
Wie weit geht der Schutz von Kindern und Jugendlichen? Was bedeutet Kindeswohl? Und welches Gewicht hat die Meinung von Kindern oder Jugendlichen in bestimmten Situationen?
Vor diese Fragen gestellt sah sich im März 2016 das Brandenburgische Oberlandesgericht. Über den zugrunde liegenden Fall und die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts berichtet die Arbeitsgemeinschaft Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) (24. März 2016, AZ: 9 UF 132/15).
Der Fall: Das 15-jährige Mädchen hatte eine Beziehung mit einem über dreißig Jahre älteren Mann. Die Eltern der Jugendlichen versuchten mit aller Macht, den Teenager vom Freund zu trennen. Sie untersagten ihrer Tochter, den Mann zu treffen. Das junge Mädchen hielt jedoch gegen alle Widerstände an der Beziehung zu dem Mann, ihrem Freund, fest.
So setzte die Jugendliche sich heimlich mit ihrem Freund ab. Sie und der Mann wurden dann in Südfrankreich aufgegriffen. Nach der Rückkehr gab es eine Vielzahl von Gesprächsrunden und den Versuch einer Familientherapie – ohne Erfolg. Das junge Mädchen lehnte eine Rückkehr zu den Eltern ab. Am 10. Juli 2015 tauchte die Jugendliche erneut unter. Seitdem hat sie sich der Unterstützung des Verfahrensbeistands versichert, der sie auch in diesem Gerichtsverfahren unterstützte.
Danach war der Teenager nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. Das junge Mädchen hielt ihre wechselnden Aufenthaltsorte vor den Eltern weitestgehend geheim. Im Sommer erreichten die Eltern für einige Wochen die Unterbringung ihrer Tochter in der Psychiatrie.
Kinder und Jugendliche: Wann ist das Kindeswohl gefährdet?
Das Gericht lehnte das von den Eltern geforderte Kontakt- und Näherungsverbot für den Freund ihrer Tochter ab. In der Tat würden dem jungen Mädchen aus dem eskalierten Konflikt Gefahren für ihr Wohl drohen. Die Jugendliche sei in ihrer Entwicklung massiv gefährdet. Der Teenager habe durch den Konflikt mit ihren Eltern jeden gesicherten Halt in ihrer Familie, ihr Zuhause und ihr gesamtes vertrautes soziales Umfeld verloren.
Wohl von Kindern und Teenagern: Wann greifen Kontakt- und Näherungsverbote?
Das Kontaktverbot für den Freund sei jedoch kein angemessenes und wirksames Mittel dagegen. So müsse dabei auch beachtet werden, dass ein solches Kontakt- und Näherungsverbot für den Freund indirekt auch als Verbot für das junge Mädchen wirke. Für den Reifeprozess eines heranwachsenden Jugendlichen sei der Kontakt zu anderen und insbesondere zum anderen Geschlecht unverzichtbar.
Dabei müssten die Jugendlichen ihren eigenen Neigungen folgen dürfen. Man verlange von einem Erwachsenen keine Begründung, warum er jemand möge oder liebe und mit diesem eine Liebesbeziehung führe. Und genauso wenig könne ein Teenager dazu verpflichtet werden.
Die Erziehung zur Mündigkeit erfordere, dass die Eltern ihr Bestimmungsrecht zugunsten bloßer Kontrolle kindlicher Selbstbestimmung zurücknähmen. Anderenfalls könne dies das Wohl des Kindes beeinträchtigen.
Das Gericht vertrat die Ansicht, dass es sich bei dieser Beziehung für das junge Mädchen um eine „schicksalhafte Konfliktsituation“ handele. Die Entscheidung der Jugendlichen sei als ein Akt der Selbstbestimmung eines heranwachsenden Kindes ein hohes Gewicht beizumessen. Der Kindeswille könne hier nicht übergangen werden, ohne dass dadurch das Kindeswohl gefährdet würde.
Die Jugendliche habe ihren Wunsch, die Beziehung zu ihrem Freund weiter zu leben, „zielorientiert, erlebnisgestützt und stabil“ geäußert. Die Richter sahen darin eine sehr bewusste Eigenentscheidung des Teenagers, die zu beachten sei.
- Datum
- Aktualisiert am
- 19.12.2016
- Autor
- red/dpa