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Versammlungsrecht

Polizei und Protest: Die Rechte von Demons­tranten

Demonstranten dürfen nicht einfach so gefilzt, festgenommen oder gefilmt werden. © Quelle: Kopczynski/corbisimages.com

Traditionell wird am Tag der Arbeit demons­triert, in Städten wie Hamburg oder Berlin enden die Proteste oft in Ausschrei­tungen. Wer darf eigentlich eine Demons­tration anmelden? Und darf die Polizei ohne Verdacht die Personalien von Teilnehmern aufnehmen? Die Deutsche Anwalt­auskunft beantwortet alle wichtigen Rechts­fragen.

Neben den traditio­nellen politischen und weitgehend friedlichen Demons­tra­tionen im ganzen Land kommt es in einigen Städten seit Mitte der 1980er Jahre in den Abendstunden des 1. Mai zu Ausschrei­tungen zwischen der Polizei und Demons­tranten. Anfänglich vor allem in Berlin-Kreuzberg, zersplittern Fenster­scheiben nun auch und vermehrt in Hamburg. Straßen­sperren, Festnahmen und Anzeigen sind die Folge; und immer wieder fragen sich Demons­tranten: Was darf ich eigentlich auf einer Demo – und was darf die Polizei?

1. Darf ich eine Demons­tration anmelden?

Ja, zumindest darf jeder eine Demons­tration anmelden, der die deutsche Staats­bür­ger­schaft besitzt. Das Grundgesetz sieht für alle Deutschen das Recht vor, „sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“. Wer darunter versteht, dass es keine Genehmigung für eine Demons­tration braucht, sollte Absatz 2 lesen. Darin heißt es: „Für Versamm­lungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.“ Und so ist in § 14 des Versamm­lungs­ge­setzes sehr wohl eine Anmelde­pflicht für Demons­tra­tionen festgelegt. Die zuständige Behörde muss mindestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe informiert und der Versamm­lungsgrund mitgeteilt werden. Zudem muss eine für die Versammlung verant­wortliche Person benannt werden.

Protest: Polizei darf auch Unschuldige einkesseln

Schirmt sich eine auf einer Demons­tration eine Gruppe von den restlichen Demons­tranten ab und wird gewalttätig, darf die Polizei sie einkesseln – auch, wenn womöglich Unschuldige darunter sind. Das geht aus einem Beschluss des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts vom 02. November 2016 hervor (1 BvR 289/15). Geklagt hatte ein Mann, der im Juni 2013 an einer Demons­tration vor der EZB in Frankfurt teilge­nommen hatte. Im Laufe der Demons­tration schirmte sich eine Gruppe von Teilnehmern ab und warf Farbbeutel und Pyrotechnik auf Polizisten. Die Polizei kesselte schließlich rund 1.000 Teilnehmer ein, darunter den Kläger. Nach fünf Stunden wurde er freige­lassen, nachdem seine Identität festge­stellt und seine Sachen durchsucht wurden waren. Das Ermitt­lungs­ver­fahren gegen ihn wurde eingestellt.

Sein Antrag auf Feststellung der Rechts­wid­rigkeit der Freiheits­ent­ziehung, der Identi­täts­fest­stellung und der Durchsuchung blieb allerdings ohne Erfolg. Dem Gericht zufolge erfordert der Verdacht einer Straftat eine hinreichend objektive Tatsachen­grundlage und muss sich auf einen konkreten Versamm­lungs­teil­nehmer beziehen. Wenn sich aus dem Auftreten einer Gruppe aber ein Verdacht gegen einzelne Mitglieder ergibt – weil zum Beispiel Pyrotechnik geworfen wird – darf die Polizei auch ganze Gruppen festsetzen und ihre Identität überprüfen.

 

Darüber hinaus gibt es aber zwei weitere Versammlungsformen, die unter den Überbegriff Spontanversammlung fallen und auf den „Brokdorf-Beschluss“ des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zurückgehen (BVerfG, 14. Mai 1985, AZ: 1 BvR 233, 341/81). Die sogenannte Eilversammlung muss zwar auch angemeldet werden, doch gilt bei ihr nicht die 48-Stunden-Frist. Eine Sofortversammlung ist dagegen nicht anmeldepflichtig. Hier wird spontan und aus aktuellem Anlass protestiert, wodurch der Beschluss sich zu versammeln und die Ausführung zeitlich unmittelbar zusammenfallen.

2. Darf ich mich vermummen?

Nein, nachzulesen in § 17a (2) des Versamm­lungs­ge­setzes. Allerdings gibt es Ausnahmen. So entschied das Landgericht Dortmund vor einigen Jahren, dass sich ein Teilnehmer einer Demons­tration gegen Rechts­ra­dikale mit Sonnen­brille und Mütze vermummen durfte, um von den Neonazis nicht erkannt zu werden (Urteil vom 12. März 2010, AZ: 45 Ns 140/09). Doch ist das eine absolute Ausnahme.

3. Darf mich die Polizei durchsuchen?

Das „Filzen“ einer Person ist sowohl ein Instrument der Strafver­folgung und –vollstreckung, als auch der Gefahren­abwehr. Grundsätzlich gilt: Durchsucht werden darf nur dann, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt, also eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht. Das legte das Bundes­ver­fas­sungs­gericht in einem Beschluss von 2010 fest (AZ: 1 BvR 2636/04). Beim Gefahren­ab­wehrrecht ist es etwas kompli­zierter. „Hier unterscheiden sich die jeweiligen Regelungen je nach Bundesland“, sagt Rechts­anwalt Dr. Stefan König, der Vorsitzende des Strafrechts­aus­schusses des Deutschen Anwalt­vereins (DAV). Überein­stimmend gilt aber auch beim Gefahren­ab­wehrrecht: Es braucht einen konkreten Anlass.

