„Wir brauchen Beweise, sonst haben wir in 24 Stunden keine Handhabe mehr, um den Verdächtigen weiter in Gewahrsam zu halten“, ruft der übermüdete Kommissar seinen Kollegen zu und knallt seine Kaffeetasse auf den Schreibtisch. Der Druck ist hoch, die Zeit läuft. Szenen wie diese finden sich häufig in Kriminalfilmen und –romanen. Mit dem Instrument des Polizeigewahrsams lässt sich wunderbar Spannung aufbauen. Doch nicht nur Krimiautoren leistet der Gewahrsam wertvolle Dienste. Er ist eines der wichtigsten Mittel, das das Polizeiaufgabengesetz Polizisten an die Hand gibt.
Der Polizeigewahrsam erfüllt zwei Funktionen, die sich mit den Zielen der Polizeiarbeit im Allgemeinen decken: Gefahren verhüten und Verbrechen aufklären. Auch wenn er natürlich durch rechtliche Grenzen eingefasst ist, kann der Polizeigewahrsam von Fall zu Fall sehr unterschiedlich gestaltet sein.
Gefahr im Verzug: präventiver Gewahrsam möglich
So können Polizisten jederzeit eingreifen, wenn Gefahr im Verzug ist. Ein Beispiel: Ein stark alkoholisierter Mann ist auf der Straße unterwegs. Das Risiko ist hoch, dass es zu einem Verkehrsunfall kommt. Dann kann die Polizei ihn in präventiven Gewahrsam nehmen, damit nichts passiert.
Auch um Straftaten aufzuklären dürfen Polizeibeamte auf den Gewahrsam zurückgreifen. Wenn eine Person verdächtig erscheint, darf sie vorläufig festgenommen werden, damit die Polizei ihre Identität feststellen kann. „Es ist eine Möglichkeit für die Polizei, auf Pause zu drücken und herauszufinden, was eigentlich passiert ist“, fasst Michaela Landgraf zusammen, Rechtsanwältin für Strafrecht aus München und Vorstandsmitglied des Münchner Anwaltvereins. Wenn den Polizisten vermummte Gestalten auffielen, die hektisch eine Bankfiliale verließen, könnten sie diese erst einmal in Gewahrsam nehmen um zu prüfen, ob ein Tatverdacht bestehe.
Anfangsverdacht ausreichend
Möglich ist das auch, wenn zum Beispiel nach einem Vergewaltiger gefahndet wird und die Polizei einen Mann sieht, auf den die Täterbeschreibung passt. Ein solcher Anfangsverdacht genügt zwar – eine bloße Mutmaßung ist allerdings als Grundlage eines solchen repressiven Gewahrsams nicht ausreichend. So darf ein Polizist zum Beispiel niemanden nur deswegen festnehmen, weil er dunkel gekleidet ist und irgendwie gefährlich aussieht.
In Gewahrsam: Festgenommener muss unverzüglich Richter vorgeführt werden
Angenommen, eine Person ist in Gewahrsam genommen, was passiert dann? „Nach einer Festnahme – das ist gleichbedeutend mit Gewahrsam – rotieren Polizei und Strafverfolgungsbehörden im Hintergrund“, erklärt Rechtsanwältin Landgraf. Die Polizei habe dann 24 Stunden Zeit, um die Sachlage und die Identität des Festgenommenen zu prüfen.
In dieser Zeit müssen die Staatsanwaltschaft informiert, Aktenmaterial gesichtet und juristische Texte geprüft werden. Wer in Gewahrsam genommen wird, muss außerdem unverzüglich einem Richter vorgeführt werden.
Bestätigt sich der Anfangsverdacht gegen den Festgenommenen, wird durch den Ermittlungsrichter Untersuchungshaft angeordnet oder, wenn das notwendig sein sollte, der Festgenommene in eine psychiatrische Klinik überstellt. Ergeht nach Ablauf der 24 Stunden kein richterlicher Beschluss und besteht keine Verfahrensgewalt, muss der Festgenommene auf freien Fuß gesetzt werden. In absoluten Notfällen kann der Verhaftete auch für 48 Stunden festgehalten werden.
Vorläufige Festnahme? Namen nennen ist Pflicht
Egal wo man sich in Deutschland aufhält – es gibt immer Rechte und Pflichten. Das gilt auch für die Gewahrsamszelle auf dem Polizeirevier. Der Verhaftete ist im Grunde aber nur zu einer Sache verpflichtet: „Wer sich in Polizeigewahrsam befindet, hat lediglich die Pflicht, Angaben zu seiner Person zu machen“, sagt Strafrechtsexpertin Landgraf. Das bedeute, seinen Namen, sein Geburtsdatum und seine Adresse anzugeben.
Polizeigewahrsam: Das sind Ihre Rechte
Mit Blick auf die Rechte sind drei Aspekte besonders wichtig:
1) Das Recht zu schweigen
Verdächtige haben das Recht, bei der Polizei die Aussage zu verweigern. „Nichts zu sagen wird in Deutschland weder positiv noch negativ bewertet. Im Gewahrsam ist Schweigen aber meistens Gold“, erklärt Rechtsanwältin Landgraf. Manch ein Festgenommener würde sich aus Nervosität selbst belasten oder sich in Widersprüche verstricken, die später einen Nachteil ergeben könnten. Strafverteidiger rieten deshalb in solchen Fällen, lieber nichts zu sagen.
2) Das Recht, einen Anwalt anzurufen
Apropos Anwalt: Wer in Polizeigewahrsam sitzt, hat das Recht einen Strafverteidiger zu kontaktieren. Der DAV bietet für jede Stadt einen Strafverteidigernotdienst. Wer einen Anwalt braucht, erreicht darüber einen Experten – das ganze Jahr hindurch und rund um die Uhr.
3) Das Recht, einen Angehörigen zu kontaktieren
„Wen sollen wir kontaktieren?“, fragen die Polizisten in der Regel den Festgenommenen. Wer vorläufig festgenommen ist, darf einen Angehörigen darüber informieren beziehungsweise informieren lassen, wo er sich aufhält. Das können zum Beispiel die Eltern sein oder der Ehepartner.
In Gewahrsam beim Ordnungsamt
Theoretisch darf nicht nur die Polizei Menschen in Gewahrsam nehmen, sondern auch das Ordnungsamt. Wie weit die Befugnisse der Ordnungsbehörden gehen, hängt jedoch von der Kommune ab. Rechtsanwältin Landgraf zufolge ist es in München bislang kaum vorgekommen, dass das Ordnungsamt jemanden in Gewahrsam genommen hat. Die Ordnungsbeamten sind dort unter anderem für Bußgeldbescheide bei Ordnungswidrigkeiten zuständig. Sobald es in den strafrechtlichen Bereich hineingeht, wird die Polizei hinzugezogen.
In Köln ist das ähnlich. Dort ist das Ordnungsamt an manchen Tagen zwar bis nachts besetzt und kann zum Beispiel bei Ruhestörungen einschreiten. Sobald aber zum Beispiel die Lage eskaliert, rufen die Beamten die Polizei. Nur wenige Ordnungsämter haben die räumlichen Kapazitäten und entsprechend geschultes Personal, um Menschen in Gewahrsam zu nehmen. In der Praxis bedeutet Gewahrsam also meist Polizeigewahrsam.