Strafrecht-Blog

Sagen Sie jetzt besser nichts!

Mit der Akteneinsicht beginnt die Arbeit des Verteidigers. © Quelle: DAV

Was tun, wenn man beschuldigt wird, eine Straftat begangen zu haben? Viele Ermittler tasten sich bei dem Vorwurf langsam ran - und viele Beschuldigte fallen darauf rein. Welches Vorgehen ratsam ist.

Nicht selten erreicht uns so eine Beschwerde des Mandanten eines anderen Rechts­anwalts:

Ich habe den Herrn Rechts­anwalt Mühsam schon vor vier Wochen beauftragt, mich gegen die unhaltbaren Vorwürfe zu verteidigen. Bis heute habe ich keine Nachricht erhalten, daß die Polizei mir glaubt und das Verfahren einstellt. Ich bin mit dem Anwalt nicht zufrieden, der tut doch nichts!

Was steckt dahinter?

Beginn eines strafrecht­lichen Ermitt­lungs­ver­fahrens

In den meisten Fällen erfährt der Beschuldigte von der Polizei, daß gegen ihn strafrechtlich ermittelt wird. Weitere Einzel­heiten, aufgrund welcher Tatsachen und Umstände das Ermitt­lungs­ver­fahren gegen ihn eingeleitet wurde, werden erst einmal nicht mitgeteilt. Und das hat auch einen Hintergrund: Die Ermittler wollen sich nicht die Karten schauen lassen und skizzieren nur ganz grob den Tatvorwurf. Etwa in dieser Art:

Ihnen wird vorgeworfen, am 28.09.2013 um 03.15 Uhr in der Gaststätte „Zum Tiger“ an einer Schlägerei beteiligt gewesen zu sein.

Oder

Ihnen wird zur Last gelegt, am 20.09.2013 gegen 19 Uhr am U-Bahnhof „Albert-Hofmann-Platz“ mit Betäubungs­mitteln gehandelt zu haben.

Mehr wird nicht verraten. Dann fordern sie den Beschul­digten zur Stellungnahme auf. Wer in dieser Situation dann nicht gleich eine komplette Lebens­beichte ablegt, sondern stattdessen einen Rechts­anwalt bittet, ihn zu unterstützen, handelt goldrichtig. Alles andere wäre eine gefährliche (Selbst-)Vertei­digung ins Blaue hinein.

Beginn der Vertei­digung

Der Anwalt wird sich bei der Polizei melden und mitteilen, daß er den Beschul­digten verteidigt und eine Stellungnahme zu den Tatvor­würfen erfolgen wird. Aber eben nicht sofort, sondern erst, nachdem alle Beteiligten, also auch der Verteidiger und der Beschuldigte, den selben Kenntnis- und Informa­ti­onsstand haben, der zur Einleitung des Strafver­fahrens geführt hat. Vorher wird auch von dieser Seite nichts verraten.

Deswegen beantragt der Verteidiger zu aller erst die Akteneinsicht. Denn nur wenn alle Karten für alle Mitspieler bereit liegen, kann das Spiel beginnen. Die Polizei teilt das der Staats­an­walt­schaft mit und diese schickt dem Verteidiger dann die Akte. Das ist bis dahin ein ganz alltäg­licher Vorgang, der keinen Anlaß zu irgendeiner Sorge gibt.

Der Grundsatz: Erstmal die Akteneinsicht

Bekanntlich arbeiten Polizisten und Staats­anwälte nun aber in so genannten Behörden. Und dort dauert es eben (manchmal) etwas länger, bis Bewegung in die Sachen kommt. Beziehungsweise: Bis der Verteidiger die Ermitt­lungsakte bekommt.

Wenn der Verteidiger dann in der Zwischenzeit „nichts tut“, dann handelt es sich dabei nicht um schlichtes Nichtstun. Sondern das ist vielmehr ein qualifi­ziertes und aktives Nichtstun. Denn der Beschuldigte hat ein Recht darauf, angehört zu werden. Und er hat einen Anspruch darauf, über seinen Verteidiger in die Akten zu schauen. Solange dieser Anspruch nicht erfüllt wird, kann er auch seine Vertei­di­gungs­rechte nicht nutzen. Dann warten Verteidiger und Beschul­digter eben solange ab. Das ist der Grundsatz.

Die Ausnahme im Eilfall

Natürlich gibt es Ausnahmen. Zum Beispiel, wenn ...

  • ... der Beschuldigte verhaftet wurde, darf der Verteidiger auch nicht aktiv nichts tun, sondern muß mit allem Nachdruck aktiv tätig werden, um die Ermittlungsakte zu bekommen, damit er im Haftverfahren möglichst die Entlassung erreicht.
  • ... notwendige Arbeitsmittel - z.B. die Computer - des Beschuldigten beschlagnahmt wurden, muß der Verteidiger die Herausgabe zumindest der notwendigen Daten verlangen.
  • ... zu befürchten ist, daß Beweismittel (und seien es „nur“ die Erinnerung von Zeugen) verschwinden, dann muß der Verteidiger dafür sorgen, daß sie gesichert werden.
  • ... die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen wurde, wird der Verteidiger die unverzügliche Akteneinsicht durchzusetzen wissen.

In diesen (und anderen vergleichbaren) Fällen wird der erfahrene Verteidiger also heftig am Rad drehen, um seinem Mandanten zu helfen. Sind solche Eilfälle nicht gegeben, kann die Vertei­digung sich entspannen, die Hände in den Schoß legen und die Nerven behalten. Die Zeit arbeitet in den überwie­genden Fällen für den

Beschul­digten.

Vertei­digungs-Erklärung oder Schweigen

Und erst, wenn die Zeit der Akteneinsicht gekommen ist, wird sich zeigen, wie eine optimale Vertei­digung betrieben wird: In manchen Fällen hilft eine Erklärung zu dem Tatgeschehen, in anderen Fällen ist es günstiger, sich durch Schweigen zu verteidigen. Das entscheiden dann der Mandant und sein Verteidiger, nachdem alle

Fakten bekannt sind. Nicht vorher.

Kommuni­kation zwischen Verteidiger und Anwalt

Das Problem der eingangs genannten Beschwerde-Mandanten liegt also nicht in der Untätigkeit des Rechts­anwalts Mühsam. Sondern in der fehlenden Erläuterung der Hinter­gründe dafür. Wenn der Anwalt nicht „freiwillig“ damit herausrückt, hilft am besten eine schlichte Nachfrage.

Konsequenz

Die Mandats­kün­digung sollte man erst dann ernsthaft in Betracht ziehen, wenn man nahezu sicher ausschließen kann, mit dem Pferde­wechsel während des laufenden Rennens einen Schaden anzurichten...

Carsten R. Hoenig ist Fachanwalt für Strafrecht und Spezialist für Motorradrecht und betreibt einen eigenen Blog, der unter http://www.kanzlei-hoenig.de/blog aufzurufen ist. Auch für die Deutsche Anwalt­auskunft bloggt Herr Hoenig regelmäßig zum Thema Strafrecht.