Leibliche Eltern können über vieles entscheiden, was ihr Kind betrifft. Das schließt auch die Religionszugehörigkeit des Kindes ein und zwar auch dann, wenn den Eltern das Sorgerecht entzogen worden ist und es in einer Pflegefamilie aufwächst. Das berichtet die Arbeitsgemeinschaft Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und informiert über eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 29. März 2016 (AZ: 2 UF 223/15).
Pflegeeltern und Jugendamt als Vormund: Dürfen sie über die Religion eines Pflegekindes entscheiden?
In dem zugrunde liegenden Fall hatte das Jugendamt das Kind direkt nach der Geburt im April 2007 in seine Obhut genommen und es in eine Bereitschaftspflegefamilie gebracht. Schon einen Tag nach der Geburt entzog das Gericht der Mutter teilweise das elterliche Sorgerecht, so das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht der Gesundheitsfürsorge. Im darauffolgenden Jahr wurde der Frau das Sorgerecht vollständig entzogen. Vormund wurde das Jugendamt. Seit 2009 lebt das Kind inkognito bei einer Dauerpflegefamilie. Die Pflegeeltern haben ihre eigenen Kinder taufen lassen und erziehen sie nach christlichen Wertvorstellungen.
Die leibliche Mutter des Kindes ist Muslimin und hatte von Anfang an ihren Wunsch deutlich gemacht, dass ihre Tochter im muslimischen Glauben erzogen wird. Eine Taufe des Kindes lehnte die Mutter nach Anfrage des Jugendamtes 2013 ab.
Das Jugendamt als Vormund beantragte die familiengerichtliche Genehmigung seiner Entscheidung, das Mädchen taufen zu lassen. Er begründete das damit, dass die Pflegefamilie dem römisch-katholischen Glauben angehöre und den Glauben im Alltag auch aktiv lebe. Ihr Pflegekind habe den Wunsch, in diesem Jahr zur Kommunion zu gehen. Derzeit werde es gemeinsam mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern darauf vorbereitet.
Das Familiengericht stimmte dem noch zu. Die Erziehung im römisch-katholischen Glauben entspreche dem Wohl des Kindes und seinem Wunsch. Das Kind bekenne sich mit Taufe und Kommunion zur Religion seiner Pflegeeltern. Dort lebe das Kind bereits seit über sechs Jahren. Dagegen legte die leibliche Mutter Beschwerde ein. Die Entscheidung des Familiengerichts missachte ihr Elternrecht.
Religionszugehörigkeit eines Kindes: Leibliche Eltern haben Erstbestimmungsrecht
Mit Erfolg. Die Mutter habe noch vor dem vollständigen Entzug des Sorgerechts über die Religionszugehörigkeit ihres Kindes entschieden. An dieses Erstbestimmungsrecht der Mutter sei der Vormund gebunden, so das Oberlandesgericht. Die Frau habe zu diesem Zeitpunkt noch den Teil des Sorgerechts gehabt, der dazu berechtige, über die religiöse Erziehung zu entscheiden. Dazu die Richter: „Dem Vormund oder Pfleger steht dieses Recht lediglich als Erstbestimmungsrecht zu, das heißt eine Bestimmung steht einem Vormund oder Pfleger nur zu, wenn nicht bereits früher eine entsprechende Bestimmung erfolgt war. Eine bereits getroffene Bestimmung [...] kann der Vormund bzw. Pfleger nicht ändern.“
In der Tat hätte die beabsichtigte Entscheidung des Vormunds zur Religionszugehörigkeit des Kindes nach aktuellem Sachstand und nach der Anhörung des Mädchens wahrscheinlich dem Kindeswohl entsprochen, so die Richter. Das rechtfertige jedoch keine andere Beurteilung. Der Vormund sei an die Bestimmung der Religionszugehörigkeit durch die leibliche Mutter gebunden.
- Datum
- Aktualisiert am
- 19.08.2016
- Autor
- DAV