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Gefährliches Wissen

Zeugen­schutz­programm: Wie werden Kronzeugen und Gewaltopfer geschützt?

Wer eine Straftat beobachtet hat oder Opfer einer Gewalttat wurde und gegen die Straftäter aussagen will, begibt sich womöglich in Gefahr. Mit verschiedenen Maßnahmen des Zeugenschutzes kann die Identität des Zeugen geschützt werden. © Quelle: DAV

Wer eine Straftat beobachtet hat oder über wichtige Informa­tionen für ein Ermitt­lungs­ver­fahren verfügt, kann mit diesem Wissen Straftäter ins Gefängnis bringen – und sich selbst in große Gefahr. So erging es kürzlich einem ehemaligen Mitglied der Rocker-Gang Bandidos, das gegen mehrere Gang-Mitglieder aussagte. Schon auf dem Weg in den Gerichtssaal wurde der Mann bedroht. In Deutschland gibt es zahlreiche Möglich­keiten, Zeugen zu schützen. Lesen Sie hier, was es mit Opferschutz, Zeugen­schutz und dem Zeugen­schutz­programm auf sich hat.

Man kennt das aus Filmen: Ein Prozess gegen eine mafiöse Organi­sation, ein ehemaliger Mitarbeiter packt aus. Er nennt Namen, Daten, Adressen und Verbin­dungen und trägt damit maßgeblich zur Verurteilung von ranghohen Mitgliedern bei. Die Ehefrau des leitenden Mitglieds sieht das Imperium in Gefahr und schwört Rache. Der Zeuge wird daraufhin in ein Zeugen­schutz­programm aufgenommen: Er zieht um, verändert sein Aussehen und lebt fortan zurück­gezogen in den Bergen, wo er seine neue Lebens­ge­schichte auswendig lernt. Was haben solche Geschichten mit der Realität zu tun?

Kronzeugen: Belastungs­zeugen mit brisantem Wissen

Mit Blick auf das Zeugen­schutz­programm gilt wie so oft: Was in Filmen zu sehen ist, spiegelt eher das amerika­nische als das deutsche Prozedere. In den USA dürfen Beweise, die durch unsaubere Methoden erlangt wurden – zum Beispiel in einer unerlaubten Hausdurch­suchung – vor Gericht nicht verwendet werden. Die Beweis­findung ist also deutlich schwerer, und Zeugen­aussagen wichtiger und schlag­kräftiger als in Deutschland. In der Folge sind Zeugen­schutz­pro­gramme häufiger notwendig.

Hierzulande ist die Beweis­findung etwas einfacher. Es ist theoretisch also leichter, Straftäter zu verurteilen. „Es gibt aber auch in Deutschland Fälle, in denen der Prozess mit der Aussage einer Person steht und fällt – deren Informa­tionen so wichtig sind, dass sie zur Verurteilung von Angeklagten führen“, sagt Rechts­an­wältin Michaela Landgraf, Mitglied der Arbeits­ge­mein­schaft Strafrecht im Deutschen Anwalt­verein (DAV). Solche Zeugen bezeichne man im Sprach­ge­brauch als Kronzeugen, obwohl sich im Gesetz keine Legalde­fi­nition dieses Wortes finde.

Bedeutung der Aussage entscheidet über Zeugen­schutz

Ab wann Kronzeugen in Deutschland als schützenswert gelten und wie sie geschützt werden können, regelt das Zeugen­schutz­har­mo­ni­sie­rungs­gesetz (ZSHG). Daneben gibt es zahlreiche Vorschriften in der Strafpro­zess­ordnung, die sich mit dem Thema Zeugen­schutz befassen und die zuletzt durch das Zeugen­schutz­gesetz (ZSchG) im Rahmen der Strafrechts­no­vel­lierung von 1998 modifiziert wurden.

Hat jemand etwas zu einem Ermitt­lungs­ver­fahren beizusteuern, das ihn oder seine Familie in Gefahr bringen könnte, skizziert er zunächst bei der Polizei, was er weiß. Der Staats­anwalt hat den Überblick über die Beweislage kann einschätzen, ob der Zeuge als Kronzeuge gelten kann. Teilweise fordern der aussage­willige Zeuge oder sein Anwalt aber auch Zeugen­schutz als Gegenleistung zur Aussage.

