Erforderlich ist in solchen Fällen eine Gefahreneinschätzung anhand der konkreten Umstände. Darüber informiert die Arbeitsgemeinschaft Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und verweist auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. September 2016 (AZ: 18 UF 342/16).
Umgangsrecht: Kindeswohlgefährdung durch Umgang mit drogenabhängigem Elternteil?
Im vorliegenden Fall begann die Frau Crystal Meth zu konsumieren, kurz nachdem ihr Sohn geboren war. Der Junge lebte bei seiner Mutter. Als das Kind vier Jahre alt war, trennte sich die Frau vom Vater des Jungen, mit dem sie aber nie zusammengelebt hatte. In derselben Zeit nahm sie die Unterstützung des Jugendamts und einer Drogenberatungsstelle in Anspruch. Als sie eine stationäre Langzeittherapie antrat, zog das Kind zum Vater. Der Kontakt zur Mutter blieb jedoch bestehen, das Kind übernachtete auch immer wieder bei ihr.
Als sie nach Ende der Therapie mit dem Vater ihres Kinds abklären wollte, wie das Umgangsrecht aussehen solle, erwirkte der Vater über eine einstweilige Anordnung eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich, was das Familiengericht bestätigte. Die Richter ordneten einstweilen einen Umgang des Kinds mit seiner Mutter alle zwei Wochen von Mittwoch bis Montag an.
Drogenabhängigkeit: Regeln für getrennte Eltern und unbegleiteten Umgang mit dem Kind
Das Jugendamt legte fest, dass die Mutter vor jedem Umgang einen Drogentest durchzuführen habe. Vor einem der Umgangstermine erschien die Mutter nicht zum Drogentest und holte das Kind aus dem Kindergarten ab. Ein später durchgeführter Test war positiv. Auf Veranlassung des Jugendamts wurde das Kind daraufhin umgehend aus dem Haushalt der Mutter entfernt und dem Vater übergeben.
Doch schon am darauffolgenden Tag, in der mündlichen Verhandlung zum Umgangsrecht, bestätigte das Familiengericht den unbegleiteten Umgang von Mittwoch bis Montag und übergab hierfür das anwesende Kind an die Mutter. Es sei nicht zu erwarten, dass das Kind bei der Frau Schaden nehmen werde, so die Richter.
Vater und Jugendamt wandten sich gegen den unbegleiteten Umgang. Wenn es keine Möglichkeiten gebe, so das Jugendamt, den Clean-Status der Mutter vor dem Umgang festzustellen, sei eine Kindeswohlgefährdung nicht einschätzbar. Das knapp sechsjährige Kind gehöre zur Hochrisikogruppe der 0 bis 6-Jährigen. Der Drogenkonsum der Frau stelle eine latente Gefahr dar, zu denken sei an Entzugserscheinungen, Wahnvorstellungen oder Beschaffungsdruck. Es müsse daher die Sicherheit des Kinds durch geeignete Maßnahmen gewährleistet werden.
Die Mutter argumentierte, sie habe sich unabhängig von ihrer Drogenkrankheit stets um ihr Kind gekümmert. Es habe nie Betreuungsdefizite gegeben und werde sie auch in Zukunft nicht geben. Die Frau lebte in einer neuen Beziehung in einem gemeinsamen Haushalt. Ihr Lebensgefährte, selbst Vater eines sechsjährigen Sohns, nimmt keinerlei Drogen.
Die Beschwerde des Jugendamts blieb ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht sah keine Hinweise für eine Kindeswohlgefährdung bei einem mehrtägigen Aufenthalt im Haushalt der Mutter. „Dann aber ist für eine Beschränkung des Umgangsrechts der Mutter kein Raum“, so die Richter.
Elternrecht: Umgangsrecht mit Kind verfassungsrechtlich geschützt
Die Richter erläuterten auch den hohen Rang des Elternrechts für die Elternteile: Das Umgangsrecht des Elternteils, bei dem ein Kind nicht seinen dauernden Aufenthalt hat, wurzele im Elternrecht und sei verfassungsrechtlich geschützt. Es soll dem Elternteil ermöglichen,
- sich vom körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung fortlaufend persönlich zu überzeugen.
- die verwandtschaftlichen Beziehungen aufrechtzuerhalten
- einer Entfremdung vorzubeugen
- dem gegenseitigen Liebesbedürfnis Rechnung zu tragen.
In der Regel gehe man davon aus, dass der persönliche Umgang mit beiden Elternteilen dem Kindeswohl entspreche. Im vorliegenden Fall komme dem Umgangsrecht in Form eines regelmäßigen und auch längeren Aufenthalts bei der Mutter eine besondere Bedeutung für die Bindungen des Kindes zu.
Die Frau räume selbst ein, an einem „Abhängigkeitssyndrom durch psychotrope Substanzen“, also Rauschmittel, erkrankt zu sein. Ob sie derzeit Drogen nehme, sei nicht sicher. Sie selber bestreite es. Sie absolviere jedenfalls eine Therapie und sei angebunden an eine Suchtberatungs- und Suchtbehandlungsstelle.
Umgangsrecht: Kindeswohlgefährdung durch Drogenkonsum der Mutter?
Die Drogenkrankheit der Frau stelle grundsätzlich eine abstrakte Einschränkung ihrer Fähigkeit dar, sich um das Kind zu kümmern, und könne eine Kindeswohlgefährdung mit sich bringen. Allerdings dürfe man einem Elternteil nicht eine Beschränkung des Umgangsrechts allein aufgrund einer abstrakten Gefahreneinschätzung auferlegen.
Zwar mögen Drogen und Kindeswohlgefährdung nicht selten miteinander einhergehen. Es bedürfe aber in jedem Fall einer umfassenden, auf den Einzelfall bezogenen Prüfung, ob im konkreten Fall aufgrund des Drogenkonsums eine Gefahr für das Kind zu befürchten sei. Im Verhältnis des Jungen zu seiner Mutter sehe der Senat eine solche konkrete Gefahr für eine Kindeswohlgefährdung nicht. Zu keiner Zeit, also weder vor, während noch nach der Therapie, habe es Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung gegeben.
Die angesprochene abstrakte Gefährdung während des Umgangs mit der Mutter werde zudem noch durch weitere Umstände gemindert: So besuche das Kind auch in der Zeit, die er bei seiner Mutter verbringt, regelmäßig den Kindergarten. Auch der Kindergarten habe keinerlei Hinweise darauf, dass es dem Kind an etwas fehle. Der Junge sei pünktlich gebracht und abgeholt worden und habe keinerlei Besonderheiten erkennen lassen.
Betroffene sollten sich in jedem Fall anwaltlich beraten lassen, um ihre Interessen und die des Kindes bei juristischen Auseinandersetzungen bestmöglich durchsetzen zu können.
- Datum
- Aktualisiert am
- 27.09.2017
- Autor
- DAV/red