4. Wann darf mich die Polizei vorläufig festnehmen?

Die vorläufige Festnahme ist in § 127 StPO geregelt. Demnach darf jede Person auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festge­nommen werden, wenn sie auf frischer Tat ertappt wurde und entweder Flucht­gefahr besteht, oder die Identität nicht sofort festge­stellt werden kann. Und da Polizisten nicht immer vor Ort sind, steht dieses Recht zur vorläufigen Festnahme jedem zu („Jedermann-Festnahme“). Allerdings muss der Festge­nommene dann unverzüglich der Polizei übergeben werden. Wenn also etwa Demons­tranten Steine auf Polizisten werfen, können sie entsprechend vorläufig festge­nommen werden.

Neben der Jedermann-Festnahme sieht das deutsche Strafpro­zessrecht das sogenannte hoheitliche Festnah­merecht vor. Dieses Recht haben nur bestimmte Amtsträger, etwa Polizei und Staats­an­walt­schaft, und es greift dann, wenn die Voraus­set­zungen eines Haftbefehls oder einer einstweiligen Unterbringung vorliegen. Zudem muss zusätzlich Gefahr im Verzug bestehen. Hierfür reicht der dringende Tatverdacht aus.

5. Wie lange darf mich die Polizei festhalten?

Nicht länger als 24 Stunden. Spätestens dann muss der Haftrichter überprüfen, ob Gründe für eine Untersu­chungshaft vorliegen oder aber die in Gewahrsam genommene Person wieder auf freien Fuß gesetzt wird.

6. Darf mich die Polizei filmen und die Aufnahmen speichern?

Es muss unterschieden werden: § 12a des Versamm­lungs­ge­setzes des Bundes sieht vor, dass Demons­tranten nur dann gefilmt werden dürfen, wenn Anhalts­punkte dafür gegeben sind, dass von ihnen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hatte dazu 2009 in seiner einstweiligen Anordnung ausgeführt, dass eine bloße Videobe­ob­achtung vom Gesetzgeber allenfalls dort zugelassen werden könne, wo dies zur Lenkung der Versammlung wegen ihrer Größe und Unüber­sicht­lichkeit erforderlich sei. Bei der rechtlichen Ausgestaltung gibt es allerdings landes­ge­setzliche Unterschiede und Besonder­heiten. So wurde in Berlin etwa ein Gesetz erlassen, dass das Filmen von Großde­mons­tra­tionen generell erlaubt. Die Berliner Opposition klagt derzeit gegen das Gesetz vor dem Landes­ver­fas­sungs­gericht.

Klarer ist die Rechtslage bezüglich der Speicherung der Aufnahmen: Rechts­anwalt Dr. Stefan König: „Gespeichert werden darf nichts, außer die Aufnahmen braucht es als Beweis vor Gericht.“ Das ist dann der Fall, wenn etwa eine Straftat aufgenommen wurde.

7. Darf ich mich gegen Polizisten wehren?

Ja und Nein. „Der Widerstands­begriff ist im strafrecht­lichen Sinne sehr weit gefasst“, sagt Dr. Stefan König. Dabei muss zwischen dem passiven und dem aktiven Widerstand unterschieden werden, doch können beide Formen des Protests zivilen Ungehorsam darstellen. Zu passivem Widerstand zählt etwa das Anketten an Schienen bei Castor-Transporten. Dabei kann es sich um Nötigung handeln. Wenn diese als „verwerflich“ angesehen wird, ist es eine strafbare Handlung (§ 240 StGB). Doch kann passiver Widerstand auch ohne strafrechtliche Konsequenzen geschehen. Das kommt auf den Einzelfall an.

Etwas anderes ist der aktive Widerstand, also der Widerstand gegen Vollstre­ckungs­beamte. In § 113 des Strafge­setz­buches ist festgelegt, dass bei Gewalt­an­wendung oder der Drohung von Gewalt gegen einen Vollstre­ckungs­beamten eine Freiheits­strafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe verhängt werden kann. In besonders schweren Fällen, also etwa Waffen­ge­brauch oder schwere Verlet­zungen der Angegriffenen, kann auch eine Freiheits­strafe von bis zu fünf Jahren ausgesprochen werden.

8. Welche Konsequenzen drohen, wenn gegen eine Gruppe von Demons­tranten Anzeige erstattet wird?

Bei Demons­tra­tionen kommt es hin und wieder dazu, dass gegen eine größere Gruppe von Menschen Anzeige erstattet wird. So können zum Beispiel alle Demons­tranten angezeigt werden, die Steine auf Polizisten geworfen haben. Damit ein Strafver­fahren eröffnet werden kann, müssen aus der Gruppen­anzeige allerdings indivi­duelle Vorwürfe abgeleitet werden. Das ist in den meisten Fällen nicht möglich. Denn im Nachhinein lässt sich kaum nachweisen, wer zum Beispiel einen Stein geworfen und wer die Steine­werfer nur unterstützt hat, oder wer sogar nur zufällig in der Nähe war.

Datum
Aktualisiert am
14.12.2016
Autor
red
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Themen
Beamte Polizei Verbrechen Vergehen

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