptionen sind nicht immer möglich. Es bieten sich daher eher erbrechtliche Wege an, um ein Stiefkind am Nachlass zu beteiligen.
Man kann ein Stiefkind zum Beispiel über verschiedene Formen der „Verfügungen von Todes wegen“ bedenken, also über Testamente oder Erbverträge, mit denen man die gesetzliche Erbfolge teils umgehen kann.
„Wie diese Verfügungen konkret aussehen, hängt von der jeweiligen Familien-Konstellation ab. Testamente und Erbverträge können in Patchwork-Familien sehr individuell sein“, sagt der Berliner Rechtsanwalt Dr. Dietmar Kurze von der Arbeitsgemeinschaft Erbrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). „Wichtig ist nur, dass man diese Verfügungen rechtzeitig und mit Sorgfalt aufsetzt.“
Bevor man sich für eine bestimmte Form der Verfügung entscheidet, sollte man prüfen, ob man in der Vergangenheit nicht bereits ein Testament oder einen Erbvertrag aufgesetzt hat. Denn ein solches, älteres Dokument könnten eine neue Verfügung unwirksam machen.
Existiert bereits ein älteres Testament oder ein älterer Erbvertrag, empfiehlt es sich, dieses Dokument so ändern, dass es der neuen Verfügung inhaltlich nicht wiederspricht. Im nächsten Schritt sollte man überlegen, wo der finanzielle Schwerpunkt des Testaments oder des Erbvertrages liegen soll, es geht also um die Frage: Wer soll wie viel und was erben?
Hier sind verschiedene Szenarien denkbar, je nachdem, wie man den überlebenden Partner absichern will und ob man seinen leiblichen Kindern mehr vom Erbe hinterlassen will als den Stiefkindern oder ob alle Kinder gleichermaßen erben sollen, was in vielen Patchwork-Familien der Fall sein wird.
„In einer Patchwork-Familie können die Ehepartner den Nachlass in Einzeltestamenten, gemeinsamen Testamenten oder in einem Erbvertrag vererben“, sagt Rechtsanwalt Dr. Kurze. „Abraten würde ich aber von einem gemeinsamen Berliner Testament der Ehegatten.“
In einem Berliner Testament setzen sich Ehepartner gegenseitig als Alleinerben ein und binden sich an bestimmte Vorgaben, die etwa bestimmen, wie das Erbe später an die Kinder weitergeben werden soll.
Diese Vorgaben kann der überlebende Partner zwar nicht beliebig verändern, aber Szenarien wie diese sind doch denkbar: So könnte es sein, dass der überlebende Partner sich nach dem Tod des Gatten nicht an die einst getroffenen Vorgaben hält und das Erbe schon zu Lebzeiten an seine leiblichen Kindern weitergibt. Das ist zwar eigentlich nicht zulässig, wenn es dem gemeinschaftlichen Testament widerspricht. Eine Rückabwicklung ist für die anderen Kinder später aber sehr schwierig oder sogar unmöglich, wenn das „Verschwinden“ des Geldes nicht zu beweisen ist.
Doch nicht nur ein gemeinsames Testament kann Nachteile haben. Auch Einzeltestamente bergen Risiken, denn bei dieser Art von Verfügung steht es jemanden frei, sie zu ändern – den Ehepartner darüber informieren muss er nicht.
„Um ganz sicher zu gehen, dass Stiefkinder einen Teil des Erbes erhalten oder gleichberechtigt mit den leiblichen Kinder erben, sollte man statt eines Testaments einen Erbvertrag aufsetzen“, sagt Dr. Kurze. Einen Erbvertrag muss man notariell beurkunden lassen, die Kosten dafür hängen vom Umfang des Erbes ab.
Wer über einen Erbvertrag seinen Partner absichern und seinen leiblichen Kindern wie auch Stiefkindern etwas von seinem Vermögen hinterlassen will, hat verschiedene Möglichkeiten: Im Erbvertrag können sich die Ehegatten zum Beispiel als Alleinerben einsetzen. Stirbt der zweite Partner, werden alle im Erbvertrag genannten Kinder, leibliche Kinder wie Stiefkinder, Schlusserben und teilen sich das Erbe zu gleichen Teilen.
Da die leiblichen Kinder in dieser Konstruktion einen Pflichtteilsanspruch haben, sollte man mit ihnen parallel zum Aufsetzen des Erbvertrages einen Pflichtteilsverzicht vereinbaren. „Als eine Art ‚Gegenleistung‘ dafür kann man den leiblichen Kinder vorab einen kleinen Teil des Erbes zukommen lassen“, sagt Dr. Kurze. „Eine weitere Möglichkeit, alle Kinder zu bedenken, ist, den Partner im Erbvertrag als Alleinerben einzusetzen und den Kinder bereits beim ersten Erbfall einen Teil des Nachlasses als Vermächtnis zu geben“, sagt Dr. Kurze.
Und schließlich kann ein Erbvertrag auch so aussehen, dass jeder Gatte darin seine leiblichen als alleinige Erben einsetzt und der überlebende Partner zu seinen Gunsten ein Vermächtnis erhält, das ihm etwa ein Wohnrecht an einer Immobilie oder ein generelles Nießbrauchrecht am Erbe einräumt.