„Je nach ´Sprengkraft` der Aussage und Gefährdung des Zeugen wird entschieden, welche Maßnahmen des Opfer- oder Zeugen­schutzes notwendig sind“, fügt Rechts­an­wältin Landgraf hinzu. Ein Zeugen­schutz­programm sei nur die letzte und äußerste Option. Meist würden zunächst die Daten des Zeugen in den Ermitt­lungsakten geschwärzt. Der Name sei dann zwar noch lesbar, nicht aber die Adresse und das Geburtsdatum.

Ausschluss der Öffent­lichkeit: Schutz für Zeugen und Opfer

Naheliegend und ebenfalls vergleichsweise unkompliziert ist es, die Öffent­lichkeit vom Prozess auszuschließen und damit die Identität des Zeugen zumindest vor Angehörigen des Verurteilten und Journa­listen zu schützen. Nach § 172 Abs. 1a Gerichts­ver­fas­sungs­gesetz (GvG) kann ein Prozess ganz oder teilweise unter Ausschluss der Öffent­lichkeit stattfinden, wenn „eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person zu besorgen ist“.

Ein Beispiel: Eine Prosti­tuierte sagt vor Gericht gegen einen Drogen­dealer aus. Wäre die Öffent­lichkeit zugelassen, säßen womöglich Handlanger des Drogen­dealers mit im Saal, die sich an der Frau rächen könnten. Zudem erführen andere von ihrer Tätigkeit, wodurch ihr beispielsweise bei einer Jobsuche nach einem Ausstieg aus dem Milieu Nachteile entstehen könnten. Das Gericht hat dann die Möglichkeit, für die Dauer der Zeugen­ein­vernahme die Öffent­lichkeit auszuschließen.

Zudem kann es nach § 68 Strafpro­zess­ordnung (StPO) als weitere Maßnahme des Zeugen­schutzes Zeugen erlassen werden, bei der Vernehmung vor Gericht ihre Privat­adresse zu nennen. Vor allem Polizisten, die von Amts wegen aussagen, können dann ihre Dienst­adresse als ladungs­fähige Anschrift angeben.

Opferschutz: Vernehmung auf Video

Manchen Opfern von Gewalttaten möchte die Staats­an­walt­schaft auch ersparen, überhaupt im Gerichtssaal auszusagen. Seit der Novellierung der StPO durch das Zeugen­schutz­gesetz wird verstärkt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, schutz­würdige Zeugen wie Kinder und Jugendliche in Missbrauchs­ver­fahren im Vorfeld des Gerichts­ver­fahrens per Videover­nehmung durch den Ermitt­lungs­richter befragen zu lassen.

„Bei Opfern sexueller Gewalt wird das häufig so gehandhabt, um ihnen die Aussage im Gerichtssaal zu ersparen“, informiert die Strafver­tei­digerin aus München. Das Video werde dann später im Prozess abgespielt und als Beweis verwendet.

Teilweise wird auch eine Vernehmung im Gerichtssaal via Videoüber­tragung durchgeführt, bei der der Zeuge vor der Kamera verhüllt ist oder sogar seine Stimme verzerrt wird, um seine Identität zu schützen. Bei verdeckten Ermittlern, die zum Beispiel in einer rechts­extremen Organi­sation aktiv sind, findet die Vernehmung ebenfalls häufig auf diese Art statt – zum einen, um sie zu schützen, zum anderen, um sie nicht zu enttarnen und zu vermeiden, dass sie für die Szene „verbrannt“ sind.

Zeuge in Gefahr: Endstation Zeugen­schutz­programm

Zeichnet sich während des Prozesses oder schon im Vorfeld ab, dass dies nicht reichen wird, um die Sicherheit des Zeugen zu gewähr­leisten, wird der Fall der zuständigen Zeugen­schutz­ab­teilung der Polizei übergeben. Wo diese verortet ist, kommt auf das Bundesland an. Häufig ist es das Landes­kri­mi­nalamt.

Ein Sachbe­ar­beiter holt dann den Zeugen ab und trifft sich mit ihm an einem geheimen Ort – den nicht einmal sein Anwalt kennt – zu einer Hinter­grund­be­sprechung. Er versucht dann heraus­zu­finden, ob Zeugen­schutz notwendig ist und wenn ja, wie dieser aussehen muss. Wenn die Prüfung ergibt, dass der Kandidat nach §1 ZSHG tatsächlich in Lebens­gefahr ist, läuft das Zeugen­schutz­programm an.

Zeugen­schutz­programm: Neue Identität, neuer Wohnort, neues Leben

Um Zeugen und gegebe­nenfalls deren Familien bis zum Prozess in Sicherheit zu bringen, werden diese teilweise in Schutzhaft genommen oder sogar ins Ausland gebracht. Nach dem Strafver­fahren bekommen sie dann eine neue Identität, inklusive neuen Papieren, sogenannte Tarndo­ku­menten. Personen im Zeugen­schutz­programm müssen ihren Wohnort und meist auch ihren Beruf wechseln. Ein Zeugen­schutz­programm läuft unter größter Geheim­haltung ab. Offiziell verschwinden die Personen einfach von der Bildfläche.

Zeuge selbst Straftäter: Zeugen­schutz­programm nach der Haft

Nun ist es auch denkbar, dass ein Kronzeuge selbst kriminell ist, und mit seiner Aussage nicht nur Komplizen, sondern auch sich selbst belastet. Solche Zeugen können in der Regel auf eine mildere Strafe hoffen. „Müssen die Kronzeugen selbst in Haft, kann ein Zeugen­schutz­programm auch nach Ende Haftzeit anlaufen“, sagt Rechts­an­wältin Landgraf. Manche würden schon die Haft unter falschem Namen antreten. Das sei oft auch deshalb notwendig, um die Zeugen vor Vergel­tungsakten durch Insassen zu schützen.

Eine Strafmin­derung bekamen zum Beispiel auch die zurück­ge­kehrten Wolfsburger IS-Kämpfer. Da sie der Polizei und den Medien tiefe Einblicke in die Organi­sation der Terrormiliz verschafften, wurde sie lediglich zu drei Jahren beziehungsweise vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Da beide Rückkehrer als „Abtrünnige“ in Lebens­gefahr schweben, müssen sie womöglich in ein Zeugen­schutz­programm aufgenommen werden.

Zeugen­schutz immer freiwillig

Die Teilnahme am Zeugen­schutz­programm ist freiwillig. Es läuft nur so lange, wie der Zeuge gefährdet ist. Wenn sich die Gefahrenlage ändert, weil zum Beispiel die potenziellen Rächer verstorben sind, erhält der Teilnehmer seine alte Identität zurück. Die Tarndo­kumente können auch dann wieder eingezogen und der Schutz­maß­nahmen beendet werden, wenn der Zeuge sich nicht an die Regeln hält.

So darf er seine alte Identität nicht verwenden und niemanden aus seiner Vergan­genheit kontak­tieren. Abgesehen von ihrem Ansprech­partner bei der Polizei darf er mit niemandem über das Programm sprechen, auch nicht mit einem Anwalt.

Natürlich können die Zeugen aus dem Zeugen­schutz­programm auch aussteigen – für ihre Sicherheit können die Zeugen­schutz­stellen dann aber nicht mehr viel tun. Und auch wenn ein Zeuge das Programm durchhält und die Regeln befolgt, besteht theoretisch immer noch eine geringe Chance, dass jemand seine ursprüngliche Identität aufdeckt. So wurde beispielsweise schon ein geschützter Zeuge über seinen Personen­schützer aufgespürt.

Sie suchen Schutz? Rechts­anwälte für Strafrecht oder Opferrecht helfen

Wer in Deutschland Opfer einer Straftat geworden ist oder eine solche beobachtet hat und sich mit einer Aussage in Gefahr bringen würde, kann von der Polizei geschützt werden. Der Zeugen­schutz umfasst viele Maßnahmen unterschied­licher Ausprägung, mit denen Zeugen vor Vergel­tungs­schlägen geschützt werden. Eine Anwalt oder eine Anwältin für Opferrecht oder Strafrecht in Ihrer Nähe finden Sie in unserer Anwaltssuche. Strafver­teidiger erreichen Sie rund um die Uhr und das ganze Jahr hindurch über den Strafver­teidiger-Notruf des DAV.

Datum
Aktualisiert am
22.03.2016
Autor
vhe
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Themen
Polizei Straftat Zeugen

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